Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die Hintergründe von Putins neuer Rubel-Doktrin, um einen dreifachen Gipfel in Brüssel und das neue Dauerstreitthema der Ampel: die Frage der Entlastung.
Putins neue Doktrin
Es war bislang eines der Argumente, die neben einer drohenden massiven Wirtschaftskrise in Europa gegen einen vollständigen Boykott von russischem Öl und Gas sprachen – die fehlende Wirkung. Die 200 Millionen Euro, die Deutschland jeden Tag an Wladimir Putins Staatskonzerne überweise, so wurde argumentiert, könne dieser ja gar nicht direkt für die Finanzierung seines Krieges verwenden. Immer wird der Apparat samt Soldaten in Rubel bezahlt und nicht in Devisen.
Staatschef Putin: Neue Gasregeln verordnet
Foto: Mikhail Klimentyev / AP
Nun aber hat der russische Präsident beschlossen, in Energiegeschäften mit »unfreundlichen Staaten«, zu denen unter anderem die gesamte EU gehört, nur noch die heimische Währung zu akzeptieren.
Allein die Ankündigung zeigte Wirkung: Der Wert des schwächelnden Rubels stieg, ebenso der Preis von Erdgas – zwischenzeitlich um 30 Prozent.
Die langfristigen Auswirkungen könnten noch gravierender sein. Die importierenden Länder könnten mangels Alternativen gezwungen sein, Euro oder Dollar bei der russischen Zentralbank zu tauschen, um die nötigen Rubel für die Zahlungen zu erhalten. Die Zentralbank aber wurde bislang durch die Sanktionen weitgehend stillgelegt, der Westen müsste also eine seiner effektivsten Strafmaßnahmen selbst aufweichen.
Eine erste Reaktion aus Berlin kam umgehend: Wirtschaftsminister Robert Habeck unterstellte Putin, laufende Verträge zu brechen. Ein Vorwurf, der den Kriegsverbrecher in Moskau sicher hart treffen wird.
Ich wiederum kann mir nicht vorstellen, dass Putin sein tägliches Taschengeld aus Deutschland zurück überweisen würde, sollte es weiter in Euro bei ihm ankommen.
Notwendige Provokation
Die vielen unfreundlichen Länder, die von Putins neuer Rubeldoktrin betroffen sind, haben heute ausreichend Gelegenheit, sich zu beraten. In Brüssel ist großer Gipfel-Tag. Staats- und Regierungschefs treffen sich zu einem EU-Gipfel, einem Nato-Sondergipfel und einem G7-Gipfel. Auch US-Präsident Joe Biden ist gekommen.
US-Präsident Biden in Brüssel: Ankunft zum Gipfel-Triple
Foto: Evan Vucci / AP
Tatsächlich könnte Putins Ankündigung die Forderung nach einem Boykott von russischem Öl und Gas weiter befeuern. Deutschland und andere EU-Staaten haben sich bislang dagegen gewehrt. Olaf Scholz warnte in seiner Haushaltsrede gestern erneut, dass ein Boykott Hunderttausende Arbeitsplätze gefährden könnte. Und glaubt man Berliner Regierungskreisen, dann soll auch Biden für die deutsche Situation bislang Verständnis gezeigt haben. Zugleich aber hatte der US-Präsident zuletzt angemahnt, die Sanktionen gegen Russland weiter zu schärfen. Der Boykott wäre dabei sicher eines der schärfsten Schwerter.
Einig ist man sich im Westen, die Nato an ihrer Ostflanke deutlich zu stärken. Die Zahl der Gefechtseinheiten in osteuropäischen Ländern soll auf acht verdoppelt werden. Auf dem Nato-Sondergipfel sollen neue Kampftruppen für die Mitgliedsländer Rumänien, Bulgarien, Ungarn und die Slowakei beschlossen werden. Bislang hat die Nato nur in den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie in Polen dauerhaft multinationale Verbände stationiert.
Interessant wird Putins Reaktion auf diesen Schritt sein. In seinem Forderungskatalog an die Nato hatte er auf westlicher Abrüstung und den Abzug aller US-Truppen aus Osteuropa bestanden. Die Ankündigung der Nato – aus westlicher Sicht sinnvoll und notwendig – wird er als Affront begreifen.
Fährt der Scholz-Zug weiter?
Ich frage mich bis heute, was den saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans Anfang März dazu getrieben hat, sich vor eine Tankstelle zu stellen und in einem wackelig gefilmten Selfie-Video über die hohen Spritpreise zu lamentieren. Dabei hatte er vor allem die Bundesregierung als Bösewicht ausgemacht, da sich der Staat an den hohen Preisen kräftig bereichere. Dass der CDU-Politiker dabei »Geringverdiener« und die »vielen fleißigen Leute, die tanken müssen« in einen Gegensatz stellte, war sicher der Hektik seiner Aufnahme geschuldet.
Kandidaten Rehlinger, Hans: Klarer Vorsprung
Foto: WOLFGANG RATTAY / REUTERS
Sollte das Ansinnen gewesen sein, mit einem populistischen Schnellschuss vor der Landtagswahl noch ein paar Stimmen einzusammeln, so ging diese Rechnung offenbar nicht auf: Seit Wochen liegt in den Umfragen SPD-Herausforderin Anke Rehlinger zwischen sechs und neun Prozentpunkten vor Amtsinhaber Hans. Ob dieser Trend fortbesteht, erfahren Sie heute am frühen Nachmittag, wenn wir unsere letzte Civey-Umfrage zur Wahl im Saarland veröffentlichen.
In der Bundes-CDU baut man einer möglichen Niederlage bereits vor. Es gehe ja, so heißt es, vor allem um regionale Belange. Tatsächlich aber könnte die Wahl eine Signalwirkung haben. Es folgen in diesem Jahr noch die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Sollte Rehlinger gewinnen, würde sie den märchengleichen Siegeszug der SPD fortsetzen, einer Partei, die noch vor einem Jahr von vielen totgesagt wurde.
Ampelknatsch
Mit seinem Vorschlag, der Staat solle angesichts der hohen Energiepreise Tankfüllungen rabattieren, hat Finanzminister Christian Lindner eine, wenn man so will, kleine Zeitenwende in der Ampelkoalition eingeläutet. Waren die drei Partner bislang so stolz auf ihre vertrauensvolle, faire und vertrauliche Zusammenarbeit, ist der Ärger nun groß: Grüne und SPD werfen dem FDP-Chef intern vor, seinen Vorstoß mit ihnen nicht klar abgesprochen zu haben, auch der Kanzler sei vom Zeitpunkt der Ankündigung überrascht worden.
FDP-Chef Lindner: Zum Ärger der anderen vorgeprescht
Foto: Christophe Gateau / dpa
Seit Tagen geht es nun um Schadensbegrenzung, man will sich auf ein Entlastungspaket für die Bürgerinnen und Bürger einigen. Ein erstes Treffen mit neun Emissären der Partei verlief ohne Ergebnis. Gestern spät abends tagte nun der Koalitionsausschuss und diskutierte über die Ideen, vom Rabatt über eine Energiepreispauschale bis hin zum Vorschlag der Grünen eines Energiegeldes. Daneben ging es aber auch um andere Themen, um eine bessere Energieeffizienz etwa und eine mögliche Laufzeitverlängerung der Kohlekraftwerke, die den Ausfall von russischem Gas teilweise kompensieren könnten.
Es wird sicher nicht die letzte Krisensitzung zu diesem Thema gewesen sein.
Trauer des Tages…
…. gilt dem Tod von Madeleine Albright. Sie war unter Bill Clinton von 1997 bis 2001 nicht nur die erste Außenministerin der USA und damit eine Vorreiterin feministischer Außenpolitik, bis zuletzt war sie eine weise Kommentatorin geopolitischer Ereignisse.
Noch am Vortag von Putins Angriff auf die Ukraine veröffentlichte die »New York Times« einen Gastbeitrag der ehemaligen Ministerin. »Ein Einmarsch in die Ukraine würde nicht Russlands Weg zur Größe ebnen, sondern Herrn Putins Ehrlosigkeit besiegeln, indem er sein Land diplomatisch isoliert, wirtschaftlich angeschlagen und strategisch verwundbar gegenüber einem stärkeren, geeinten westlichen Bündnis macht«, schrieb Albright. Die Ukraine habe ein Recht auf ihre Souveränität, unabhängig davon, wer ihre Nachbarn sind. »Im modernen Zeitalter akzeptieren große Länder das«, schloss sie, »und das muss auch Herr Putin akzeptieren.« Albright erlag einem Krebsleiden, sie wurde 84 Jahre alt. Einen Nachruf lesen Sie hier.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Martin Knobbe