In der Ukraine dauern die heftigen Kämpfe an, wobei die russischen Truppen nach Einschätzung der USA und der Ukraine wegen Ermattung und Nachschubproblemen kaum vorankommen. Der britische Geheimdienst sieht eine taktische Neuaufstellung der Kreml-Truppen. Moskau warnt derweil vor eine Nato-Friedensmission und wirft der USA vor, die Verhandlungen mit Kiew zu behindern.
Die Entwicklungen im Überblick.
Die militärische Lage
Die US-Regierung und auch die Ukraine erklären seit Tagen, dass die russischen Streitkräfte logistische Probleme hätten und vor allem im Norden und Osten des Landes kaum Fortschritte machten. Ukrainische Truppen gingen an einigen Stellen im Süden wieder zu Gegenangriffen über, sagte ein Vertreter des Pentagons.
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Von den eingesetzten russischen Truppen seien mittlerweile etwa zehn Prozent durch Tod oder Verwundung ausgeschaltet. Militärs gehen erfahrungsgemäß davon aus, dass Truppenverbände kampfunfähig werden, wenn sie etwa ein Zehntel ihrer Mannstärke verlieren.
Nach Einschätzung britischer Geheimdienste sollen russische Truppen bei ihrem Vormarsch im Osten der Ukraine nun versuchen, die ukrainischen Streitkräfte einzukesseln. Dies geschehe, indem sich Truppen aus Charkiw im Norden und aus Mariupol im Süden fortbewegten, hieß es in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums.
Zudem würden sich die Russen im Norden der Ukraine mutmaßlich zurzeit neu organisieren, um sich auf großangelegte Angriffe vorzubereiten. Derzeit sei das Kampfgeschehen dort »weitgehend statisch«.
Mit einer Eroberung der Hafenstadt Mariupol will Russland nach eigenen Angaben eine sichere Landverbindung auf die annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim schaffen. Sobald das russische Militär die wichtige Fernstraße M14 unter Kontrolle habe, sei die Krim wieder zuverlässig über einen Transportkorridor mit den ostukrainischen Separatistengebieten Donezk und Luhansk verbunden, sagte der stellvertretende Beauftragte von Präsident Wladimir Putin für den Föderationskreis Südrussland, Kirill Stepanow, der Staatsagentur Ria Nowosti.
Mariupol am Asowschen Meer wird seit Wochen von russischen Truppen belagert. Eine Aufforderung zur Kapitulation in der Stadt hatte die Ukraine kürzlich abgelehnt.
Russische Raketen haben derweil nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau erneut mehrere militärische Ziele in der Ukraine angegriffen. Eine vom Meer aus abgefeuerte Rakete habe in der Region Riwne im Nordwesten der Ukraine Waffen und Militärtechnik zerstört, darunter auch Lieferungen des Westens, sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow. Insgesamt seien innerhalb von 24 Stunden knapp hundert militärische Objekte zerstört worden, hieß es. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Die ukrainischen Streitkräfte halten nach Angaben ihres Generalstabs die Stellung trotz fortdauernder russischer Luftangriffe. Der Vormarsch des Gegners werde an mehreren Fronten gestoppt, zum Beispiel bei Slowjansk im Gebiet Donezk im Südosten, teilte der Generalstab in Kiew mit. Auch Mykolajiw im Süden werde verteidigt, ebenso Tschernihiw im Nordosten.
Die humanitäre Lage
Für die Rettung der Zivilbevölkerung aus umkämpften Städten und Dörfern sind an diesem Mittwoch nach Angaben aus Kiew insgesamt neun Fluchtkorridore vorgesehen. So soll die Evakuierung der belagerten Hafenstadt Mariupol fortgesetzt werden, wie Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk in einer Videobotschaft sagte.
Nach russischen Angaben halten sich in Mariupol am Asowschen Meer noch 100.000 bis 150.000 Menschen auf. Dort herrschen katastrophale Bedingungen, es gibt kaum Essen, Wasser und Strom.
Auch aus den Orten Polohy und Huljajpole sind Fluchtkorridore nach Saporischschja geplant. Nordöstlich der Hauptstadt Kiew sind drei Routen vorgesehen: Aus Welyka Dymerka, dem benachbarten Bohdaniwka und Switylnja sollen Menschen in die Kiewer Vorstadt Browary gebracht werden, aus Borodjanka nordwestlich der Hauptstadt ist eine Evakuierung ins südlich gelegene Bila Zerkwa geplant. Schließlich soll es zwei Fluchtkorridore im ostukrainischen Gebiet Luhansk geben, von Rubischne sowie Nyschnje jeweils nach Bachmut.
Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig vor, die Evakuierungsrouten zu beschießen und Zivilisten an der Flucht zu hindern.
Das sagt Kiew
Vitali Klitschko hat den russischen Angriff auf sein Land als Völkermord bezeichnet. »Das ist ein Genozid«, sagte der Bürgermeister Kiews in einer Liveschalte mit dem Stadtrat der Partnerstadt München. »Die vernichten die Zivilbevölkerung, die vernichten unser Land.«
Seine Stadt werde mit Raketen beschossen, die »in einem Radius von 500 Metern jedes menschliche Leben« töteten, sagte Klitschko. Das sei kein Angriff auf das Militär, sondern auf die Bevölkerung. Wie viele Ukrainer bislang gestorben seien, könne er nicht sagen: »Wir können die Leichen nicht zählen.«
Zum Kampf gegen die russischen Truppen fordert die Ukraine weitere Hilfen der internationalen Gemeinschaft. Eine moderne Flugabwehr sowie Marschflugkörper und Granaten seien notwendig, twitterte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak am Mittwoch. Dies gelte vor allem für den Fall, dass es weiterhin keine Flugverbotszone über der Ukraine gebe. Die Nato lehnt dies ab, weil sie befürchtet, damit in einen direkten Konflikt mit Russland zu kommen.
Podoljak forderte von den »lieben Partnern« mehrere Maßnahmen. Es seien »vier Schritte« nötig. Neben Flugabwehr und Marschflugkörpern nannte Podoljak auch ein hartes Embargo für russisches Öl sowie die Schließung von Häfen für russische Schiffe.
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Das sagt Moskau
Der Kreml hat vor einer möglichen Nato-Friedensmission in der Ukraine gewarnt. »Das wäre eine sehr unbedachte und äußerst gefährliche Entscheidung«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. In der Ukraine laufe derzeit eine »militärische Spezial-Operation«, sagte Peskow – so wird der Krieg von Moskau offiziell genannt. »Und jedes mögliche Aneinandergeraten unserer Soldaten mit Soldaten der Nato kann durchaus nachvollziehbare, schwer zu behebende Folgen haben.« Polen will beim Nato-Gipfel am Donnerstag in Brüssel seinen Vorschlag für eine Friedensmission in der Ukraine offiziell einbringen.
Die russische Regierung wirft zudem den USA vor, die Verhandlungen mit Kiew zu behindern. »Die Gespräche sind zäh, die ukrainische Seite ändert ständig ihre Position«, sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. Dafür machte er vor allem die USA verantwortlich: Washington wolle »uns offenbar so lange wie möglich in einem Zustand militärischer Aktionen halten«. Die US-Regierung betrachte es »einfach als nachteilig für sie, wenn dieser Prozess schnell beendet wird«, sagte Lawrow.
Was heute noch passiert
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will sich ab 15 Uhr per Videoschalte an das französische Parlament wenden.
Ebenfalls am Nachmittag plant die EU-Kommission, ihre Hilfen für die EU-Staaten im Umgang mit den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine vorstellen.
Am frühen Abend findet dann eine Sonder-Innenministerkonferenz von Bund und Ländern zum Krieg in Osteuropa statt. Im Fokus steht die Frage, wie die Geflüchtete aus der Ukraine innerhalb Deutschlands und in der EU verteilt werden können und sollen.
US-Präsident Joe Biden bricht zu seiner Reise nach Europa auf. Dort stehen unter anderem ein Nato-Krisengipfel in Brüssel und ein Besuch in Warschau auf dem Programm.
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