Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute beschäftigen wir uns mit der Generalaussprache im Bundestag, mit der Frage, woher die vielen Milliarden für den Haushalt kommen, und mit möglichen Schwächen der russischen Truppen.
Die große Aussprache
Der Bundestag ist ein Ort vieler schöner Traditionen, eine davon ist die Generaldebatte. Sie findet seit den Siebzigerjahren in der Woche der Haushaltsverhandlungen statt.
Rein formal geht es um einen vergleichsweise kleinen Posten im jährlichen Milliardenwerk, den des Kanzleramts. Mit 3,7 Milliarden Euro soll die Berliner Machtzentrale in diesem Jahr sogar 14,3 Prozent weniger kosten als im vergangenen. Liegt es daran, dass der Hausherr ein ehemaliger Finanzminister ist, der lange die Politik der Schwarzen Null pflegte?
AdvertisementOlaf Scholz, hier in der Giga-Factory von Tesla: Warten auf eine klare Ansage vom Kanzler
Foto: CHRISTIAN MARQUARDT / POOL / EPA
Die anschließende Debatte, auch Elefantenrunde genannt, widmet sich aber der Politik der Bundesregierung im Generellen. Der Bundeskanzler darf sich erklären, dann sprechen die Fraktionsvorsitzenden.
In der Vergangenheit gab es launige Aussprachen, wie zum Beispiel im Jahr des Flüchtlingssommers 2015. Der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch las jenem Teil der Unionsfraktion, der den Flüchtlingskurs von Kanzlerin Angela Merkel kritisch sah, das Matthäus-Evangelium vor: »Ich war fremd und obdachlos, und Ihr habt mich aufgenommen.«
Olaf Scholz könnte heute die Chance für eine große Rede nutzen. Er könnte zum Beispiel erklären, wie er die Ukraine noch mehr unterstützen will. Ein Gas- und Öl-Embargo hat er wiederholt abgelehnt, bei den versprochenen Waffenlieferungen scheint es an der einen oder anderen Stelle zu haken. Was also dann? Soeben hat US-Präsident Joe Biden die Verbündeten gebeten, noch aggressivere Sanktionen gegen Russland zu beschließen. Der Druck auf den deutschen Kanzler wächst.
Das große Geld
Fast die ganze Woche lang diskutieren die Abgeordneten übers Geld. Der Haushaltsentwurf, den Finanzminister Christian Lindner gestern vorstellte, war allerdings schon veraltet, bevor der FDP-Chef ans Rednerpult schritt. 99,7 Milliarden Euro an neuen Schulden sieht er für dieses Jahr vor. Viel zu wenig, urteilt mein Kollege Christian Reiermann.
Dutzende Milliarden werden wegen des Krieges in der Ukraine dazu kommen – zum Beispiel für die Unterbringung Hunderttausender Flüchtlinge oder für die Entlastungen der Bürger für explodierende Energiepreise. Lindner will dafür im Verlauf der parlamentarischen Verhandlungen des Etats einen Ergänzungshaushalt vorlegen.
Schulden ohne Schulden zu machen? Finanzminister Christian Lindner
Foto: Kay Nietfeld / dpa
Hinzu kommen die 100 Milliarden, die im Sondervermögen für die Bundeswehr aufgebracht werden sollen, wofür eigenständig Kredite aufgenommen werden dürfen. Diese Schulden fallen nicht unter die Vorgaben der Schuldenbremse, die Lindner im nächsten Jahr wieder in Kraft setzen will.
Trotzdem müssen auch diese Milliarden irgendwann zurückgezahlt werden, genauso wie die Schulden aus der Coronapandemie oder auch das Geld, das sich Lindner noch für den Ergänzungshaushalt leihen wird.
Der Plan: Die zusätzlichen Schulden sollen innerhalb von 30 Jahren abgetragen werden. Begonnen wird damit aber erst Ende des Jahrzehnts. Es werden also Menschen die Schulden tilgen, die heute noch nicht geboren sind.
In der christlichen Theologie würde man von Erbsünde sprechen.
Die große Frage
Wie sind derzeit die militärischen Machtverhältnisse in der Ukraine? Seriös lässt sich diese Frage kaum beantworten, aber es gibt klare Anzeichen dafür, dass die Kraft der russischen Truppen nachlässt. Die »New York Times« berichtet mit Verweis auf das Pentagon, die militärische Macht Putins in der Ukraine schrumpfe – und zwar unter 90 Prozent der ursprünglichen Kampfkraft.
Bombardierung eines Einkaufszentrums in Kiew
Foto: Alex Chan Tsz Yuk / dpa
Russland kämpft demnach vor allem mit logistischen Problemen. Die USA führen die Schwierigkeiten der russischen Streitkräfte auf den anhaltenden Widerstand der Ukrainer und schlechte Planung zurück. »Wir haben Hinweise darauf erhalten, dass einige Soldaten tatsächlich Erfrierungen erlitten haben und aus dem Kampf genommen wurden«, wird ein US-Verteidigungsbeamter zitiert. »Sie haben also weiterhin Probleme mit der Logistik und der Versorgung.«
Die These von der eindeutigen Überlegenheit der Russen wird mehr und mehr hinfällig. Das Argument, Waffenlieferungen an die Ukraine brächten deshalb nichts, ebenfalls.
Damit wären wir wieder bei der Bundesregierung und der Frage, ob sie auf diesem Gebiet nicht noch mehr machen könnte – um die Gegenkraft noch zu stärken. Es wäre jetzt der einzig richtige Schritt.
Gewinner des Tages…
…ist Julian Assange. Seit drei Jahren sitzt der Wikileaks-Gründer im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London, während vor den Gerichten um seine Auslieferung gerungen wird.
Juristin Moris
Foto: ANDY RAIN / EPA-EFE
Dass es dem 50-Jährigen in der Haft gesundheitlich nicht gut geht, ist nachvollziehbar. Zuletzt hatte das oberste britische Gericht eine Berufung abgelehnt. Wie tragisch dieser Fall ist und warum er auch die Pressefreiheit in Europa und der Welt bedroht, wurde oft beschrieben. Dass es aber auch helle Momente in dieser Geschichte gibt, zeigt sich heute: Assange wird seine langjährige Partnerin und Mitkämpferin, die Juristin Stella Moris heiraten – im Gefängnis, versteht sich.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Martin Knobbe