: Ukraine-Krieg, Wolodymyr Selenskyj, Russland, Wladimir Putin, Angela Merkel //
Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die Frage, wie der Krieg die Bewertung von Merkels Kanzlerschaft in ihrer Partei verandert. Um den schwierigen Umgang mit der Forderung nach einem Flugverbot uber der Ukraine. Und um den Ansehensverlust von Greenpeace.
Merkels schweres Erbe
Unter den westlichen Regierungschefs und -chefinnen war Angela Merkel wohl diejenige, die Wladimir Putin am besten gekannt, ja durchschaut hat. Doch sie billigte, dass Deutschland sich abhangig von russischen Energieimporten machte, sie liess Nord Stream 2 als Projekt laufen und war fur eine Politik mitverantwortlich, die Putin nicht daran hinderte, jetzt in der Ukraine einzumarschieren.
AdvertisementMerkel, Putin im Januar 2020
Foto by PAVEL GOLOVKIN / AFP
Wie verhalt sich nun ihre Partei zu diesem Erbe? >>Ich bin so wutend auf uns, weil wir historisch versagt haben<<, schrieb die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) unmittelbar nach Kriegsausbruch auf Twitter. Man habe >>nach Georgien, Krim und Donbass nichts vorbereitet, was Putin wirklich abgeschreckt hatte<>wir<>Scherbenhaufen der deutschen und europaischen Aussen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte<< angerichtet, von dem CDU-Chef Friedrich Merz bei seiner Rede am 27. Februar auf der Sondersitzung des Bundestages sprach?
Wenn hier nicht Merkel gemeint war – wer sonst?
Offene Kritik an der fruheren Kanzlerin bleibe noch aus, so schreiben meine Kollegen Florian Gathmann, Dirk Kurbjuweit und Gerald Traufetter in ihrem Artikel >>Ein bisschen Boykott, das war’s<<. Doch interne Kritik gerade an der Energiepolitik Merkels sei durchaus zu vernehmen.
Meine Kollegen zitieren die Bundestagsabgeordnete und Chefin der Jungen Gruppe in der Unionsfraktion, Ronja Kemmer: >>Spatestens jetzt erweist es sich als Fehler, dass wir in der Versorgung nicht diversifizierter aufgestellt sind. Dies hangt mit daran, dass wir viele Fragen auch gesellschaftlich zu ideologisch, zu wenig technologieoffen diskutiert haben<<.
Schon wieder: >>Wir<<.
Es ist ehrenwert, Fehler nicht nur bei anderen zu sehen, sondern auch sich selbst einzubeziehen, selbst wenn die andere Person die ehemalige Kanzlerin ist. Ausserdem kann es schwierig sein, mit Fehlern der Vergangenheit abzurechnen, wenn die Katastrophe bereits eingetreten ist. Hinterher ist man immer schlauer, und es ist gut moglich, dass alte Konflikte, die mit der Sache nichts zu tun haben, gleich mitausgetragen werden.
Merz und in abgeschwachter Form auch Kramp-Karrenbauer haben noch Rechnungen mit Merkel offen. Aber es ware falsch, uber Entscheidungen der Vergangenheit, die sich als Fehler herausstellen, wegen der Risiken und Nebenwirkungen nicht offen zu diskutierten. Sie konnen sich wiederholen.
Die Zerrissenheit
Es beginnt ein Wochenende der Friedenskundgebungen: in Munster, in Dusseldorf, in Magdeburg, in Hamburg, in Hannover. Das Konzert >>Sound of Peace<>Europas grosste musikalische Kundgebung<< gegen den russischen Angriff auf die Ukraine. Geplant sind Auftritte von Sarah Connor, Silbermond, The BossHoss und Peter Maffay.
Doch wie sich Solidaritat und praktische Politik ins Gehege kommen konnen, dafur lieferte die vergangene Woche gleich mehrere Beispiele. Da Putins Bodenoffensive stockt, setzt er auf Luftangriffe, die ubereinstimmenden Berichten zufolge etliche zivile Opfer fordern. Deswegen appellierte die ukrainisch-deutsche Schriftstellerin Katja Petrowskaja in der Talkshow von Anne Will am vergangenen Sonntag an die Nato, den ukrainischen Luftraum zu sperren. Am Donnerstag stellte der ukrainische Prasident Wolodymyr Selenskyj bei seiner auf einem Bildschirm ubertragenen Rede im Bundestag dieselbe Forderung.
Der ukrainische Prasident Wolodymyr Selenskyj spricht per Live-Schaltung aus Kiew in der 20. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebaude
Foto: IMAGO/Sebastian Gabsch / IMAGO/Future Image
Die deutsche Regierung hat nicht vor, darauf einzugehen. Das ist vernunftig, denn das Risiko einer Ausweitung des Krieges ist zu hoch. Was sich aber so leichthin vom sicheren Deutschland aus sagen lasst, muss fur Menschen wie Petrowskaja und Selenskyj mitleidlos, wenn nicht sogar verachtlich klingen, denn die Entscheidung, auf diese Weise jedenfalls nicht einzugreifen, kostet in der Ukraine tagtaglich Menschenleben.
Bei Anne Will sass SPD-Chef Lars Klingbeil Katja Petrowskaja gegenuber und musste reagieren. Im Bundestag sass Olaf Scholz und hatte auf Selenskyjs Forderung reagieren sollen, ja mussen. Er aber schwieg dazu und provozierte damit Unverstandnis bei meinem Kollegen Ralf Neukirch und etlichen anderen Kommentatoren. Schweigen kann fur einen Kanzler keine Option sein, auch wenn die richtigen Worte kaum zu finden sind. Klingbeil zeigte in der Talkshow Unbehagen, vielleicht sogar Erschutterung daruber, seinem Mitgefuhl aus Grunden der Vernunft nicht nachgeben zu wollen.
Es ist ungewohnt, wenn Politiker ihre Zerrissenheit zeigen. Wirtschaftsminister Robert Habeck tat das in derselben Talkshow ebenfalls, er war von einem Bildschirm aus zugeschaltet. Doch Klingbeil und Habeck zeigten die einzig angemessene Reaktion.
Scholz selbst hat den Kriegsausbruch >>Zeitenwende<< genannt. Neue Zeiten erfordern neue Formen der politischen Kommunikation.
Eine Ewigkeit von 100 Tagen
Robert Habeck (Die Grunen), Olaf Scholz (SPD), Christian Lindner (FDP) nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages
Foto: Michael Kappeler / dpa
Die Regierung ist jetzt seit gut 100 Tagen im Amt. Die Welt aber war vor 100 Tagen noch eine vollig andere. Meine Kollegin Melanie Amann schreibt im Leitartikel >>Teile des Koalitionsvertrags lesen sich bereits wie archaologische Funde aus einer antiken Zivilisation.<>Die Regierung braucht einen New Deal<<.
Verlierer des Tages…
Ein Greenpeace-Aktivist landet im Juni 2021 wahrend der Fussball-EM mit einem Motorschirm-Flieger bei einer Protestaktion auf dem Spielfeld
Foto by Christian Charisius/ dpa
…ist Greenpeace. Die Umweltlobbyorganisation ist in deutschen Medien heute viel weniger angesehen als noch vor zehn Jahren. Das ergab eine Auswertung des Analysedienstes Media Tenor, uber die mein Kollege Martin U. Muller berichtet.
Vor allem in den vergangenen zwei Jahren verschlechterte sich das Image. Wahrend sich 2020 aus lediglich rund zwei Prozent der Berichte uber Greenpeace eine negative Bewertung herauslesen liess, waren es dieses Jahr bis einschliesslich Februar gut 44 Prozent. Vor allem der Wechsel der Chefin von Greenpeace International, Jennifer Morgan, in die deutsche Politik wurde in der Presse nicht gut aufgenommen. Morgan wurde von Bundesaussenministerin Annalena Baerbock (Grune) zur Sonderbeauftragten fur internationale Klimapolitik im Auswartigen Amt berufen. Auch 2021 gab es – wegen einer missgluckten Gleitschirm-Aktion wahrend der Fussball-EM in Munchen – viel Kritik.
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Ich wunsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Susanne Beyer