Die Zahl der Coronaneuinfektionen in Deutschland ist auf einem neuen Hochstand, Lockerungen der Coronamassnahmen stehen dennoch unmittelbar bevor. Inmitten dieser Gemengelage hat der Bundestag nun erstmals uber die Gesetzentwurfe und Antrage zur Impfpflicht gestritten – ohne dabei auf einen Nenner zu kommen.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) hatten sich seit Dezember vergangenen Jahres fur eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen, um neue Lockdowns im Herbst und Winter zu vermeiden. Ein Gesetz legten sie allerdings nicht vor, aus dem Bundestag heraus sollten fraktionsubergreifend Vorschlage erarbeitet werden. Insgesamt gibt es nun funf Antrage, eine Mehrheit fur einen ist aber nicht sicher.
Eine Gruppe schlagt eine Impfpflicht ab 18 Jahren vor, eine andere mochte die eine Beratungspflicht und dann eine mogliche Impfpflicht ab 50. Eine Gruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki lehnt die Impfpflicht ab – die AfD hat ebenfalls einen eigenen Antrag zur Ablehnung eingereicht. Die Union will hingegen in einem funften Antrag ein >>Impfvorsorgegesetz<<: Ein Impfregister soll aufgebaut werden, damit klar wird, wer geimpft ist und wer – bei einer moglichen neuen Welle – gezielt angesprochen werden musste.
>>Das Virus ist nicht berechenbar<<
Die SPD-Politikerin Heike Baehrens verteidigte die Impfpflicht ab 18 Jahren. >>Das Virus ist nicht berechenbar<>Wir mussen grundlegend die Voraussetzung dafur schaffen, dass wir nicht noch einmal von einer weiteren Infektionswelle uberrollt werden<>Danach sehnen wir uns alle<>nachhaltigen Weg, diese Pandemie unter Kontrolle zu bringen<<. Ihr Antrag zur Impfpflicht ab 18 wird von 237 Abgeordneten aus vier Fraktionen unterstutzt.
>>Die Menschen wollen und konnen nicht mehr<>Wenn wir die Pandemie ohne Impfpflicht hinter uns lassen konnten, das ware gut, das ware schon.<>dann sollten wir uns fur die Impfpflicht entscheiden<<.
Der FDP-Abgeordnete Andrew Ullmann warb hingegen fur die Beratungspflicht fur alle ab 18 – mit der Moglichkeit, spater eine Impfpflicht ab 50 zu schaffen. Seine Gruppe traue den Menschen zu, die richtige Entscheidung zu treffen – mit einer guten und professionellen Aufklarung.
Sein Parteikollege Manuel Hoferlin wandte sich gegen jegliche Impfpflicht und unterstutzte damit den Vorstoss von FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki. Die Impfung schutze zwar vor schweren Krankheitsverlaufen oder dem Tod. Daraus resultiere aber keine Pflicht. Er verwies darauf, dass Osterreich die dort eingefuhrte Impfpflicht inzwischen ausgesetzt habe. Wer anstatt einer Impfung lieber eine Maske trage, habe das gute Recht, dies so zu entscheiden.
Unionsfraktionsvize Sepp Muller (CDU) erklarte die Impfpflicht hingegen fur >>tot<>Wir brauchen mehr Flexibilitat, weniger Starrsinn.<<
>>Sie reiten ein totes Pferd<<
Auch der Linkenpolitiker Gregor Gysi bezeichnete sich als >>strikten Gegner<>Bei Masern war ich dafur, weil das die Krankheit ausrottete, das schafft der Impfstoff hier nicht<<, sagte er. Gysi forderte stattdessen mehr Aufklarung. 30.000 Menschen pro Tag mussten uberzeugt werden, das konne gelingen. Geldbussen seien der falsche Weg.
>>Sie reiten ein totes Pferd, bitte steigen Sie ab<<, warnte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Die Argumente fur die Impfpflicht seien von Anfang an schwach gewesen und inzwischen wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. >>Es gibt keine legitime und verfassungsrechtlich zulassige Rechtfertigung fur die Einfuhrung einer Impfpflicht gegen Covid-19.<< Diese verletze zentrale Grundrechte.
Die Grunenpolitikerin Emilia Fester, Unterstutzerin der Impfpflicht ab 18, ging gezielt Impfunwillige in der AfD an. Wenn sie diesen >>einfachen Schritt<>dann waren wir jetzt alle wieder frei<>Nicht die Impfpflicht ist die Zumutung, sondern keine Impfpflicht ist die Zumutung – fur die solidarische Mehrheit.<>Lassen Sie sich impfen fur die Kinder, fur die Jugend.<<
>>Wer freiheitsbeschrankende Massnahmen im Herbst verhindern will, der muss die Impfquote jetzt erhohen<>Spirale<< an Coronamassnahmen musse aufhoren. Er verwies auf medizinische Erkenntnisse, dass Impfungen vor schweren Verlaufen schutzen und dass es neuartige Virusmutanten gibt, die auch Jungere bereits ins Krankenhaus bringen. Die Debatte durfe es daher nicht uber die Zweckmassigkeit der Impfung geben – sie sei rein ideologisch.
Das ganze Land sei >>in Geiselhaft<>stolz darauf<<, dass die Mehrheit auf sie warten musse. Erneut beteuerte Lauterbach, dass es nicht darum gehe, Ansteckungen zu verhindern, sondern schwere Erkrankungen.
Ob und wann sich der Bundestag auf ein Gesetz einigt, ist noch nicht absehbar. Die Zeit fur eine Vorsorge bis Herbst wird allerdings knapp: Fruhestens im April konnte der Bundesrat einer Impfpflicht zustimmen, fruhestens im Mai wurde das Gesetz dann eingefuhrt. Mit Blick darauf, dass zwischen Erstimpfung und vollstandiger Immunisierung mehrere Monate liegen mussen, sind Expertinnen und Experten skeptisch, ob die fehlenden knapp zehn Millionen Ungeimpften vor Beginn einer drohenden Coronawelle im September durchgeimpft sind.