Der Saal, in dem das Kölner Verwaltungsgericht über eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz verhandelt, wirkt wie aus einem Spielcasino: schwere, rote Teppiche, Spiegelwände, Goldverzierungen, von der Decke hängen wuchtige Leuchter.
Nur die mehr als hundert Aktenordner auf den Tischen lassen erahnen, dass es hier um Recht und Gesetz geht – wegen Corona und des großen Interesses wurde die Sitzung in die Messehallen verlegt. Das Verfahren sei »außerordentlich komplex« und »rechtlich nicht einfach«, sagt der Vorsitzende Richter Michael Huschens, als er den Saal betritt.
Die zentrale Frage der rund zehnstündigen mündlichen Verhandlung war, ob der Verfassungsschutz die gesamte Partei als »Verdachtsfall« einstufen darf. Das wollte das Bundesamt bereits im vergangenen Frühjahr, wurde allerdings vorläufig vom Verwaltungsgericht gestoppt. Zu heikel erschien dem Kölner Gericht ein solcher Schritt im Superwahljahr.
AdvertisementDas hat sich geändert. Die 13. Kammer entschied am Abend: Ja, das Bundesamt darf die AfD zum »Verdachtsfall« erheben. Es gebe »ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei«, befand das Gericht.
Für die AfD ist die Entscheidung eine Niederlage, die Einstufung als »Verdachtsfall« bedeutet einen tiefen Einschnitt – war die Partei 2013 bei ihrer Gründung doch als selbst ernannte »Rechtsstaatspartei« angetreten. Nun muss sie damit rechnen, dass der Verfassungsschutz bald Funktionäre der Partei auch mit der ganzen Bandbreite an Geheimdienstmethoden überwachen kann – Telefone abhören, E-Mails mitlesen, bezahlte Informanten anwerben.
Vorsitzender Richter Huschens: Verfassungsschutz als »Frühwarnsystem«
Foto: Federico Gambarini / dpa
Richter Huschens machte gleich zu Beginn der Sitzung deutlich, in dem Verfahren gehe es nicht um Kleinigkeiten. Schließlich schütze das Grundgesetz in Artikel 21 die freie Betätigung von Parteien. Ein Verbot sei nur als »härteste Stufe der wehrhaften Demokratie« vorgesehen.
Andererseits müsse der Verfassungsschutz als »Frühwarnsystem« auch nicht darauf warten, »bis das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist«. Eine Einstufung als Verdachtsfall diene der Gefahrenerforschung, erläuterte Richter Huschens – sowie man eine »Probebohrung« vornehme, »wenn ein Erdreich nach Öl riecht«.
Es war ein erster Wink, in welche Richtung die Kammer tendierte.
Der Prozessvertreter des Bundesamts für Verfassungsschutz, Rechtsanwalt Wolfgang Roth, zitierte in der Verhandlung nochmals zahlreiche Aussagen von AfD-Funktionären, mit denen die Behörde ihre Überwachungspläne begründet hatte. So habe etwa Björn Höcke, Thüringer AfD-Landeschef und Frontmann des inzwischen formal aufgelösten völkisch-nationalistischen Partei-»Flügel«, in einem Buch davor gewarnt, dass die schwarze und die weiße Bevölkerung »in einer Masse aufgegangen« sein werde, was er als »Amerikanisierung« beschrieb. »Diesen Abstieg sollten wir Europäer vermeiden und die Völker bewahren«, schrieb Höcke.
Rechtsanwalt Roth trug vor, dass der »Flügel«-Einfluss auf die Partei erheblich sei. Zahlreiche Landesverbände, vor allem im Osten, seien inzwischen von der völkischen Strömung der AfD dominiert.
Aber nicht nur der »Flügel« vertrete ein ethnisches Volksverständnis, das mit dem Grundgesetz schwer in Einklang zu bringen sei, so Roth. Bereits im AfD-Grundsatzprogramm werde eine »höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung« propagiert.
Führende Vertreter der Partei benutzten unter Rechtsextremen verbreitete Wörter wie »Umvolkung« oder »Bevölkerungsaustausch«. Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland habe der Fußball-Nationalmannschaft attestiert, »schon lange nicht mehr deutsch« im »klassischen Sinn« zu sein – gemeint gewesen seien Spieler mit Migrationshintergrund oder dunkler Hautfarbe.
Der Prozessvertreter der AfD, Rechtsanwalt Christian Conrad, warf dem Verfassungsschutz vor, »einseitig belastend zu ermitteln«. Ein mehr als tausend Seiten dickes Gutachten des Amts zur AfD enthalte vielleicht einzelne Aussagen, bei denen die rote Linie überschritten sei. In den meisten Fällen würden aber bloß Mutmaßungen angestellt und Äußerungen aus dem Kontext gerissen, argumentierte er. Viele Aussagen seien nicht so eindeutig, wie der Verfassungsschutz es darstelle. Islamkritisch hätten sich etwa auch CSU-Politiker wie Horst Seehofer geäußert, ohne ins Visier des Inlandsgeheimdiensts zu geraten, sagte Conrad.
Die Bedeutung des »Flügel« spielte der Prozessbevollmächtigte der AfD herunter. Der »Flügel« sei »Herr Höcke, mit vielleicht einer Handvoll weiterer Personen« – wie der Verfassungsschutz auf eine Zahl von 7000 »Flügel«-Mitgliedern komme, sei nicht nachvollziehbar. In der rund 30.000 Mitglieder zählenden Partei spiele die Strömung jedenfalls keine ernsthafte Rolle, behauptete Conrad. Als Zusammenschluss habe der »Flügel« sich bereits im April 2020 aufgelöst.
Vergebliche Beschwichtigungsversuche
Höcke sei der Vorsitzende eines kleinen Landesverbands, sagte auch AfD-Parteichef Tino Chrupalla. Höcke sei nur medial groß gemacht worden, »auch mit Äußerungen, von denen ich mich distanzieren würde«.
Die Beschwichtigungsversuche der AfD nützten nichts, zumindest nicht in der zentralen Frage. Der »Flügel« sei zwar formal aufgelöst worden, befand das Gericht. Seine Protagonisten übten aber teils weiter »maßgeblichen Einfluss innerhalb der Partei aus«. Sowohl Vertreter des »Flügel« als auch die Jugendorganisation der AfD, die »Junge Alternative« (JA), propagierten einen »ethnisch verstandenen Volksbegriff«, wonach »Fremde« möglichst ausgeschlossen bleiben sollten.
Die Beobachtung der AfD als »Verdachtsfall« erachtete das Gericht auch deshalb als gerechtfertigt, weil die Gesamtpartei sich in einem Richtungsstreit befinde, »bei dem sich die verfassungsfeindlichen Bestrebungen durchsetzen könnten«. Bei der Entscheidung dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass der langjährige Co-Parteichef Jörg Meuthen im Januar die AfD verließ – und »klar totalitäre Anklänge in der Partei« beklagte.
Erfolgreich war die AfD mit zwei weiteren Klagen, die allerdings nun weniger relevant erschienen. So darf das Bundesamt den »Flügel« nicht mehr als »gesichert extremistische Bestrebung« bezeichnen. Dabei ging es jedoch weniger um inhaltliche Argumente. Vielmehr habe das Bundesamt nicht mit der nötigen Gewissheit nachweisen können, dass die Parteiströmung nach ihrer Auflösung noch weiterexistiere und somit vom Verfassungsschutz als eigenständiges Beobachtungsobjekt behandelt werden könne.
Ebenso wenig darf das Amt weiter behaupten, der »Flügel« habe rund 7000 Mitglieder. Eine entsprechende Schätzung der Behörde erschien den Richtern nicht fundiert genug.
»Uns hat das Urteil des Gerichts überrascht«, sagte Parteichef Chrupalla. Natürlich sei er auch enttäuscht, »ist ja ganz klar«. Er kündigte an, man werde prüfen, gegen das Urteil vorzugehen. Gegen die Entscheidung kann beim Oberverwaltungsgericht in Münster Berufung eingelegt werden.