Guten Abend, das sind heute unsere Fragezeichen:
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Ist die Ukraine wehrhafter, als fast alle geglaubt haben?
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Wie können wir den Flüchtlingen aus der Ukraine helfen?
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Was hilft gegen Doomscrolling?
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1. Das Waffendilemma
Gibt es eine realistische Chance, dass die Ukraine Putins Armee besiegt? Zu meiner Überraschung hat der ehemalige Viersternegeneral und Nato-Befehlshaber Egon Ramms diese Frage gestern Abend bei »Anne Will« mit Ja beantwortet. Putin habe die Widerstandskräfte seines Gegners völlig falsch eingeschätzt. Sein Angriff stocke, viele seiner Panzer seien zerstört. Ramms sagte: »Ich bin davon überzeugt, dass die Ukraine – die Bevölkerung und die Streitkräfte – diesen Krieg gewinnen kann.«
Ich kann nicht beurteilen, ob der Ex-General recht hat. Doch falls es so wäre: Was bedeutet das für uns und unsere Unterstützung?
Eine aus der Ukraine geflüchtete Frau im polnischen Medyka
Foto: Markus Schreiber / dpa
In vielen Kommentaren der vergangenen Tage habe ich gelesen, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis Putin die Ukraine besiegt. Es sei deshalb falsch, die ukrainischen Soldaten mit Waffen zu unterstützen, weil es den Krieg nur schlimmer mache und das Leiden der Menschen vergrößere. Ich hielt diese Argumentation für zynisch. Aber wenn man Putins Sieg für gesetzt hält, folgt sie einer gewissen Logik. Jakob Augstein drückte es im »Freitag« so aus: »Der Westen verlängert mit seinen Waffenlieferungen den Krieg. Sobald unsere Waffen dort zum Einsatz kommen, sind es nicht mehr nur Putins Tote, es sind dann auch unsere.«
Wenn man jedoch glaubt, dass die Ukraine eine zumindest kleine Chance auf den Sieg hat, sieht die Sache anders aus. Der Westen könnte dann einen wichtigen Beitrag leisten, um den Aggressor zu stoppen. Es wäre nicht falsch, der Ukraine militärisch beizustehen, sondern, im Gegenteil, moralisch geboten.
Ich fürchte, auf die Frage nach Waffenlieferungen gibt es keine einfache Antwort. Aber der Ukraine eine schnelle Niederlage zu wünschen, weil es dadurch weniger Tote gebe, ist eine ziemlich anmaßende Position. Es liegt nicht an uns, zu entscheiden, ob die Ukrainer aufgeben oder kämpfen. Und wenn sie sich fürs Kämpfen entscheiden, sollten wir ihnen helfen.
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Lesen Sie hier mehr: Luftangriffe auf Charkiw, Hunderttausende auf der Flucht – so ist die aktuelle Lage
2. Deutschland und die Flüchtlinge: So können Sie helfen
Putins Angriff auf die Ukraine hat die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Mehr als 1,7 Millionen Menschen haben nach Schätzung der Vereinten Nationen ihr Heimatland bereits verlassen, davon gut eine Million allein nach Polen. Nach Deutschland kamen bislang offiziell nur 50.000 Flüchtlinge, wie das Bundesinnenministerium heute bekannt gab. Die tatsächliche Zahl dürfte aber höher liegen, da nicht alle Einreisenden erfasst wurden.
Ich bin am Wochenende im Berliner Hauptbahnhof gewesen, wo derzeit täglich mehr als 10.000 Flüchtlinge ankommen. Hier ist mithilfe Freiwilliger eine Art Notaufnahme entstanden. Zum Glück ist es im Bahnhof trocken und nicht so kalt wie draußen. Im Untergeschoss gibt es etwas Nahrung, Kleider, SIM-Karten fürs Handy, Bustickets für die Weiterfahrt, Kinderspielzeug. Helfer nehmen Menschen in Empfang, die auf der Suche nach einer Unterkunft sind, die Vermittlung läuft spontan vor Ort auf Zuruf. Andere übersetzen Formulare und Busfahrpläne; die Russisch sprechenden erkennt man an ihren leuchtenden Westen.
Tausende Flüchtlinge aus der Ukraine kommen täglich in Berlin an (Foto vom 4. März)
Foto: IMAGO/Stefan Zeitz
Es geht erstaunlich ruhig und organisiert zu, trotzdem zerreißt es einem das Herz. Die allermeisten Flüchtlinge sind Frauen und Kinder, dazwischen einige Ältere. Ihre Erleichterung darüber, sich in Sicherheit gebracht zu haben, dürfte bei vielen überlagert werden von der Angst um ihre Männer, Söhne und Brüder, die in der Ukraine geblieben sind.
Wie ist Deutschland auf die Flüchtlinge vorbereitet? Wird sich das Chaos von 2015 wiederholen, als etwa vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales, dem berüchtigten Lageso, Tausende Menschen tagelang im Schlamm lagerten?
Meine Kolleginnen und Kollegen Katrin Elger, Tobias Großekemper, Serafin Reiber und Hannes Schrader haben die Lage in Deutschland recherchiert und auch mit Flüchtlingen gesprochen. Es spricht einiges dafür, dass die Behörden diesmal besser aufgestellt sind als 2015. »Diese völlige Überforderung staatlicher Institutionen wird sich nicht wiederholen«, sagt Werner Schiffauer, Mitglied des Rats für Migration. Ermutigend sei im Moment zudem, dass es wieder eine breite Mobilisierung innerhalb der deutschen Gesellschaft gebe, um den Geflüchteten zu helfen.
Sollten Sie sich fragen, was Sie für die Menschen aus der Ukraine tun können: In diesem Text finden Sie Möglichkeiten zur Spende.
Hilfe für die Menschen in der Ukraine – hier können Sie spenden
Spendenkonto: Commerzbank
IBAN: DE65 100 400 600 100 400 600
BIC: COBADEFFXXX
Onlinespenden: aktionsbuendnis-katastrophenhilfe.de
Im Aktionsbündnis Katastrophenhilfe haben sich Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Unicef und Diakonie Katastrophenhilfe zusammengeschlossen.
DE62 3702 0500 0000 1020 30
BIC: BFSWDE33XXX
Bank für Sozialwirtschaft
Onlinespenden: Aktion Deutschland Hilft e.V.
Spendenkonto: Sparkasse Münsterland Ost
IBAN DE46 4005 0150 0062 0620 62
BIC: WELADED1MST
Spendenkonto: Deutsche Kreditbank
IBAN: DE06 1203 0000 1004 3336 60
BIC: BYLADEM1001
Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft
IBAN: DE29 100 20 5000 100 20 5000
BIC: BFSWDE33BER
Onlinespenden: spenden.entwicklung-hilft.de
In dem Bündnis sind Brot für die Welt, Christoffel-Blindenmission, Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, Kindernothilfe, medico international, Misereor, Plan International, terre des hommes, Welthungerhilfe.
IBAN: DE63370205000005023307
BIC: BFSWDE33XXX
Stichwort: Nothilfe Ukraine
Spendenkonto: Sparkasse Kaufbeuren
IBAN: DE35 7345 0000 0000 0047 47
BIC: BYLADEM1KFB
Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft
IBAN: DE92 1002 0500 0003 292912
BIC: BFSWDE33BER
Spendenkonto: GLS Gemeinschaftsbank
IBAN: DE22 4306 0967 2222 2000 00
Spendenkonto: Sparkasse Köln Bonn
IBAN: DE78 3705 0198 0020 0088 50
BIC: COLSDE33
Onlinespenden über: uno-fluechtlingshilfe.de
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Lesen Sie hier mehr zur Ankunft Geflüchteter aus der Ukraine in Berlin: Eltern, Oma, zwei Kinder, ein Labrador, acht Katzen
3. Doomscrolling: Wie soll man jetzt noch arbeiten?
In der Ukraine sterben Menschen, ein Atomkrieg könnte ausbrechen – und wir sollen einfach weiter unseren Job machen? Das fällt vielen Menschen schwer, wie meine Kollegin Verena Töpper schreibt. Zumal wir nach zwei Jahren Pandemie ohnehin angeschlagen sind. Von Verena habe ich den Begriff »Doomscrolling« gelernt, den Impuls, alle paar Minuten aufs Handy zu schauen, um die neuen Katastrophenmeldungen zu lesen.
Verena hat die Beraterin Reinhild Fürstenberg gefragt, wie wir mit der Angst besser umgehen können. Ein Tipp lautet, ein Gedankentagebuch zu führen. »Die Gedanken schwirren einem dann nicht mehr im Kopf herum, sondern haben einen Platz gefunden«, sagt Fürstenberg. »Wenn ich dann das Notizbuch oder den Zettel wegpacke, kann ich mich wieder leichter auf andere Dinge konzentrieren.«
Gegen das Doomscrolling helfe nur, das Handy abzuschalten. »Das erfordert viel Disziplin«, sagt Fürstenberg. »Mein Rat: klein anfangen. Push-Benachrichtigungen abschalten. Sich vornehmen, mal eine Stunde lang keine Nachrichten zu lesen. Wenn das geklappt hat, noch mal eine Stunde dranhängen. Der Reiz ist da, aber ich kann selbst entscheiden, ob ich ihm nachgebe.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Wie soll man jetzt noch arbeiten?
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Sieben-Tage-Inzidenz steigt weiter leicht: Das RKI hat 78.428 Coronaneuinfektionen registriert. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz stieg derweil weiter an – den fünften Tag in Folge. Innerhalb eines Tages starben 24 weitere Menschen im Zusammenhang mit dem Virus.
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Elizabeth II. empfängt nach Coronainfektion Besuch auf Schloss Windsor: Der Queen geht es nach körperlichen Beschwerden und einer Coronainfektion offenbar besser. Die Monarchin hat zum ersten Mal seit Langem einen Staatsgast empfangen – im Fokus stand ein Blumenstrauß.
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Kriminelle Hacker erbeuten interne Daten von Samsung: Der Handyhersteller Samsung ist Opfer eines Cyberangriffs geworden. Mit dem Datenabfluss prahlt eine Hackergruppe, die gerade noch eine weitere große Firma erpresst.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Die Mauer muss weg
Wo immer in Deutschland eine neue Wohnsiedlung entsteht, ist auch die Gabionenmauer nicht weit, jene mit Steinen gefüllte Drahtwand, die straßenseitig immer einen etwas feindseligen Eindruck macht. Das Schüttgut im Drahtkorb soll angeblich einen Lebensraum für Insekten und andere Kleinlebewesen bieten. Viele Häuslebauer scheinen die Trutzoptik der Gabione allerdings auch einfach nur schön zu finden. Meine Kollegin Barbara Supp hat einen Nachbarn, der an seinem Zaun eine Fototapete angebracht hat, die wie eine Gabione aussieht.
Wenn alles gesagt ist, bückt man sich wieder zum Löwenzahn. So war das früher. Warum machen die Leute heute so was?
Foto: U. J. Alexander / Getty Images/iStockphoto
»Warum ziehen sich Menschen hinter Schutzwälle zurück?«, fragt Barbara. »Zum Schutz vor Neid auf den neuen Weber-Grill? Zum Schutz vor Einbrechern?« Das wäre eine schlechte Idee, denn die Einbrecher könnten gemütlich arbeiten im Schutz der hohen Mauer, durch die sie keiner sieht.
Barbara trauert den alten Vorgärten hinterher, sie schreibt: »Der Vorgarten – er ist eigentlich, so kenne ich das von früher, ein halböffentlicher Raum. Er ist dazu da, dass man mit denen ins Reden kommt, die vorbeigehen oder die im Nachbargarten stehen. Man ist zu nichts verpflichtet und doch ansprechbar. Man geht die Ereignisse in der Nachbarschaft durch und die in der Weltpolitik, wenn man mag, und wenn alles gesagt ist, bückt man sich wieder zum Löwenzahn.«
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Lesen Sie hier die ganze Gartenkolumne: Warum ziehen sich heute so viele Menschen hinter hässliche Mauern zurück?
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Showdown im Kristallsaal: Darf der Verfassungsschutz die AfD überwachen? Darüber verhandelt am Dienstag das Kölner Verwaltungsgericht. Der Inlandsgeheimdienst kann auf einen prominenten Kronzeugen verweisen: Ex-Parteichef Meuthen.
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»Frauen wählen nicht absichtlich schlechter bezahlte Berufe«: Warum verdienen Frauen weniger als Männer? Warum finden Männer in manchen Branchen schwerer einen Job? Die Soziologin Karin Gottschall beschreibt, wie das Geschlecht den Arbeitsmarkt strukturiert. Und was dagegen hilft.
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»Tötet sie alle«: Das Land soll 2026 die Fußball-WM mit ausrichten – nun fast undenkbar. In Mexiko überfallen Ultras während eines Spiels gegnerische Anhänger mit Eisenstangen und Messern. Behörden dementieren, dass es Tote gab.
Was heute weniger wichtig ist
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Superheld mit Minderwertigkeitskomplex: Tom Holland, 25, haderte lange mit seiner Körpergröße. »Zu Beginn meiner Karriere hatte ich deswegen große Selbstzweifel«, sagte der britische Schauspieler der Nachrichtenagentur dpa in London. Das sei auch so gewesen, als er die Rolle als »Spider-Man« bekommen habe. Holland soll 1,73 Meter groß sein. Inzwischen habe er seinen Komplex aber besiegt. »Ich kann nicht plötzlich ein paar Zentimeter wachsen«, sagte Holland. »Also macht es keinen Sinn, darauf Energie zu verschwenden.«
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Außenministerin Annalaena Baerbock (Grüne) sagte in der ARD-Sendung ›Anne Will‹, ein möglicher Stopp müsse auf Monate tragen und gut vorbereitet werden.«
Cartoon des Tages: Wie…?! Du konntest keine Hausaufgaben machen?
Foto: Thomas Plaßmann
Und heute Abend?
Meine Kollegin Nora Gantenbrink mag Rapmusik. Ihr zwei Jahre alter Sohn inzwischen auch. Kürzlich fuhren die beiden mit dem Auto durch die Stadt, als Noras Spotify-Playlist einen älteren Deutschrap-Song spielte, »2010« von Sido und Haftbefehl. Das Lied handelt davon, dass die beiden die Allergrößten sind, musikalisch, aber auch in sexueller Hinsicht. An einer Stelle heißt es: »Ich vögel’ jeden Tag, weil mich meine Groupies lieben – Guck, deine Cousine lutscht mir einen im Q7.« Das fand Noras Sohn interessant.
Illustration: Thilo Rothacker
»Von hinten krähte es plötzlich: ›Kuhsieben‹«, schreibt Nora: Ich sah meinen Sohn, hoch vergnügt. »Mama, Kuhsieben!« Ich schaltete das Lied aus. Ich stellte mir vor, wie mein Sohn in seiner Kita im Hamburger Stadtteil Sankt Pauli, Brokkoligemüse kauend, krähte: »Deine Cousine lutscht mir einen im Kuhsieben.«
Sollten Sie Kinder haben und auf der Suche nach Alternativen zu Sido und Haftbefehl sein, hat Nora einen Musiktipp für Sie: »Oh Yeah!« von Dikka, dem rappenden Zeichentricknashorn. Die Songs heißen »Superpapa«, »Ich geh‘ nicht ins Bett« oder »Pommes mit Mayo«. Das Lieblingslied von Noras Sohn geht so: »Der Panda macht Breakdance-Schritte mit dem Reiher – Die Maus und die Giraffe tanzen Po an Po – Ey, wenn ihr fragt, was wir hier machen, geht die Antwort so – Wir machen Party im Zoo – Party im Zoo.«
Ihr Sohn sage jetzt sehr oft am Tag: »Mama, Party im Zoo«, schreibt Nora. »Wir drehen die Anlage laut und tanzen. Er hat schon lange nichts mehr vom Kuhsieben erzählt. Ich bin eigentlich ganz zufrieden.«
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Lesen Sie hier die ganze Homestory: Das Reimemonster
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Alexander Neubacher
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