Immer mehr Menschen fliehen aus der Ukraine vor der Invasion der russischen Truppen. Hier, am größten Grenzübergang zur Slowakei haben in den vergangenen dreieinhalb Tagen rund 25.000 Menschen die Grenze in die europäische Union überquert. Insgesamt haben bislang fast 400.000 Menschen die Ukraine verlassen.
Steffen Lüdke, DER SPIEGEL
»Knapp 400.000! Das ist eine Fluchtbewegung historischen Ausmaßes, muss man konstatieren. Zum Vergleich: 2015, die Flüchtlingskrise, von der wir so lange gehört und geredet haben – da ging es um ein bis zwei Millionen Flüchtlinge, die innerhalb von einem Jahr in die EU gekommen sind. Jetzt gerade rechnen Hilfsorganisationen damit, dass die Zahl der Schutzsuchenden noch größer sein wird. Die Prognosen reichen von vier bis fünf Millionen. Es kommen vor allem Frauen und Kinder an, mit Rollkoffer, mit Plastiktüten, einige haben auch Stofftiere dabei. Die Männer werden nicht durchgelassen. Die ukrainische Regierung hat eine Generalmobilmachung verkündet: 18- bis 60-Jährige müssen kämpfen. Oft fahren sie ihre Familien an die Grenze, müssen dann umdrehen und die Frauen und die Kinder kommen dann zu Fuß hier rüber. Es gibt großes Gedränge, aber es jeder wieder durchgelassen, auch Menschen ohne Pass. Der Malteser-Hilfsdienst ist hier, das Rote Kreuz ist hier, und die verteilen Essen. Die Erstversorgung wird von denen übernommen. Die Grenzbeamten helfen den Flüchtlingen dabei, ihre Rollkoffer zu ziehen, weisen den Weg zu den Helfern. Die Flüchtlinge werden direkt weiter transportiert, Freiwillige kommen sogar aus Deutschland. Ich habe einen jungen Mann getroffen, der aus Köln mit einem Transporter angereist ist, um zu helfen. Das ist ein extremer Politikwechsel. Es war undenkbar bis vor kurzem, dass europäische Grenzbeamte Flüchtlingen, Asylsuchenden dabei helfen, in die EU zu gelangen und dabei helfen in die Autos von Helfern zu gelangen. Das war schlicht undenkbar.«
Rund 30 Kilometer weiter nördlich besuchte am Sonntag die slowakische Präsidentin einen Grenzübergang zur Ukraine.
Zuzana Čaputová, Präsidentin Slowakei
»Alle Opfer in der Ukraine liegen in der Verantwortung Wladimir Putins. Die internationale Gemeinschaft schaut genau hin, und wir waren noch nie so vereint. Wenn Wladimir Putin versucht, uns zu spalten, ist er damit gescheitert. Wir sind vereint, entschlossen, unsere Länder zu verteidigen und natürlich der Ukraine zu helfen.«
Mehr als 100.000 ethnische Ungarn leben auf Seiten der Ukraine in der Grenzregion. Vor allem sie suchen jetzt hier den Weg über die Grenze ins Nachbarland, an diesem Grenzort kam in der vergangenen Nacht ein Sonderzug an. Viele besitzen die doppelte Staatsbürgerschaft, deswegen haben bislang nur wenige Menschen in Ungarn Asyl beantragt. Traumatisiert sind sie trotzdem.
Aluna, Geflüchtete aus der Ukraine
»Niemand von uns hat einen Krieg erwartet, niemals. Wir dachten, das ist etwas, von dem man gerade viel redet oder als wenn man gerade einen Film geschaut hat.«
Lessia, Geflüchtete aus der Ukraine
»Mein Vater ist beim Militär, also ist er in Kiew. Er verteidigt Kiew. Und meine Familie, meine Mutter und meine Schwester und meine Kinder, meine Katze, sie sind alle in der Westukraine geblieben. Da gibt es ein Haus, da ist es sicher, aber auch nicht wirklich. Letzte Nacht haben die Sirenen geheult.«
Schon mehr als 100.000 Menschen sind bislang nach Polen geflüchtet, so viel wie in kein anderes an die Ukraine angrenzendes Land. Die polnische Regierung hat bislang acht Aufnahmezentren eingerichtet. Die Staus auf ukrainischer Seite sind schon jetzt bis zu 30 Kilometer lang – bis zu einer Million Flüchtlinge werden in Polen erwartet. Eine von ihnen hat eine klare Botschaft – an alle Europäer.
Sofiia Kochmayr-Tymoshenko, Geflüchtete aus der Ukraine
»Es kann Ihnen auch passieren, in jedem Haus in Europa. Denn niemand weiß, was Putin will und wo er enden wird. Was Sie also in den Medien sehen, ist nicht etwas, was weit weg ist. Sie sollten spüren, dass es Ihr Zuhause genauso betrifft wie mein Zuhause.«
Oleg Herdt, Ukrainer aus Deutschland
»Ja, ich gehe jetzt kämpfen, wegen meiner Mutter, meiner Schwester, Schwager, Freunde. Ich bin 2000 Kilometer gefahren, ich hab drei Kinder zugelassen und meine Frau. Und trotzdem gehe, ich kann so nicht leben.«
Diese Frau ist aus Deutschland gekommen, um eine Freundin von der Grenze abzuholen.
Helen Rochelmeyer, aus Deutschland
»Alle Menschen verlieren ihre Heimat, ihr Zuhause. Es ist unvorstellbar, was hier gerade passiert. Die Hoffnung ist, dass wir alle aufwachen und dass es nur ein Traum ist. Aber das wird nicht passieren. Und ja, jetzt müssen wir schauen, dass wir diese Menschen soweit es geht auffangen können.«
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