Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um ein Gedankenspiel: Was wäre, wenn Trump und Merkel noch regierten, aus Putins Plänen geworden? Außerdem: Wie sich der ukrainische Präsident opfert.
Trump und Putin
Heute wird in Orlando, Florida, die konservative CPAC-Konferenz fortgesetzt. Es geht auch um die russische Aggression in der Ukraine. Die Veranstalter der »Conservative Political Action Conference« beschreiben das jährlich stattfindende Treffen als »eine der größten und einflussreichsten Zusammenkünfte von Konservativen weltweit«. Ex-US-Präsident Donald Trump wird auch dabei sein. Er ist dort in den vergangenen Jahren bereits der Hauptredner gewesen. Sein Auftritt wird für den Abend erwartet.
Trump und Putin im Juli 2018 in Helsinki
Foto: BRENDAN SMIALOWSKI/ AFP
Am Mittwochabend (Ortszeit) hat Trump in einem Telefoninterview des Senders Fox News gesagt, er habe sich als Präsident »fantastisch« mit Putin verstanden. Unter seiner Regierung hätte es niemals Krieg in der Ukraine gegeben.
In der Geschichtswissenschaft gelten Überlegungen, wie Geschichte auch anders hätte verlaufen können, als unseriös. In den Künsten aber sind solche Gedankenspiele reizvoll. Tom Tykwers Film »Lola rennt« zeigt dreimal dieselbe Zeitspanne von zwanzig Minuten – jedes Mal verändern Zufälle den Ablauf des Geschehens. Auch der deutsche Intellektuelle, Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge erzählte neulich im SPIEGEL-Gespräch, er stelle sich immer wieder vor, durch welche Zufälle Geschichte einen anderen Verlauf hätte nehmen können, er suche nach »Schlupflöchern der Geschichte«, so nennt er das.
Hätte es also unter Trump keine russische Invasion in der Ukraine gegeben? Gut möglich. Trump hat sich bei Putin angebiedert. Er war als Nationalist und Möchtegern-Autokrat, der sein Land destabilisiert, ein Herrscher nach Putins Geschmack. Die westliche Welt war von Trumps närrischem Verhalten paralysiert und somit keine Bedrohung für Putin. Eine Erholung der liberalen Demokratien nach Trumps Abwahl und nach dem erhofften Ende der Pandemie aber wäre dem russischen Präsidenten gefährlich geworden. Mit seinem Angriff auf die Ukraine fordert er nun die liberale Demokratie als Idee und Prinzip heraus. Am liebsten wäre es ihm wohl, er könnte sie vernichten.
Merkel und Putin
Treibt man dieses Gedankenspiel weiter, stellt sich auch eine andere Frage. Hätte Putin angegriffen, wenn Angela Merkel (CDU) noch Kanzlerin wäre? Gut behandelt hat er sie nie, dass er aber eine Art Respekt vor ihr hatte, das gilt als wahrscheinlich. Anders als Macron, Scholz, Biden, Draghi, kennt Merkel die Welt, die Putin geprägt hat. Putin und Merkel haben zur selben Zeit in der DDR gelebt, aber in entgegengesetzten Sphären. Er als KGB-Agent, sie als Naturwissenschaftlerin und Tochter eines Pfarrers. Sie spricht seine Sprache, er spricht ihre Sprache. Und sie macht sich keine Illusionen, wenn es um andere Menschen geht.
Merkel und Putin im Januar 2020 in Moskau
Foto: PAVEL GOLOVKIN / AFP
Das Erstaunen westlich geprägter Politikerinnen wie Annalena Baerbock (Grüne) darüber, dass Putin lügt, wird Merkel fremd sein. Ja, was denn sonst? Der Mann trauert doch vor den Augen der Welt den lieben langen Tag dem Zwangssystem der Sowjetunion nach. Vieles spricht dafür, dass er den Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit nicht einmal kennt.
Wir werden nie erfahren, ob Putin mit Merkel auf der anderen Seite seines langen Verhandlungstisches gewagt hätte, was er nun gewagt hat. Und was er nun gewagt hat, nimmt Merkel als »tiefgreifende Zäsur« wahr, so hat sie es gestern gesagt.
Sie scheint also selbst zu sehen, dass nicht mehr gilt, was noch in ihrer Ära galt. Die Grundpfeiler ihrer Außenpolitik sind eingestürzt. Putin ging schon in ihrer Zeit zu weit und marschierte 2014 in der Krim ein, aber irgendwie führte ihre Appeasementpolitik doch dazu, dass damals ein Marsch auf Kiew undenkbar gewesen wäre. Aber diese Beschwichtigungspolitik hatte eben einen Preis: Im Verteidigungsministerium schien man das Prinzip der Abschreckung vergessen zu haben und war offenbar so tiefenentspannt, dass die Bundeswehr durch Reformen, Sparrunden und Verknappung heute nur noch bedingt abwehrbereit ist. »So mobil wie eine Wanderdüne« sei sie, schreiben meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Hauptstadtbüro.
Es kann aber derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass Putin in seinem offensichtlichen Wahn vor einem Angriff auf Nato-Partner nicht zurückschreckt. Dann träte Artikel 5 in Kraft – der Bündnisfall. Der angegriffene Natostaat müsste von allen anderen mit verteidigt werden, auch von Deutschland. Mit einer Wanderdüne als Armee? Wie soll das gehen?
Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht das Problem und sagt, das Verteidigungsministerium müsse besser ausgestattet werden. Zu Merkels Zeiten wäre das eine unpopuläre Haltung gewesen, denn die Bundeswehr war, so beschrieb es die Historikerin Hedwig Richter gestern treffend auf Twitter, »vielen aufrechten Deutschen noch nicht einmal als Beifahrerin in der Bahn zumutbar«. Heute weiß man, dass Merkel sich diesem Zeitgeist hätte entgegenstemmen müssen. Um des Friedens willen.
Selenskyj und Putin
So ändern sich in diesen Tagen auch die Urteile über Personen. Wer vor Kurzem immer noch dachte, Putin sei ein rational denkender Mensch und habe valide Gründe, sich gekränkt zu fühlen, muss einen schweren Irrtum eingestehen. Was ist das auch überhaupt für ein alberner Gedanke, ein Politiker dürfte Kränkungen zum Antrieb seines Handels machen?
Selenkyj nach seiner Wahl zum Präsidenten 2019
Foto: Gleb Garanich/ REUTERS
Das Urteil über Putins Gegenspieler aber fällt in diesen Stunden günstig aus: Wolodymyr Selenskyj, der ukrainische Präsident, scheint an seinem grausamen Schicksal zu wachsen. Er gilt als Putins Zielperson Nummer eins, so sieht es Selenskyj jedenfalls selbst. Er rechnet nicht damit, eine Schlacht um Kiew zu überleben, doch er bleibt dort, um sich Putins Häschern entgegenzustellen.
So furchtbar das ist: Er kann und sollte nicht anders handeln. Das, wofür er jetzt steht, wiegt schwerer als sein Leben. Sollte Putin zu Selenskyjs Mörder werden, richtet er sich erneut selbst.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Susanne Beyer