Den ganzen Tag über sind in Kiew immer wieder Explosionen zu hören: Wladimir Putins völkerrechtswidriger Angriff auf die Ukraine geht auch am zweiten Tag unvermindert weiter. Der Kremlchef beschimpft die ukrainische Regierung, die EU möchte sein Vermögen im Ausland einfrieren. Ein Überblick über die Entwicklungen des Tages.
Die Lage am Abend:
Vereinzelte Posten der russischen Armee sind bis in die Hauptstadt Kiew vorgedrungen. Das ukrainische Verteidigungsministerium meldete am Freitag russische »Saboteure« im nördlichen Stadtbezirk Obolon. Außenminister Dmytro Kuleba berichtete zudem von »schrecklichen russischen Raketenangriffen« auf die Millionenstadt. Einwohnerinnen und Einwohner versuchen massenhaft, Kiew zu verlassen.
Laut dem ukrainischen Verteidigungsministerium hat Russland bisher 2800 Soldaten »verloren«. Dabei war unklar, ob es sich um getötete, verwundete oder gefangene Soldaten handeln soll. Außerdem seien schätzungsweise bis zu 80 Panzer, mehr als 500 gepanzerte weitere Kampffahrzeuge sowie zehn Flugzeuge und sieben Hubschrauber zerstört worden. Die Angaben können derzeit nicht unabhängig überprüft werden. Russland hat bislang keine Verluste in den eigenen Reihen gemeldet.
AdvertisementDas Uno-Menschenrechtsbüro erklärte, es gebe Berichte über mindestens 127 zivile Opfer in der Ukraine, davon 25 Tote und 102 Verletzte. Die eigentliche Zahl dürfte aber weitaus höher liegen. Das ukrainische Verteidigungsministerium rät Kiews Einwohnern, eigene Molotow-Cocktails – Brandsätze – zum Kampf vorzubereiten. Zudem sollen Bürgerinnen und Bürger Sichtungen über russische Militärtechnik melden.
Wjatscheslaw ist bereit, wenn Putins Panzer kommen
Aus Kiew berichtet Jonathan Stock
Vor acht Jahren floh er aus dem umkämpften Donbass. Heute ist Wjatscheslaw Hausmeister in Kiew, lernt Schießen im Wald und sichert einen Bunker für 1500 Menschen. »Wir haben Krieg – und versuchen ruhig zu bleiben.« Hier weiter lesen
Zivilist Wjatscheslaw bei Kampfübungen im Kiewer Wald: »Die sind schon so lange eingesperrt«
Foto:
Maxim Dondyuk / DER SPIEGEL
Was Kiew sagt:
Der jüdische Staatschef Wolodymyr Selenskyj sagte, das Vorgehen Russlands erinnere an den Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion und die darauffolgende Besetzung der Ukraine.
Mal mit T-Shirt, mal mit Pullover im Militärlook meldete sich Selenskyj immer wieder per Videoclip zu Wort und forderte die Bevölkerung auf, ihr Land zu verteidigen. Der Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gegen den russischen Angriff sei »heldenhaft«. Selenskyj kündigte an, er werde trotz der Bedrohung für ihn persönlich in der ukrainischen Hauptstadt bleiben. »Nach unseren Informationen hat der Feind mich als Ziel Nummer eins ausgemacht. Und meine Familie als das Ziel Nummer zwei.«
Zugleich kritisierte der Präsident den Westen, der die Ukraine allein lasse, nicht zu Hilfe komme: »Wir verteidigen unseren Staat allein. Die mächtigsten Kräfte der Welt schauen aus der Ferne zu.«
Valerii Zaluzhnyi, Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, drohte den russischen Angreifern auf Facebook mit einer Botschaft: »Willkommen in der Hölle«
Putins Angriff gilt nicht nur der Ukraine – er gilt Europa
Der SPIEGEL-Leitartikel von Maximilian Popp
Mit dem Krieg in der Ukraine beginnt eine neue, gefährliche Epoche in der Weltpolitik. Wenn die Europäer darin überleben wollen, müssen sie sich wehren. Hier weiter lesen
Beschädigte Luftabwehranlage in Mariupol: Größtmögliche Katastrophe
Foto:
Evgeniy Maloletka / AP
Der Angriff, der die Welt verändert
Die SPIEGEL-Titelgeschichte
Wie reagieren die Menschen in der Ukraine auf den Überfall? Was denkt die russische Bevölkerung? Ein SPIEGEL-Team berichtet aus dem Kriegsgebiet und analysiert, was Wladimir Putins Großmachtstreben für die Weltordnung bedeutet. Hier weiter lesen
Russische Soldaten auf der Krim: Giftiger Angriff
Foto: Sergei Malgavko / ITAR-TASS / IMAGO
Was der Kreml sagt:
Aus Moskau gab es widersprüchliche Töne.
Zum einen signalisierte Putin Gesprächsbereitschaft – er wolle sich mit »einer hohen Ebene« der ukrainischen Regierung zu Gesprächen treffen. Putins Bedingung für ein Gespräch soll jedoch die Kapitulation der Ukraine sein. Kremlsprecher Dmitri Peskow hatte zuvor gesagt, man könne Friedensverhandlungen im mit Russland verbündeten Belarus abhalten. Schon allein dieser Ort dürfte jegliche Anbahnung von Gesprächen zunichte machen.
Zugleich beschimpfte Putin später seinen potenziellen Gesprächspartner und rief die ukrainische Armee zum Umsturz auf. »Nehmt die Macht in eure eigenen Hände. Mir scheint, Verhandlungen zwischen Euch und uns wären einfacher«, sagte Putin in einer an die ukrainischen Streitkräfte gerichteten Rede, die im russischen Fernsehen übertragen wurde. Die Mitglieder der ukrainischen Regierung bezeichnete Putin als »Bande von Drogenabhängigen und Neonazis« und »Terroristen«. Es gibt allerdings keinerlei Anzeichen, dass Putins Aufruf zum Staatsstreich bei den ukrainischen Streitkräften die von Putin gewünschte Wirkung hatte.
Putins große Propaganda-Show
Kreml-Verehrung in Dauerschleife: Der russische Staatssender RT DE verbreitet in Deutschland live Propaganda aus Moskau – obwohl Medienwächter die Einstellung des linearen Programms verfügt haben. Wie kann das sein? Hier weiter lesen
RT-DE-Moderator Stefan Pollak live auf Sendung: Im Schatten Putins
Putins historischer Missbrauch
Ein Einwurf von Felix Bohr
Wladimir Putin hat den Angriff auf die Ukraine auch mit historischen Argumenten begründet. Sein Krieg zeigt, wohin es führen kann, wenn Geschichte in der Gegenwart instrumentalisiert wird. Hier weiter lesen
Wladimir Putin im vergangenen Jahr am Jahrestag des russischen Sieges über das Nazi-Regime
Foto: Mikhail Metzel / SPUTNIK / REUTERS
Wie die internationale Gemeinschaft reagiert:
Als Reaktion auf die russische Invasion verhängte die Europäische Union nun auch gegen Putin und Außenminister Sergej Lawrow Sanktionen. Möglicherweise in der EU vorhandene Vermögen der beiden Politiker sollen eingefroren werden. Für diplomatische Gespräche sollen sie nach den jüngsten Angaben aber weiter in die EU einreisen dürfen.
Es ist unklar, ob beide Vermögen in der EU haben. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verteidigte dennoch den Schritt: »Das wird Russland ruinieren.«
Das schärfste Sanktionsmittel kommt jedoch zumindest vorerst nicht: der Ausschluss Russlands aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift, mit dem russische Banken quasi vom globalen Finanzsystem abgeschnitten würden. Baerbock sagte, das würde einfache Russinnen und Russen deutlich mehr treffen als die Machthaber. Daher sei es als Option vom Tisch. Es gibt allerdings in Deutschland und international Stimmen, die genau dies fordern.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigte das Sanktionspaket als Zeichen der Einheit der EU. »Unsere Einigkeit ist unsere Stärke«, sagte sie. Putin versuche die Landkarte Europas neu zu zeichnen. »Er muss und er wird scheitern.«
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wandte sich in einer Ansprache an den Kremlchef: »Stoppen Sie den Wahnsinn dieses Krieges jetzt.« Russland habe unter »lügnerischen Vorwänden einen Angriffskrieg gegen die Ukraine entfesselt«, sagte Steinmeier.
So bereiten sich die Bundesländer auf die Flüchtenden vor
Die EU rechnet mit Hunderttausenden Flüchtlingen aus Osteuropa. In Deutschland weckt das Erinnerungen an die Krise 2015 – eine Regelung, die wegen der Balkankriege entstand, könnte den Neuankömmlingen helfen. Hier weiter lesen
Pro-Ukrainische Demonstration am Brandenburger Tor in Berlin
Foto: CLEMENS BILAN / EPA
Wie es weitergeht:
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind in der Ukraine bereits jetzt 100.000 Menschen auf der Flucht. Die Uno rechnet mit bis zu vier Millionen Schutzsuchenden, sollte sich die Situation weiter verschlechtern. Schon jetzt seien Tausende in Nachbarländer wie Polen, Moldau, die Slowakei und auch Russland geströmt, hieß es vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Die Ukraine hat etwa 42 Millionen Einwohner.
Außenministerin Baerbock sagte, man müsse alles tun, um Menschen zu schützen, die vor Bomben fliehen. »Wir werden alle aufnehmen, die fliehen«, versprach Baerbock. Die EU koordiniere das gemeinsam.
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Bereits am Donnerstag habe Deutschland fünf Millionen Euro an finanzieller Unterstützung für Flüchtlingsorganisationen an der Grenze des Landes bereitgestellt. Mit Polen werde die Verteilung von Schutzsuchenden koordiniert. »Wir werden die Menschen in der Ukraine in Sicherheit bringen«, sagte Baerbock.