Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Machtlos gegen Putin: Sind die Sanktionen ein Witz?
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Kinder und Corona: Weg mit der Maskenpflicht in den Schulen?
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Zwölf Euro pro Stunde: Wem hilft der neue Mindestlohn?
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1. Sind diese Sanktionen ein Witz?
Lässt sich Putin auf seinem Weg in die Ostukraine von den bislang angekündigten Wirtschaftssanktionen aufhalten? Die Wissenschaftlerin Elisabeth Schimpfössl von der London School of Economics ist nicht optimistisch. Sie hat beispielhaft untersucht, wie russische Banken und Oligarchen auf die Maßnahmen der britischen Regierung reagieren dürften. Prognose: mit Hohngelächter. Diese Sanktionen seien ein »Witz«, sagt Schimpfössl.
Es ist eine bittere Erfahrung für den Westen. Mit ein paar eingefrorenen Kontoguthaben, einigen Beschränkungen beim Im- und Export und selbst mit einem Trikotsponsorwechsel bei Schalke 04 ist Putin nicht zu besiegen. »Wir scheißen auf Ihre ganzen Sanktionen«, hatte Viktor Tatarinzew, Russlands Botschafter in Schweden, bereits kundgetan. Stattdessen dreht Russland den Spieß um. Der ehemalige Präsident und Vizechef des russischen Nationalen Sicherheitsrats, Dmitrij Medwedew, schrieb: »Herzlich willkommen in einer neuen Welt, wo die Europäer bald schon 2000 Euro pro 1000 Kubikmeter Gas zahlen werden!«
Medwedew zeigt in aller Unverfrorenheit auf, was die Krux an den Sanktionen ist. Sie treffen auch den Westen. Europa, gerade auch Deutschland, hängt am russischen Gas. Die Ökopläne der Ampelkoalition haben diese Abhängigkeit noch verstärkt. Während Deutschland aus Kohle- und Atomkraft aussteigt, sollen Gaskraftwerke als Brückentechnologie die Versorgung sicherstellen.
Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel glaubt trotzdem, dass ein Gasboykott der wirksamste Schritt wäre, um Russland zu treffen. Ein Handelsstopp hätte einen Einbruch der russischen Wirtschaftsleistung um 2,9 Prozent zur Folge. Das geht aus einer heute veröffentlichten Simulationsrechnung hervor.
Die deutsche Wirtschaftsleistung hingegen könnte laut IfW-Ökonom Hendrik Mahlkow bei einem Verzicht auf russisches Gas sogar leicht zunehmen. »Grund für das Plus ist, dass die westlichen Verbündeten die fehlenden Importe Russlands durch Produkte der Bündnispartner ersetzen würden und hier Deutschland besonders wettbewerbsfähig ist.«
Ich hoffe, der Mann hat recht. Zum Glück geht der Winter dem Ende zu. Die Bundesregierung hat nach SPIEGEL-Informationen ausgerechnet, dass Deutschland die nächsten Wochen ohne russisches Gas auskäme. Allerdings nur, wenn es im März oder April keinen längeren Frosteinbruch gibt.
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Lesen Sie hier mehr: Europas Gasversorgung ist erst einmal sicher – aber wie lange?
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Modellrechnung zu Sanktionen: Gasboykott würde Russland am härtesten treffen
2. Kinder, lasst die Masken weg
Seit sich herausgestellt hat, dass selbst 200.000 neue Coronainfektionen pro Tag nicht zu einer Überlastung des Gesundheitswesens führen, ist es im Team Vorsicht in Medien und Politik still geworden. Karl Lauterbachs düstere »500-Tote-täglich«-Prognose ist ausgeblieben, ebenso die massenhafte Triage auf den Intensivstationen. Von Virologin Melanie Brinkmann (»Bis Ostern droht ein Horrorszenario«) hat man schon länger nichts Vergleichbares mehr gehört. Und selbst die steten Warner vor einer angeblichen »Durchseuchungsstrategie« wie Jan Böhmermann kommen einem inzwischen eher wie »Querdenker« vor. Vielleicht sieht man sie demnächst auf einer Obstkiste predigend vor dem Kanzleramt.
Mein Kollege Jan Friedmann fordert, dass die Normalisierung der Verhältnisse nun auch jene erreichen muss, die sich in der Pandemie besonders solidarisch verhalten haben: Kinder und Jugendliche. Jan ist dafür, die Maskenpflicht in den Schulen abzuschaffen, und zwar »solange noch etwas übrig ist vom Schuljahr«. Die Jüngeren erkrankten selten schwer, sie könnten nicht auf Dauer für den Leichtsinn ungeimpfter Erwachsener haften. »Zigtausende Fans dürfen in die Fußballstadien, in gut gefüllten Kneipen und Diskotheken werden Wiedereröffnungspartys gefeiert. Aber in den Schulen bitte die Maske auf?« Das mache keinen Sinn.
Ja, Masken könnten Übertragungen verhindern, auch in Schulen. Doch schwerer wiege, dass Masken das Lernen erschweren. »Etwa für Migrantenkinder, die die deutsche Sprache erlernen. Oder die Jüngeren, die sich in das Zusammenspiel von Mimik, Gestik und Sprechen erst einfinden müssen und dieses durch Nachahmung lernen.«
Jan schreibt: Nicht ohne Grund kämpfen vor allem Kinderärzte und Psychologen für ein Ende der Maskenpflicht.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Die Masken müssen fallen
3. Der Mindestlohn steigt – ein Grund zum Feiern?
Die Bundesregierung hat heute beschlossen, den gesetzlichen Mindestlohn in diesem Jahr deutlich zu erhöhen: von derzeit 9,82 Euro pro Stunde auf 12 Euro ab 1. Oktober. Vorher ist noch ein Zwischenschritt auf 10,45 Euro zum 1. Juli geplant. Profitieren sollen etwa 6,2 Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Da der Plan von SPD, Grünen und FDP unterstützt wird, dürfte im parlamentarischen Verfahren nichts schiefgehen.
Ist der neue Mindestlohn eine gute Idee? Laut Umfragen ist die Mehrheit der Deutschen dafür. Dass Vollzeitbeschäftigte künftig mit mindestens knapp 2000 Euro im Monat entlohnt werden müssen, scheint schon wegen der steigenden Preise nur fair zu sein.
Doch ein höherer Mindestlohn hat auch Risiken. Nicht jedes Unternehmen macht so hohe Gewinne, dass es seine Leute besser bezahlen kann. Schlimmstenfalls wird es Entlassungen geben. Zwar haben sich die negativen Prognosen bei der Einführung des Mindestlohns 2015 nicht erfüllt, auch wegen der guten Wirtschaftsentwicklung. Doch kaum ein Ökonom würde bestreiten, dass höhere Löhne tendenziell Arbeitsplätze kosten. Die Frage ist, in welchem Ausmaß.
Als Gewerkschafter oder Arbeitgebervertreter würde es mich vor allem stören, dass ein wesentlicher Teil der Lohnpolitik jetzt von der Bundesregierung gemacht wird. Der politisch festgelegte Mindestlohn wird die tariflichen Einstiegslöhne in einigen Branchen übertreffen und damit außer Kraft setzen. Das schadet der Tarifautonomie, mit der Deutschland bislang gut gefahren ist. Und die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzte Mindestlohn-Kommission kann eh die Sachen packen.
Für Bundeskanzler Olaf Scholz ist der Mindestlohn ein Erfolg. Er hatte im Wahlkampf damit geworben. Die Frage ist, wie lang seine Freude anhält. Beim nächsten Wahlkampf wird es die Linkspartei sein, die beim Mindestlohn immer noch eine Schippe drauflegt.
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Lesen Sie hier mehr: Kabinett beschließt Mindestlohn von zwölf Euro
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Mayer soll CSU-Generalsekretär werden, Blume wird Wissenschaftsminister: Markus Söder stellt die CSU neu auf. Stephan Mayer soll Markus Blume als Generalsekretär ablösen, Blume dafür ins bayerische Kabinett wechseln. Diese und weitere Rochaden sollen die Partei für die Landtagswahl stärken.
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Weltweites Angebot an Coronaimpfstoffen übersteigt erstmals die Nachfrage: Erst war die Verfügbarkeit das Problem, jetzt ist es die mangelnde Nachfrage: Inzwischen hapert es bei der internationalen Verteilung von Coronaimpfstoffen an der nötigen Infrastruktur ärmerer Länder.
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Taliban-Polizei soll weder foltern noch beleidigen: Der Innenminister der Taliban hat für Polizisten in Afghanistan nach mehreren tödlichen Zwischenfällen neue Regeln aufgestellt. Sie werden angehalten, die Menschen künftig besser zu behandeln.
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Wen Sie im Saarland wählen wollen: Am 27. März wählen die Menschen im Saarland einen neuen Landtag. Welche der 18 zugelassenen Parteien vertritt Ihre Positionen am ehesten? Finden Sie es mit dem Wahl-O-Mat heraus.
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Zverev rastet aus und fliegt aus dem Turnier: Tennis-Olympiasieger Alexander Zverev hat nach einem verlorenen Erstrundenmatch im Doppel in Acapulco die Fassung verloren. Er beleidigte den Schiedsrichter und zertrümmerte seinen Schläger an dessen Stuhl. Es folgte die Disqualifikation.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Vorruhestand beim SPIEGEL
Mein Kollege Stefan Weigel beschreibt in seiner neuen Kolumne, wie sich um ihn herum viele Menschen gerade aus dem Arbeitsleben verabschieden und in den Vorruhestand gehen. Tatsächlich ist der SPIEGEL gerade von einer Frühverrentungswelle erfasst, deren streng geheime Hintergründe Stefan hemmungslos ausplaudert: »Ein Grund ist sicher, dass die finanziellen Bedingungen für ein vorzeitiges Ausscheiden beim SPIEGEL recht wohlgestaltet sind. Je nach Neigung erhalten künftig Nichtmehrmitarbeitende zusätzlich zu ausstehenden Lohnforderungen ein Dressurpferd, ein Segelboot und eine je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit unterschiedlich prall gefüllte Reisetasche mit Bernstein-Artefakten, die ein ehemaliger Chefredakteur für schlechte Zeiten zurücklegen ließ.«
Stefan hat natürlich nachgefragt, wie es denn bei ihm mit dem Vorruhestand aussieht. Da er jedoch erst Jahre nach der Bernstein-Ära zum SPIEGEL stieß, sind die Chancen schlecht. »Dazu müsse ich mindestens 15 Jahre im Unternehmen sein, wurde mir beschieden«, schreibt Stefan, »mit einem Lächeln, das ich nicht ganz exakt deuten konnte.«
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Lesen Sie hier die ganze Kolumne: Gibt es wirklich immer was zu tun?
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Applaus für Putin, Angst vor dem Krieg: Russlands Präsident Putin hat die »Volksrepubliken Donezk und Luhansk« anerkannt – er glaubt, die Mehrheit der Russen hinter sich zu haben. Ist das wirklich so? Stimmen aus dem südrussischen Grenzgebiet.
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»Putin ist ein von der Geschichte besessener Präsident«: War die SPD zu naiv im Umgang mit Putin? Fraktionschef Rolf Mützenich verteidigt die Haltung der Genossen. Den russischen Präsidenten nennt er einen »autistischen Entscheidungsträger«.
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Söders Lokalrunde: Bayerns Ministerpräsident baut seine Regierung um, beruft einen neuen Generalsekretär und schwärmt von »local heroes«. Die Opposition fühlt sich ans Römische Reich erinnert. Kommt jetzt Schwung in den Wahlkampf?
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»Wenn ich den Kamin anhabe, habe ich das Gefühl einer besonderen Nähe zu Wolf«: Deutschlands erste Filmproduzentin Regina Ziegler und der Regisseur Wolf Gremm waren 44 Jahre lang ein Paar. Dann erlag er einem Krebsleiden. Diese Woche wäre er 80 geworden – Erinnerungen an ein intensives gemeinsames Leben.
Was heute weniger wichtig ist
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Stripper-Diät: US-Schauspieler Channing Tatum, 41, leidet zunehmend darunter, sich für seine Rolle als muskelbepackter Stripper »Magic Mike« in Form zu bringen. Er müsse täglich zweimal Sport machen und hungern, um so auszusehen, sagte er in der »Kelly-Clarkson-Show«. Am meisten vermisse er Salz. Ohne Salz schmecke alles nach Wasser. Es sei auch nicht gesund, so schlank zu sein. Tatum sagte, er könne sich nicht vorstellen, in Form zu bleiben, wenn man einen ganz normalen Bürojob habe und von 9 bis 17 Uhr arbeite. Das von Oscarpreisträger Steven Soderbergh verfilmte Drama »Magic Mike« kam 2012 in die Kinos, die Fortsetzung 2015. Der dritte Teil ist für dieses Jahr geplant. Zudem gibt es inzwischen eine gleichnamige Show in Las Vegas und den TV-Wettbewerb »Finding Magic Mike«.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Die Screaming Trees rührten die kreative Ursuppe für die neue, betont liderliche Jugendbewegung an.«
Cartoon des Tages: Und gleich geht der blöde Wecker wieder los!
Foto:
Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Die ARD zeigt heute Abend die nächsten beiden Folgen von »ZERV«, einer Mini-Krimiserie mit Nadja Uhl und Fabian Hinrichs in den Hauptrollen. Die Serie spielt in der Wendezeit, es geht um Waffenhandel, Zwangsadoptionen, ostdeutsche Seilschaften und westdeutsche Geschäftemacher. Das alles im schrottigen Berlin-Look der früheren Neunziger. Sollten Sie gestern Abend den Auftakt verpasst haben: Schalten Sie trotzdem ein; ich verspreche Ihnen, es lohnt sich, schon wegen der beiden Hauptdarsteller.
Mein Kollege Christian Buß schreibt: »Da ist zum einen die in Rot und Stonewashed-Blau gekleidete Dauerwellen-Ermittlerin Karo Schubert, Kommissarin im Ost-Berliner Morddezernat, die redet, wie sie gekleidet ist: schrill, fetzig, offenherzig. Und da ist zum anderen der im wehenden Schulterpolster-Trenchcoat aus dem alten Westen angedüste ZERV-Ermittler Peter Simon, der ebenfalls redet, wie er gekleidet ist: staatstragend, geschäftig, vom höheren gesellschaftlichen Auftrag beseelt. Diese plakative personelle Anordnung könnte leicht nerven, würden Uhl und Hinrichs nicht immer wieder Zwischentöne und aus der Gegensätzlichkeit ihrer Figuren eine schöne Dynamik entwickeln. Die beiden sind wie die Stadt, in der die Mauer gefallen ist: Erst steht man sich befremdet gegenüber, dann probiert man Gebräuche und Gewänder der anderen aus. In einer der schönsten Szenen stellt Stonewashed-Karo dem bei der Verbrecherjagd ins Wasser gefallenen Trench-Peter das Jeans-Outfit ihres Ex zur Verfügung.« (Hier finden Sie alle Folgen in der ARD-Mediathek.)
Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung und einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Alexander Neubacher
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