Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die Frage, wie die deutsche Regierung auf Wladimir Putins Provokation reagiert. Um Russlands eigentliches Potenzial. Und das umstrittene C der CDU.
Nach der Hoffnung
Die Hoffnung stirbt zuletzt, so heißt es. Aber was kommt eigentlich danach – wenn die Hoffnung gestorben ist? Diese Frage müssen sich all jene in der deutschen Politik stellen, die, wenn es um die Aggressionen Putins ging, bis »zuletzt« auf das Minsker Abkommen und die Gespräche im Normandie-Format gesetzt haben.
Putin lässt seinen Aggressionen freien Lauf, am Montag hat er die Separatistenregionen Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine als unabhängige »Volksrepubliken« anerkannt und angekündigt, Truppen dorthin zu schicken. Die europäische Friedensordnung ist in Gefahr, der Kontinent steht an einem Scheidepunkt. Das Minsker Abkommen hat Putin aufgekündigt, das Normandieformat ist tot.
AdvertisementWie reagiert die deutsche Regierung?
Annalena Baerbock gestern auf dem Weg ins französische Außenministerium
Foto:
Janine Schmitz/photothek.de / imago images/photothek
Außenministerin Annalena Baerbock hat, als unmittelbare Reaktion am Montagabend, Putin über Fernsehkameras aufgefordert, seine Entscheidung rückgängig zu machen – das hatte nichts mehr mit Hoffnungen zu tun, das war die reine Hilflosigkeit.
Inzwischen aber tut sich etwas. Kanzler Olaf Scholz will seine Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine zwar nicht ändern, aber er hat sich zu einem anderen Schritt durchgerungen, den die grüne Außenministerin und ihre Partei lange schon für richtig halten: »Vorerst« soll es keine Zertifizierung der Gaspipeline Nord Stream 2 geben. Er sei »enttäuscht« von Putin, sagte Scholz gestern Abend in der ARD.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat diese Entscheidung vorbereitet. In der ARD sagte er, Energiepolitik sei zu lange nur wirtschaftspolitisch betrachtet worden, auch bei Nord Stream 2: »Energiepolitik ist in Zeiten wie diesen immer auch sicherheitspolitisch und geopolitisch zu beurteilen.« Deswegen sei es wichtig, in Europa eine vielfältige Energielandschaft zu installieren. »Es wäre aus meiner Sicht klüger gewesen, Nord Stream 2 nicht zu bauen.«
Die deutsche Politik wurde im In- und Ausland in der Russlandfrage als, nun ja, vielstimmig wahrgenommen. Doch nun unterstützt selbst Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), die sich immer wieder russlandfreundlich geäußert und vehement für die Fertigstellung und rasche Inbetriebnahme der Gasleitung eingesetzt hat, die Entscheidung des Kanzlers.
Das ist ein gutes Signal. Deutschland muss im westlichen Bündnis als verlässlicher Partner gelten, deswegen braucht es innerhalb der Regierungsparteien eine klare und konsequente Haltung. Es gab, gerade in der SPD, genügend Mitglieder, die sich Putin gegenüber nicht nur Hoffnungen, sondern auch Illusionen hingegeben haben. Dies zuzugeben und zu reflektieren, wäre souverän und würde zu einer klaren Haltung verhelfen. Bisher ist davon aber noch nicht so viel zu hören.
PP – Das Problem Putin
Sein Handeln legitimiert Wladimir Putin mit der Geschichte – oder jedenfalls mit seiner sehr eigenen Auffassung von deren Verlauf. Die Ukraine habe keine eigenständige Geschichte, behauptete er in seiner langen Rede am Montagabend und leugnete damit nicht nur eigenständige Identitäten, sondern vor allem die Jahrzehnte der ukrainischen Unabhängigkeit seit 1991, nach dem Zerfall der Sowjetunion.
Ein ukrainischer Soldat blickt auf die Trennlinie zu den prorussischen Rebellen in der Region Donezk
Foto: Andriy Dubchak / dpa
Diese merkwürdige Idee ist die Grundlage der Forderungen, die er nun formulierte: Die Ukraine müsse die 2014 annektierte Krim als russisches Staatsgebiet anerkennen, sie müsse versprechen, niemals der Nato beizutreten und alle vom Westen gelieferten Waffen nicht einzusetzen.
Wenn man schon die Geschichte bemühen will, um das Heute zu erklären, lässt sich dies auch auf ganz andere Weise tun. In der wechselvollen Geschichte Russlands, ob im Zarenreich oder später in der Sowjetunion, zählten allein die Interessen der Mächtigen – und das ist auch in der heutigen Föderation nicht anders. Die Interessen der normalen Menschen, die mit Bildung und einem gewissen Wohlstand leicht zu bedienen wären, zählen hingegen kaum.
Was für gute Voraussetzungen hat Russland doch eigentlich: Rohstoffe, eine komplexe und faszinierende Sprache, eine in den Künsten und im Sport überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft, die nicht nur mit Drill zu erklären ist. Würde Putin in die Menschen seines Landes investieren, wie reich im ideellen und materiellen Sinne könnte Russland doch sein! Es wäre eine Macht, zu der man aufschaute, ein Vorbild.
Doch was tut Putin? Er steckt das Geld ins Militär und reibt seine Kräfte in Konflikten auf, die im 19. Jahrhundert besser aufgehoben gewesen wären.
Es geht Russland unter Putin zwar wirtschaftlich viel besser als in den mehrheitlich als traumatisch empfundenen Neunzigerjahren, und deswegen ist der Präsident im Land immer noch beliebt. Doch legte man einen anderen Maßstab an, nämlich den des Potenzials seines Landes, ist Putins Bilanz enttäuschend.
Nicht Russland ist das Problem, wie es oft heißt. Das Problem heißt Putin.
Die CDU und ihr hohes C
Die CDU und der Klimaschutz – das ist keine erfreuliche Geschichte. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die einmal Umweltschutzministerin gewesen ist, räumte kurz vor ihrem Ausscheiden als Kanzlerin ein, dass in ihrer Ära hier manches versäumt wurde. Armin Laschet, CDU-Kanzlerkandidat bei der letzten Bundestagswahl, machte den Klimaschutz auch nur zögerlich zum Thema.
»Christdemokratie und Klimaschutz« heißt nun eine Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung, die heute vorgestellt wird. Darin soll die Frage beantwortet werden, »warum Klimapolitik zu den Grundpfeilern christdemokratischer Politik gehören sollte«, so heißt es in der Ankündigung.
Gemeinsames Logo der CDU/CSU Fraktion im Bundestag
Foto: Michael Kappeler / dpa
Dieses Vorhaben hat womöglich nicht nur mit einem schlechten Gewissen angesichts der nicht zu leugnenden Versäumnisse zu tun, sondern auch mit einer anderen Debatte. Kürzlich hat der Mainzer Historiker Andreas Rödder das christliche »C« im Kürzel der Union infrage gestellt – viele Parteimitglieder waren entsetzt. Doch falsch lag Rödder nicht. Der göttliche Auftrag, die Schöpfung zu bewahren, mag zwar in der Bibel festgehalten sein, Parteiprogramme hat dieser Auftrag bisher aber noch nicht dominiert.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Susanne Beyer