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Das Wort »Partnerschaft« taucht wohl nur auf Dating-Plattformen noch häufiger auf. Elfmal steht es in der Abschlusserklärung des EU-Afrika-Gipfels, meist versehen mit dem Zusatz »erneuert«. Doch kaum etwas ist neu an dieser vermeintlichen Partnerschaft – und auf Augenhöhe ist sie schon gar nicht. Es ist eher wie eine toxische Beziehung, mit allem was dazugehört: Eifersucht, Hierarchie, finanzielle Abhängigkeit.
Es lohnt sich, den Gipfel, der Ende vergangener Woche in Brüssel stattfand, aus afrikanischer Perspektive zu betrachten. Drei Kernforderungen hat Senegals Präsident Macky Sall, derzeit Vorsitzender der Afrikanischen Union, zum Auftakt des Treffens an seine Gegenüber aus Europa gerichtet: Patentfreigabe für Coronaimpfstoffe, weiterhin finanzielle Mittel für die Gasförderung in Afrika und deutlich mehr Gelder aus Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds. Keiner dieser Wünsche wurde am Ende umgesetzt.
AdvertisementBesonders beim Thema Impfstoffe tritt die Ironie der europäisch-afrikanischen Beziehungen deutlich zutage. Seit Monaten richtet die Afrikanische Union eine klare Botschaft an Europa: Wir brauchen eine Freigabe der Patente und Lizenzen, also freien Zugang zum Know-how rund um die Vakzinen. Nur so können wir schnell und ohne Umwege Impfstoffe selbst vor Ort produzieren.
Hier wird bereits an mRNA-Impfstoff geforscht: die Firma Afrigen in Südafrika
Foto: RODGER BOSCH / AFP
Doch in Brüssel wurde dieses Thema nun schlicht vertagt. Stattdessen hat die EU wieder einmal Millionen weiterer Impfspenden angekündigt – so viel zur Partnerschaft auf Augenhöhe. Etwas vielversprechender klang da schon die Nachricht, dass künftig immerhin sechs afrikanische Länder die Technologie für mRNA-Impfstoffe an die Hand bekommen sollen, um in die Herstellung einzusteigen.
Aber die Story hinter der Story klingt schon weniger verlockend: Die Technologie stammt nämlich nicht etwa direkt von den Konzernen aus Europa oder den USA. Stattdessen hat eine Firma aus Südafrika ohne Einverständnis des Herstellers den Moderna-Impfstoff mühsam im Guerilla-Verfahren kopiert, auf dieser Basis einen eigenen Impfstoff entwickelt. Diese wissenschaftliche Raubkopie wird nun, finanziert mit Geldern der EU, in andere afrikanische Länder übertragen. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? Ein klassisch europäischer Kompromiss: Die Hersteller behalten ihre Lizenzen und die EU kann sich trotzdem als Wohltäter präsentieren.
Wenn man die Gipfelbeschlüsse genauer liest, wird eines klar: Das reiche Europa blickt immer noch paternalistisch auf den armen Kontinent im Süden. Daran ändern auch die elf gedruckten »Partnerschaften« nichts. Hätte die EU ihre vermeintlichen Partner einfach mal ganz offen gefragt, was sie eigentlich brauchen – das Ergebnis sähe mit Sicherheit anders aus. Doch schon im Vorfeld wurde von afrikanischer Seite die Kritik laut, dass Europa daran kein Interesse habe.
Europa will bei Infrastrukturprojekten in Afrika künftig auch mitmischen
Foto: Noor Khamis / REUTERS
Dabei sehen die Summen, die in Brüssel verhandelt wurden, auf den ersten Blick beachtlich aus: Ein Investitionspaket von 150 Milliarden Euro wurde auf den Weg gebracht, um die Energiewende, den Internet-Ausbau oder die Verkehrsinfrastruktur auf dem Kontinent voranzutreiben. Sie sind Teil des sogenannten Global Gateway Programms, das es am Ende auf stolze 300 Milliarden Euro bringen soll.
Aber die Sache hat gleich mehrere Haken: Zum einen ist ein Großteil der Mittel seit Langem beschlossene Sache, die EU hat nur ein neues Etikett darauf geklebt und verkauft es als große Vision. Zum anderen spiegeln die Inhalte nicht durchweg die Prioritäten des Kontinents wider. Während die Afrikanische Union sich für Gelder zur lukrativen Gasgewinnung starkgemacht hatte, fördert Europa lieber den Ausbau regenerativer Energien. Das mag zwar aus europäischer Sicht umweltpolitisch einleuchten, bleibt aber am Ende genau das: die europäische Sicht.
In den vergangenen Jahren haben zwei Leitmotive die Afrikapolitik der EU bestimmt: der Kampf gegen Migration und eigene Wirtschaftsinteressen. Das Leitmotiv Migrationsverhinderung ist immerhin etwas in den Hintergrund geraten, in die hinteren Kapitel der Abschlusserklärung gerutscht. Aber dass es nach wie vor um europäische Wirtschaftsinteressen geht, zeigt sich gleich an mehreren Stellen in den Gipfelunterlagen. Von zahlreichen Vorhaben sollen wohl vor allem EU-Firmen profitieren.
Der Finanzexperte Jason Braganza von der Nichtregierungsorganisation Afrodad fasst es so zusammen: »Das Geld wird über Afrika umgeleitet, um dann den Weg zurück nach Europa zu finden.« Klingt absurd, ist aber so.
Dabei schwingt Europa gern die Moralkeule. Viel ist die Rede von demokratischen Strukturen, von Transparenz, Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit. Die EU will sich als Good Guy, als Gegenmodell zu China, präsentieren. Überhaupt ist das nun ausgerollte Global Gateway Programm eine einzige Kampfansage an Chinas Präsenz in Afrika, verpackt in warme Worte.
Und genau darin liegt das Problem: Es geht Europa eben nicht um eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Es geht um eigene wirtschaftliche und geopolitische Interessen. Daran ist per se nichts falsch, man sollte es dann aber nicht moralingetränkt verkaufen.
Man muss nur zuhören: AU-Vorsitzender Macky Sall hatte klare Forderungen
Foto: POOL / REUTERS
Viel sinnvoller wäre es, wenn Europa Afrika nicht mehr als Kontinent behandeln würde, dem geholfen werden muss. Ein echter Neustart der deutsch-afrikanischen Beziehungen wäre machbar. Dann muss man aber aufhören, ständig nur Kleinbauern und mittelständische Firmen zu fördern, weil das so nett aussieht. Stattdessen sollte die industrielle Wertschöpfung vor Ort und der Handel innerhalb des Kontinents in großem Stil unterstützt werden.
Europäische Firmen können da natürlich mitmischen, solange die Länder vor Ort etwas davon haben. Es lohnt sich, Afrika als Handelspartner zu sehen und nicht als Entwicklungshilfeempfänger. Dafür braucht es weniger warme Worte und mehr Ehrlichkeit. Und vor allem sollte man den afrikanischen Ländern einfach mal zuhören.
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