Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die Frage, was Putin mit seinem Nervenkrieg erreicht hat. Wir fragen uns außerdem, ob Markus Söder und Hendrik Wüst wirklich neue beste Freunde sind. Und wir freuen uns darüber, dass die Winterspiele in Peking endlich vorbei sind.
Was Putin erreicht hat – und was nicht
Die Realität trägt dick auf im Moment. Wenn all das, was wir gerade erleben, ein fiktiver Film wäre, müsste in jeder vernünftigen Rezension stehen, dass da zu viel auf einmal passiert: Kriegsgefahr in Europa, während Stürme über ebendiesen Schauplatz hinwegfegen – Tote, Sturmfluten, der Strand einer beliebten Urlaubsinsel so gut wie fortgespült.
Aber es ist, wie es ist. Die Frage lautet jetzt: Wie geht es weiter?
AdvertisementBundeskanzler Scholz auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Russlands Präsident Putin am vergangenen Dienstag
Foto: Kay Nietfeld / dpa
US-Präsident Joe Biden erzählt der Welt, er sei sich sicher, dass Russlands Präsident Wladimir Putin den Angriff auf die Ukraine bereits beschlossen habe. Biden beruft sich, so wird berichtet, auf Geheimdienstinformationen. Aber er verfolgt mit deren Offenlegung auch eine Strategie: Er möchte dem russischen Präsidenten die Möglichkeit nehmen, den Krieg in den nächsten Tagen oder Stunden unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand zu beginnen. Diese Strategie birgt Risiken, analysiert SPIEGEL-Washington-Korrespondent René Pfister: Es sei möglich, dass Putin sich durch Biden so stark unter Druck gesetzt fühle, dass er sich nicht mehr gesichtswahrend zurückziehen könne.
Wie der Westen in den kommenden Tagen mit Putin, dem klaren Aggressor in diesem Konflikt, umzugehen hat, ist eindeutig: »Keine Schwäche zeigen«, fordert mein Kollege Clemens Höges im SPIEGEL-Leitartikel.
Eine unmissverständliche Haltung des Westens gegenüber Putin muss aber diplomatische Bemühungen nicht ausschließen. US-Vizepräsident Kamala Harris sagte zwar auf der Münchner Sicherheitskonferenz, der russische Präsident schränke durch sein Handeln die Möglichkeiten der Diplomatie immer weiter ein. Kanzler Olaf Scholz setzt aber auf »so viel Diplomatie wie möglich, ohne naiv zu sein.«
Putin hat erreicht, worum es ihm allem Anschein nach in erster Linie ging: Die Welt schaut auf Russland. Ein anderes Ziel aber, das er mit hybrider Kriegsführung seit Jahren zäh und durchaus mit einigen Erfolgen verfolgte, nämlich den Westen zu spalten, ist dagegen ferner gerückt. Zwar hat die deutsche Regierung noch vor zwei Wochen mit einem unklaren Kurs für Irritationen gesorgt, zwar ist die ukrainische Regierung immer noch enttäuscht von ihr, doch bei seinen Besuchen in Kiew und Moskau in der vergangenen Woche hat Kanzler Scholz durchaus an Format gewonnen.
Im Augenblick stehen die Länder des Westens zusammen. Die Worte »Geschlossenheit« und »Einheit« waren häufig genannte Begriff auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Macrons Satz, die Nato sei »hirntot« – der schon nicht stimmte, als er ihn 2019 sagte – hat sich nun als Fehleinschätzung erwiesen.
Dass die USA unter Biden und Harris schärfere Töne anschlagen als Frankreich und Deutschland unter Macron und Scholz, ist nur ein weiteres Zeichen eines wirksamen Zusammenhalts: Wenn unterschiedliche Rollen innerhalb einer Führungsgruppe klar verabredet sind, kann die Gruppe viel erreichen.
Vielleicht bringt ja auch ein Vorstoß unter französischer Vermittlung eine diplomatische Entwicklung: Wie in der vergangenen Nacht bekannt wurde, haben Biden und Putin einem persönlichen Gipfeltreffen im Prinzip beide zugestimmt. Wie und wann, ist noch unklar. Aber die Bedingung des Westens ist unmissverständlich: Eine Invasion darf es vorher nicht geben.
Auf einmal Teamspieler
Markus Söder versus Armin Laschet, dieses Drama hat Deutschland über viele Monate in Atem gehalten. Der bayerische Ministerpräsident übernahm dabei die Rolle des Schurken, sein nordrhein-westfälischer Amtskollege die des großen Verlierers. Unvergesslich die Momente, in denen Söder sich zum Anführer des »Teams Vorsicht« ausrief und dabei implizit seinen Konkurrenten Laschet zum Vertreter eines »Teams Leichtsinn« machte.
Laschet hat während des Zweikampfes mit Söder viel verloren: Nicht nur die Bundestagswahl, sondern auch den CDU-Vorsitz und sein Amt als Ministerpräsident.
Kontrahenten Söder und Laschet im Juni 2021
Foto: Jorg Carstensen / POOL / EPA
Heute reist sein Amtsnachfolger Henrik Wüst zu einem Gespräch in die bayerische Staatskanzlei und trifft dort Söder. Im Anschluss an das Treffen wollen beide bei einer Pressekonferenz erzählen, worüber sie gesprochen haben. Doch schon vor dem Treffen demonstrieren sie Einigkeit. In einem gemeinsamen Gastbeitrag für die »FAZ« fordern sie einen Energieplan für Deutschland.
Haben wir es hier mit neuen besten Freunden zu tun? Mal abwarten. Manches spricht dagegen: Wüst gilt als Vertreter des »Teams Vorsicht«, während Söder zurzeit an einem neuen Image arbeitet: Er möchte Häuptling eines »Teams Augenmaß« werden. Söder aber hat inzwischen ein Problem: Er wechselte schon so oft sein Image, dass sein neuerlicher Versuch kaum noch ernst genommen wird. Sollte sich Wüst aber in der CDU und im eigenen Land durchsetzen können, wird er ein Mann der Stunde sein, während Söder jetzt schon darum kämpfen muss, in der Union nicht als einer von gestern wahrgenommen zu werden.
Die Tage danach
Der Höhepunkt der Omikronwelle scheint hinter uns zu liegen. Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, tiefgreifende Corona-Schutzmaßnahmen bis zum 20. März auslaufen zu lassen. Doch am Wochenende zeigte sich, dass die Ampelparteien uneins sind, welche Schutzmaßnahmen gegen das Virus darüber hinaus gelten sollen. SPD und Grüne wollen die Maskenpflicht aufrechterhalten. Die FDP wünscht besonders wenige pauschale Maßnahmen.
Jogginghose – aber immerhin mit High Heels
Foto: Larissa Schwedes/ DPA
Parallel zu den politischen Debatten beginnt eine andere Debatte, nämlich, ob wir überhaupt noch in der Lage sind, vom Sofa aufzustehen. Mein Kollege Markus Feldenkirchen sieht in seiner Kolumne »ein neues deutsches Biedermeier« heraufziehen, viele von uns hätten es sich zu Hause allzu gemütlich gemacht – es falle uns schwer, ins »neue alte Leben« zurückzufinden. Er fordert: »Raus aus der Jogginghose«.
Doch wie sollte ein neues alte Leben aussehen? Es wäre ja erbärmlich, wenn uns die vergangenen beiden Jahre nicht verändert hätten. Außerdem haben uns die Gewohnheiten des alten Lebens direkt in die Pandemie geführt. Das »neue alte Leben« sollte schwerpunktmäßig nicht alt, sondern wirklich neu sein. Wie das aber aussehen kann, diese Debatte sollte tatsächlich jetzt beginnen.
Gewinner des Tages…
Abschlussfeier der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking
Foto: Michael Kappeler / dpa
…ist Italien. Gestern sind die Olympischen Spiele in China endlich vorbeigegangen. Sie waren, trotz aller sportlichen Höchstleistungen, kaum mit anzusehen. Keine noch so glanzvolle Inszenierung des autoritären chinesischen Regimes konnte darüber hinwegtäuschen, dass im Namen dieses Regimes jeden Tag Menschenrechte verletzt und Minderheiten verfolgt werden. Die nächsten Winterspiele werden in Italien stattfinden. Die politische Instrumentalisierung des Sports wird dadurch zwar nicht enden. Aber eine Verschnaufpause könnten Freundinnen und Freunde des Sports gebrauchen.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Susanne Beyer