Markus Feldenkirchen
Putin vor dem Deutschen Bundestag im Jahr 2001 in deutscher Sprache:
Wladimir Putin
Wir leben weiterhin im alten Wertesystem. Wir sprechen von einer Partnerschaft. Nur in Wirklichkeit haben wir immer noch nicht gelernt, einander zu vertrauen. Für unser Land, das ein Jahrhundert von Kriegskatastrophen durchgemacht hat, ist der stabile Frieden auf dem Kontinent das Hauptziel.
Markus Feldenkirchen
Hat man es damals verpasst, eine europäische Sicherheitsarchitektur in diesem Geiste gemeinsam mit Russland zu entwerfen. Frage an Frau Strack-Zimmermann, Herr Gysi.
Strack-Zimmermann
Herr Gysi ist auch sensibel, wie er gerade sagt. Also, Spaß beiseite, da war ja große Begeisterung in Deutschland, dass Putin sich dort hinstellt, in deutscher Sprache, im Deutschen Bundestag. Und ich muss sagen, angesichts der deutsch-russischen Geschichte wirklich ein wichtiger Tag. Keiner hätte vor 20 Jahren geglaubt, dass wir heute wieder da sind, wo wir sind. Und das ist auch nicht nachvollziehbar, weil es gibt so viele Ebenen, so viele Gesprächs-Formate, wo Putin sich immer hätte artikulieren können. Nein, er will zurück in die Zeit, das sagt er auch selber, nicht zu 2001. Er will zurück vor 1997 und gefährdet damit auch die Staaten, die sich seinerzeit freiwillig entschlossen haben, zur NATO zu kommen. [00:01:19][40.3]
Markus Feldenkirchen
Sie atmen schwer. Was sagen Sie, Herr Gysi? Welche Chance gab es damals?
Gregor Gysi
Dass ich doch was sagen darf…Dann sage ich Ihnen, dass die westlichen Regierungen auf seine Angebote der umfassenden Zusammenarbeit nicht eingegangen sind, und zwar wegen einer bestimmten Arroganz: sie dachten, dass Sie das gar nicht nötig haben und selbst Friedrich Merz sagt das ja damals. Also hat er jetzt vor zwei, drei Tagen gesagt, dass er damals Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU war und sich ärgert, dass er nicht Druck gemacht hat auf die Regierung, doch auf die Angebote einzugehen. Dann sagt er heute ist Putin ein anderer, das stimmt. Aber da gibt es eben eine Entwicklung. Und wissen Sie, die Forderungen nach einer anderen Sicherheitsstruktur stellen sie ja schon lange. Und wenn dann keine Reaktion kommt, dann fängt eben so ein Führer an, darüber nachzudenken, wie er eine Reaktion erreichen kann. Mir macht am meisten Sorgen, dass das Vertrauen zerstört ist und daran hat Putin Anteil. Aber daran hat auch der Westen einen Anteil.
Strack-Zimmermann
Wenn man Vertrauen aufbaut, schickt man keine 150.000 Soldaten und droht mit schweren Waffen. Sorry, da ist dass das hat mit Vertrauen nichts mehr zu tun.
Gregor Gysi
Ich sage ja, das Vertrauensverhältnis ist zerstört.
Strack-Zimmermann
Putin hat doch keine Angst vor der NATO. Er beobachtet, dass gerade die nächste Generation. Schauen Sie, Herr Gysi und ich sind eine Generation. Da kommen aber junge Menschen nach. Und in der Ukraine sind junge Menschen, die orientieren sich, und ich sage das ganz wertfrei, die haben ein Handy, die sehen, wie in diesen Ländern gelebt wird. Und die orientieren sich zum großen Teil an der westlichen Welt, weil sie in Frieden und Freiheit leben wollen. Und das ist das, was Putin beunruhigt, weil wenn er in der Russischen Föderation, wenn er sieht, dass die Ukraine sich möglicherweise dem Westen zuwendet, losgelöst vom Militärbündnis, dass die anderen Länder sagen, auch denen geht es aber gut, warum eigentlich uns nicht. Und ich glaube, der Albtraum ist, dass die Länder, die noch sozusagen in seinem Bereich sind, in seinem Einflussbereich, der Russland den Rücken zukehren könnte.
Markus Feldenkirchen
Herr Gysi, Sie haben in der Vergangenheit mehrfach vorgeschlagen, dass der Altbundeskanzler Gerhard Schröder doch in diesem Konflikt als Vermittler fungieren könnte. Ist Herr Gysis Ansatz denn wirklich so abwegig?
Strack-Zimmermann
Dass Herr Schröder jetzt vermittelt? Der größte Lobbyist unter der Sonne? Also wissen Sie, ich finde, ob Bundeskanzler oder Minister, ich habe große Probleme damit, wenn man aus einem solchen Amt ausscheidet und sich dann direkt in ein solches Feld bewegt. Schröder hat das gemacht, das hat viele erstaunt ist aber so. Aber just in diesem Augenblick, wo es um das Auftreten Russlands geht, sich derart zu positionieren und zu sagen, die Ukraine soll man nicht in diese Kriegsrhetorik lassen, da habe ich gedacht, ich bin, ich bin in einer Comedy-Show, das ist ja ungeheuerlich. Und ich muss sagen, der Kanzler der Bundesrepublik, auch wenn er das 16 Jahre nicht mehr ist, ist angetreten, in Deutschland eine Rolle zu spielen und diesem Land zu dienen. Und an der Stelle hätte ich an seiner Stelle, hätte ich mal die Klappe gehalten, hilft auch manchmal. Aber derart proaktiv die Ukraine anzumachen, das fand ich in der Tat an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Aber Ihr Kollege Bartsch, Sie ja auch, haben vorgeschlagen, dass jetzt Angela Merkel mal an die Front soll.
Gregor Gysi
Ja kann ich Ihnen sagen, erstens kann Angela Merkel gut verhandeln, das ist sogar eine Stärke. Und ihr fiel immer etwas ein, wenn scheinbar nichts mehr ging.
Strack-Zimmermann
Aber sie hat keine Macht mehr
Gregor Gysi
Das weiß ich ja. Ich sage ja auch als Vermittlerin im Auftrage der Bundesregierung. Genauso Gerhard Schröder. Warum? Er hat nun mal eine gute Beziehung. Dadurch erreicht er noch viel schneller das Vertrauen des Gesprächspartners. Und die müssen ja nicht machen, was Schröder vorschlägt. Dann die Regierung gar nicht gebunden. Vermittler haben immer eine völlig andere Funktion. Und deshalb habe ich das vorgeschlagen. Übrigens sehe ich das genauso kritisch, was er für einen Job übernommen hat, nachdem er nicht mehr Kanzler war, da sind wir uns einig. Trotzdem weiß ich, auf welche Person man zurückgreifen muss in einer bestimmten Situation. Und das, was auf der Regierungsebene nicht mehr zu schaffen ist, können eine Altkanzlerin und ein Altkanzler auf eine andere Art und Weise vielleicht erreichen.
Markus Feldenkirchen
Gerhard Schröder hat jahrelang für die Gaspipeline Nord Stream 2 gearbeitet. Ist es klar, dass es aus diesem Projekt nichts wird, sollte Putin in die Ukraine einmarschieren?
Strack-Zimmermann
Also dann ist das Ding tot. Also Sie können nicht jemand, der Gewalt anwendet, der in ein Land völkerrechtlich einmarschiert, gleichzeitig mit ihm Geschäfte machen. Von Anfang an war das hochproblematisch und schon die Abhängigkeit, dass wir über 50 Prozent des Gases aus Russland bekommen, ist äußerst schwierig. Aber ich glaube, dass diese Leitung nicht an den Start geht, wenn es zu Übergriffen kommt. Und ich kann das kann auch nur sagen, es wäre ein Wahnsinn.
Gregor Gysi
Ich hoffe, dass es keinen Angriff gibt, über die Situation müssen wir dann reden, wenn das passiert. Aber ich wundere mich über folgendes bei den USA: Die sagen also Nord Stream 2, waren sie ja schon immer dagegen und sie wollen uns ja ein schlimmeres Erdgas stattdessen verkaufen. Aber davon mal abgesehen wissen wir, der zweitgrößte Exporteur von Erdöl in die USA ist? Russland. Und jetzt hat der Biden gesagt: Nein, das hat natürlich keine Folgen. Das heißt, er will, dass wir Nordstream 2 dicht machen, aber es bleibt dabei, dass er das Erdöl aus Russland bezieht, selbst wenn die die Ukraine angreifen. Das geht nicht.