Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Corona – Wer vertraut Wieler, was plant Söder, was meint Lauterbach?
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Yoga statt Karriere – Jugend ohne Biss?
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Mobilfunk – Sind Handystrahlen gefährlich fürs Hirn?
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1. Wieler, der Kritisierteste; Söder, der Größtzügigste?
»Der Präsident des RKI, Herr Professor Wieler, genießt nach wie vor das volle Vertrauen der Bundesregierung«, sagte heute die stellvertretende Regierungssprecherin. Ist der Chef der obersten Seuchenschutzbehörde also gestärkt? Sind die Attacken der FDP damit abgewehrt? Oder verstärken die Liberalen ihre Kritik im selben Maß wie in den vergangenen Tagen, sodass die Grünen eigentlich nur noch kontern könnten, indem sie Wieler doch noch schnell als Kandidaten für die Bundesversammlung am Sonntag aufstellen? Oder gilt unter Scholz, was unter Merkel galt, nämlich dass auf »volles Vertrauen« allenfalls noch die Aussprache des »vollsten Vertrauens« folgt, bevor es dann zum Rücktritt/Rauswurf kommt? (Mehr zum Streit über Wieler lesen Sie hier.)
Einen politischen Superlativ bringt heute Markus Söder in die Coronadebatte ein: »Großzügigst« will der bayerische Ministerpräsident vorgehen und die ab Mitte März vorgesehene Impfpflicht für Pflegekräfte vorerst nicht umsetzen, »was de facto auf ein Aussetzen des Vollzugs hinausläuft«, wie er sagt. Der Grund: Personalnot. Für wie viele Monate dies gelten werde, sei noch offen. Das wiederum kritisiert Gesundheitsminister Karl Lauterbach scharf: »Laxe Vollzugsregeln der einrichtungsbezogenen Impfpflicht können nicht nur das Leben der älteren Menschen mit schwachem Immunsystem gefährden«, sagte er. Sie gefährdeten auch die Glaubwürdigkeit von Politik. (Hier mehr.)
Erlauben Sie mir eigensinnigst einen Hinweis: Falls Sie mehr erfahren wollen über die Corona-Berichterstattung des SPIEGEL, kommen Sie doch mit meinen Kolleginnen Irene Berres, Julia Merlot und Charlotte Weichert ins Gespräch. Die drei beantworten am Mittwoch um 18 Uhr die Fragen der Leserinnen und Leser per Zoom. Anmelden können Sie sich hier, die Veranstaltung ist allerdings exklusiv für unsere Abonnentinnen und Abonnenten. Falls Sie vorab Ihre Fragen einsenden wollen, können Sie das hier tun. (Hier mehr.)
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Alle aktuellen Pandemie-Entwicklungen finden Sie hier: Das Corona-Update
2. Die Schnelltest-Generation
Pornogucker, Flatrate-Säufer, Aggro-Rapper, Schulschwänzer – die Jugend hat einen schlechten Ruf, immer schon. Nur die Vorwürfe ändern sich, je nach Zeitgeist und Haltung der Eltern und Großeltern. Mal sind die jungen Leute ihnen zu widerspenstig, mal zu brav. Aktuelle Ü-40-Vorwürfe an die Jüngeren: Harte Arbeit kennt ihr kaum; ihr lasst den Stift um 17 Uhr fallen, ihr hängt euch nicht rein, euer Yogakurs ist euch wichtiger als der Abgabetermin für den Pitch/Artikel/Etatentwurf. Auch wenn ich mit Geschäftsführenden im Mittelstand, Recruitern für Start-ups oder Ressortleitenden in unserer und anderen Redaktionen spreche, verfestigt sich der Eindruck: Führungskräfte denken über den Nachwuchs wie über einen Corona-Schnelltest: nicht nutzlos, aber bloß nicht darauf verlassen.
»Die Klage über die angeblich arbeitsscheue und verweichlichte Jugend gibt es seit Jahrtausenden«, sagt mein Kollege Florian Diekmann aus unserem Wirtschaftsressort. Was oft fehlt, sind wie in der Pandemie die Daten. Das Meinungsforschungsinstitut Civey hat im Auftrag des SPIEGEL nun mehr als 4000 junge Menschen zu Arbeitsleben, Konsum und Geld befragt; Florian hat die Ergebnisse ausgewertet. Demnach setzen die Jüngeren tatsächlich andere Prioritäten als ihre Eltern und Großeltern: »Ich war überrascht, mit welcher Entschiedenheit einer absoluten Mehrheit der 16- bis 29-Jährigen ihr Privatleben wichtiger ist als die Karriere«, sagt Florian. »Ich hätte vermutet, dass ein höherer Anteil den Mittelweg versucht und mit ›beides gleichermaßen‹ antwortet.«
Aber klar, es scheint plausibel, dass die Jungen da etwas anders ticken als die Generation zuvor: Bewusst haben sie bislang nur einen Arbeitsmarkt erlebt, auf dem sich Unternehmen zunehmend um Arbeitskräfte bemühen müssen – und nicht umgekehrt. »Dazu kommt: Sie haben Eltern, deren Prägung exakt entgegengesetzt war, bei denen Familie und Privatleben oft an zweiter Stelle hinter dem Beruf standen«, sagt Florian. »Es anders handhaben zu wollen, halte ich für vernünftig.«
Wirklich schockierend: Laut Umfrage betreiben mehr als drei Viertel der jungen Generation irgendeine Form der Altersvorsorge. Da packt den Ü-40er, in dessen Bullet Journal seit Monaten »ETF-Sparplan anlegen« als unerledigte Aufgabe steht, natürlich das schlechte Gewissen. Mit vielen Vorwürfen entblößen die Älteren ohnehin nur ihre Selbstzweifel: Hätten wir nicht auch früher vom Hamsterrad aufs Lastenrad umsteigen sollen?
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Lesen Sie hier mehr: Back to Biedermeier
3. Jugend im Unruhezustand
Apropos über die Jugend lästern: Es soll Lehrer geben, die sagen, sie würden sich keine Sorgen um ihre Schüler machen wegen des Verdachts, der Gebrauch von Handys könne zu Hirnschäden führen – wo nichts sei, könne auch nichts beschädigt werden.
Aber selbst die Lehrer, die ihren Schülern mehr zutrauen, können aufatmen. Eine neue Studie legt nach Angaben des Bundesamts für Strahlenschutz nahe, dass die Gefahr, an einem Gehirntumor zu erkranken, bei Kindern und Jugendlichen durch den Gebrauch von Mobiltelefonen nicht steigt.
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Lesen Sie hier mehr: Keine Hinweise auf erhöhtes Hirntumor-Risiko durch Handys
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Verteidigungsministerin Lambrecht schickt zusätzliche Soldaten nach Litauen: Bisher hatte Christine Lambrecht eine personelle Verstärkung der Nato-Truppen in Osteuropa abgelehnt – trotz des Konflikts mit Russland. Nun sollen doch 350 Soldaten nach Litauen entsandt werden.
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Johnson beantwortete Frage zu seiner politischen Zukunft mit »I will survive«: Guto Harri soll als neuer Kommunikationschef das Image der britischen Regierung polieren. Eigenen Angaben zufolge hat er Premier Johnson nach dessen politischer Zukunft gefragt – und eine Partyhymne als Antwort bekommen.
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Ermittler stellen fast 400 Hasskommentare fest: »Das ist pure Menschenverachtung«: Der rheinland-pfälzische Innenminister prangert nach der Tötung von zwei Polizisten bei Kusel Hass und Hetze im Netz an. Rund hundert Fälle seien strafrechtlich relevant.
Meine Lieblingsüberschrift heute
Autotests lese ich eher selten. Aber wenn die Headline so schön ist wie die, die über dem Opel-Astra-Text von Thomas Geiger steht, dann schon: Es ist nicht alles Golf, was gänzt.
In diesem Sinne: Astra La Vista!
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Ein außerordentlich unwahrscheinlicher Triumph: Völlig überraschend hat Denise Herrmann Olympiagold im Biathlon-Einzel gewonnen. Und das in einer Saison, über die sie sagt: »Ich hab schon ziemlich auf die Fresse gekriegt.« Wie hat sie das geschafft?
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»Wo ist der Karl?« 299 Kumpel starben am 7. Februar 1962 beim schwersten Grubenunglück in der Geschichte der Bundesrepublik. Manfred Martin half, die entstellten Opfer zu identifizieren – und Christine Sander bangte um ihren verschwundenen Mann.
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Läuft nicht so: In Deutschland geben die gesetzlichen Krankenkassen jährlich zig Millionen Euro für Schuheinlagen aus. Obwohl meist unklar ist, ob sie überhaupt helfen. Über ein eingespieltes System – und seine Verlierer.
Was heute weniger wichtig ist
Luftholerin: Die vielfache Grammy-Gewinnerin Billie Eilish, 20, hat ein Konzert ihrer »Happier Than Ever«-Tournee unterbrochen, weil sie sich um einen Fan kümmern wollte. Bei dem Auftritt in der State Farm Arena von Atlanta reagierte sie offenbar auf einen medizinischen Notfall, wie auf Videos in sozialen Medien zu sehen ist, und fragte eine Besucherin: »Brauchst du einen Inhalator?« Den Tausenden anderen rief sie zu: »Es ist okay… Gebt ihr etwas Zeit. Nicht drängeln.«
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Zwei Leeren sollten aus dieser absurden Veranstaltung gezogen werden.
Cartoon des Tages: Drohgebärde
Foto:
plassmann / Thomas Plaßmann
Und heute Abend?
Könnten Sie unseren Talk »Spitzengespräch« gucken: Mein Kollege Markus Feldenkirchen diskutiert mit der grünen Familienministerin Anne Spiegel über eine bessere Unterstützung für Alleinerziehende, psychische Auswirkungen von Corona auf Kinder und Jugendliche und die einrichtungsbezogene Impfpflicht. (Die Sendung finden Sie ab 21 Uhr auf SPIEGEL.de)
Ihnen einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp
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