Rund eineinhalb Wochen vor der nächsten Bund-Länder-Runde ist die Ampel-Regierung uneins über den weiteren Kurs in der Coronapandemie. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sehen die Zeit für Lockerungen noch nicht gekommen – die FDP dringt dagegen auf rasche Öffnungsschritte.
Advertisement»Grund zu vorsichtiger Hoffnung«
Wirtschaftsminister Habeck sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: »Natürlich brauchen wir eine Öffnungsperspektive, aber die Lockerungen müssen zum richtigen Zeitpunkt kommen.« Noch sei die Omikron-Welle nicht gebrochen. Er plädierte für Einheitlichkeit bei den Lockerungen. »Ich halte es für wichtig, dass wir die einzelnen Schritte, was kommt zuerst, miteinander abstimmen«, sagte er. »Wir müssen schauen, wie sich die Pandemie entwickelt. In Deutschland haben wir eine vergleichsweise niedrige Impfrate gerade in der älteren Bevölkerung. Aber es gibt Grund zu vorsichtiger Hoffnung.«
Zurückhaltend hatte sich zuletzt auch Scholz geäußert. Die FDP fordert hingegen schon länger baldige Lockerungen – obwohl die Corona-Zahlen in Deutschland derzeit Rekordwerte erreichen. So meldete das Robert Koch-Institut (RKI) am Sonntag erstmals eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 1400. Befürworter von Öffnungsschritten argumentieren aber, dass der Krankheitsverlauf bei einer Omikron-Infektion in der Regel eher mild ist. Finanzminister Christian Lindner (FDP) verwies kürzlich darauf, dass die gesetzlichen Grundlagen der aktuellen Corona-Maßnahmen am 19. März auslaufen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte die Bundesregierung auf, einen Öffnungsplan vorzulegen. »Wenn wir uns sicher sein können, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet wird, dürfen Freiheitsrechte nicht mehr wie in anderen Phasen der Pandemie zurückstehen«, sagte der CSU-Chef der »Bild am Sonntag«. »Wir sollten bei Kultur, Sport und Handel weitere Öffnungsschritte angehen, wenn die Krankenhauszahlen stabil bleiben. Der konsequente Einsatz von FFP2-Masken erlaubt die Rücknahme von Kontaktbeschränkungen.«
Höhepunkt von Omikron-Welle steht noch bevor
Für den 16. Februar ist das nächste Spitzengespräch zwischen den Ministerpräsidenten und Scholz geplant. Dort könnten bundesweite Lockerungen vereinbart werden. Am 24. Januar hatten sich Bund und Länder darauf verständigt, »Öffnungsperspektiven« zu entwickeln, sobald eine Überlastung des Gesundheitssystems ausgeschlossen werden kann. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte mehrfach erklärt, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle in Deutschland wahrscheinlich Mitte Februar erreicht sein dürfte.
Lauterbach warnte am Wochenende noch einmal vor übereilten Schritten. »Unsere Strategie ist bisher gut aufgegangen«, sagte er der »Bild am Sonntag«. Mit gezielten Maßnahmen und Auffrischungsimpfungen sei es gelungen, Alte und Vorerkrankte zu schützen. »Wenn wir aber jetzt zu früh lockern, stellen wir unseren eigenen Erfolg unnötig infrage und riskieren neue, gefährliche Infektionen und eine Verlängerung der Welle. Das, was wir in Wochen aufgebaut haben, können wir so in Tagen verspielen.«
Kretschmann warnt vor beliebigen Kompromissen
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellte die Führungskraft von Kanzler Scholz infrage. Der Grünen-Politiker sagte am Samstag im Deutschlandfunk: »In einer Pandemie muss der Regierungschef stark führen, anders geht es nicht.«
Kretschmann sagte, in einer Krise sei die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs gefragt. Wenn die Koalitionspartner dem nicht relativ frei folgten, sei das ein Problem. Er erinnerte an Scholz’ Aussage, wer bei ihm Führung bestelle, kriege sie auch. Kretschmann warnte davor, beliebige Kompromisse einzugehen, auch wenn das in einer Regierung mit drei Partnern kompliziert sei. Die Lösung, eine allgemeine Corona-Impfpflicht über Gruppenanträge im Bundestag einführen zu wollen, sei etwa ein langwieriges Verfahren »mit der Gefahr, dass es zum Schluss zerredet wird und keine klare Linie dabei rauskommt«.
Die schwarz-grüne hessische Landesregierung kündigte derweil an, dass in Hessen ab Montag einige Maßnahmen wegfallen. So werde die 2G-Regel im Einzelhandel abgeschafft und bei Großveranstaltungen würden mehr Zuschauerinnen und Zuschauer zugelassen.
Spätestens am 16. Februar müsse es »auch um kluge Ideen für Erleichterungen gehen«, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) der »Rheinischen Post« vom Samstag. Den Menschen müsse Sicherheit gegeben werden, »dass es auch wieder Lockerungen gibt«.
Zunächst müsse jedoch der Höhepunkt der Omikron-Welle abgewartet werden, sagte Dreyer weiter. »Dann können wir besser einschätzen, ob die Krankenhäuser das auf ihren Normal- und Intensivstationen schaffen und wie sehr uns Personalausfall durch Infektion und Quarantäne in der kritischen Infrastruktur und in den Betrieben zusetzen werden.«
Laut Umfrage Mehrheit für Öffnungen
Einer aktuellen Umfrage zufolge spricht sich derzeit knapp die Hälfte der Deutschen für Lockerungen aus. Laut der Befragung von Insa für die »Bild am Sonntag« sind 49 Prozent der Deutschen für Öffnungsschritte und 44 Prozent dagegen. Auf die größte Ablehnung stießen Kontaktbeschränkungen für Geimpfte: Zwei Drittel der Befragten wollen sie abschaffen.
Dagegen sprach sich eine deutliche Mehrheit von 71 Prozent dafür aus, die Maskenpflicht im Öffentlichen Nahverkehr beizubehalten. Auch die Maskenpflicht im Einzelhandel und in Schulen wurde überwiegend positiv bewertet. 64 Prozent finden Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte sinnvoll.
Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, hatte am Mittwoch die Hoffnung auf baldige Lockerungen gedämpft. Er sehe keinen Anlass, bereits für die nächste Bund-Länder-Beratung einen Lockerungsfahrplan aufzustellen.