Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um eine neue vielversprechende Untersuchung des RKI zum Thema Migrationshintergrund und Impfbereitschaft. Um die Bereitschaft der EU, laufende Krisen nicht zu vergessen. Und um das New-York-Problem von US-Präsident Joe Biden.
Eine beinharte Untersuchung
Sobald das Wort Tabu fällt, wird es meist kompliziert und seltsam. Und das gilt sogar für Dinge, die nicht kompliziert sein müssten.
Den Beweis dafür könnte heute Vormittag eine Veranstaltung in Berlin liefern. Dort plant das »Covid-19 Impfquoten-Monitoring« des Robert Koch-Instituts (RKI), kurz Covimo, eine Studie vorzustellen: Sie widmet sich dem Thema »Impfbereitschaft, Impfakzeptanz und Migrationshintergrund«. Welche Rolle spielt die Herkunft? Und wie sollte und könnte eine Impfkampagne aussehen, die auch jene erreicht, die kein oder wenig Deutsch sprechen? Um diese Fragen wird es gehen. Und der Leiter der Impfkampagne Bremens (höchste Impfquote mit 89,3 Prozent und Bundesland mit höchstem Migrationsanteil an der Bevölkerung) wird zugegen sein und vielleicht sein Geheimnis verraten.
AdvertisementMan kann nur sagen: endlich! Gute Idee, so eine Untersuchung.
Eine Impfaktion an einem Einkaufszentrum in Bremen im vergangenen Sommer
Foto: Fabian Georgi / epd
Vor rund einem Jahr schrieb die »Bild«-Zeitung über ein Gespräch, das RKI-Chef Lothar Wieler mit Chefärzten gehabt habe. Da sei ihm berichtet worden, dass auf den Intensivstationen ein sehr großer Teil der schweren Coronafälle Patienten mit Migrationshintergrund seien. Wieler wurde mit den Worten zitiert: »Ich habe das genauso gehört. Aber es ist ein Tabu. Ich habe versucht, auf bestimmte Menschen zuzugehen. Wir müssen über Imame auf diese Religionsgruppe eingehen.«
Als ich das damals las, hatte ich sofort Kopfkino, wie er sockfuß auf dem Teppich eines Gebetsraumes steht und mit seinem ernsten Wieler-Gesicht auf einen Imam einredet. Doch dann las ich weiter: Demnach sagte er in dem Gespräch mit den Medizinern auch, dass es Parallelgesellschaften gebe und es »beinharte Sozialarbeit« in den Moscheen brauche. »Und da kommen wir nicht rein.«
Parallelgesellschaften finden sich immer nur in Moscheen, nie in Ischgl.
Als unbescholtene Leserin fragte man sich: Warum kommt man denn nicht da rein? Aus den meisten Moscheen scheinen die Leute ohne Bisswunden wieder rauszukommen. Auf Nachfragen der Zeitung einige Tage später ging Wieler nicht erneut ein. Er sagte nur, es habe sich um ein persönliches Gespräch gehandelt, und dass diese Daten nicht erhoben würden.
RKI-Chef Lothar Wieler
Foto: CHRISTIAN MARQUARDT / POOL / EPA
Die wenigsten wollen in der Haut des RKI-Chefs stecken, er hat derzeit einen der schwersten Jobs im Land, aber das Ganze stiftete einige Tage lang ziemliche Verwirrung. Insofern ist diese Untersuchung des RKI, die eine der bislang umfangreichsten zum Thema ist, sehr vielversprechend. Es sollte natürlich keine Tabus geben, wenn es um die Gesundheit und die Bekämpfung der Pandemie geht. Und keine vorauseilende Angst vor Rassismusvorwürfen.
Man kann nämlich das Argument auch umdrehen und fragen: Wäre es nicht viel eher rassistisch, nicht wissen zu wollen, warum etwa wichtige Informationen bei bestimmten Menschen gar nicht ankommen? Sich nicht auch um deren Gesundheit zu kümmern? Und die Barrieren zu identifizieren, die für Missstände verantwortlich sind? Auch hier gilt: Follow the science, not the Tabu. Wenn sich herausstellen sollte, dass eine direktere Ansprache (auch in anderen Sprachen) die Impfwilligkeit erhöht, wäre doch allen geholfen.
Krisen, die einfach nicht vorbeigehen wollen
Wenn heute unter der neuen Ratspräsidentschaft Frankreichs in Lille informell die europäischen Innen- und Justizminister und -ministerinnen zusammenkommen, dann soll es laut Ankündigung auch um die Migrationssteuerung gehen, unter anderem um Afghanistan und Belarus.
Beide Krisen sind übrigens noch nicht vorbei, zumindest nicht für die Menschen, die sich auf den Weg Richtung Westen machen.
Noch immer versuchen Menschen aus Afghanistan herauszukommen. Viele landen in der Türkei, werden dabei nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen Opfer von illegalen Rückführungen, auch als »Pushbacks« bezeichnet. Regelmäßig hindern türkische Sicherheitskräfte Tausende Schutzsuchende daran, die Grenze zu übertreten. Einwände dagegen aus Brüssel hört man kaum – es dürfte hier gelegen kommen, dass das Land die Migration »managt«.
Polnische Grenzschützer und Geflüchtete im Gebiet zwischen Polen und Belarus im Sommer 2021
Foto: Wojtek Radwanski / AFP
Noch immer sitzen Tausende Schutzsuchende auch in polnischen Zentren fest. Sie warten darauf, dass ihre Anträge bearbeitet werden. Es sind die Menschen, die der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko vergangenen Herbst an die Grenze geschleust hat, um Druck auf und Instabilität in Europa zu erzeugen. Was ihm in Teilen gelungen ist – selten war man sich in der EU einig in der Angst vor ein paar Tausend verfrorenen und erschöpften Menschen mit Rucksäcken.
Und noch immer hausen laut Medienberichten mehrere hundert Menschen in einer Logistikhalle an der Grenze zwischen Belarus und Polen und wissen nicht, wie es mit ihnen weitergeht – meine Kollegin Christina Hebel war Ende November in dieser Halle.
Die EU will das Asylsystem reformieren, tut dabei aber so, als hätte sie a) alle Zeit der Welt, b) als wären diese Menschen allein das Problem Polens oder c) als hätten sie mit jenen in der Logistikhalle in Belarus nichts zu tun. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen in der EU.
Polen will übrigens die Prüfung von Asylanträgen an der Grenze zu Belarus vollständig aussetzen. Bisher sieht es so aus, als wäre das den anderen EU-Staaten dann doch zu radikal. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass die Positionen der Migrations-Hardliner zum neuen europäischen Konsens würden.
New York, wir haben ein Problem
US-Präsident Joe Biden bleibt derzeit wirklich nichts erspart. Da sind die russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine. Da sind die schlechten Umfragewerte. Die innerparteilichen Rebellen, die ihm sein großes Konjunkturpaket zerschießen.
Nicht gerade die beste Ausgangslage, um schon wieder Wahlkampf zu machen – aber: im November finden Kongresswahlen statt.
Heute schaut sich US-Präsident Joe Biden die Lage in New York genauer an
Foto: Drew Angerer / Getty Images
Heute reist er dafür nach New York zum neuen Bürgermeister Eric Adams. Doch auch dort gibt es keine guten Nachrichten für Biden, denn die Stadt hat ein enormes Kriminalitätsproblem – das ist der Anlass für den Besuch. Im vergangenen Jahr gab es etwa 488 Morde. Passenderweise ist der neue Bürgermeister ein ehemaliger Polizist.
Laut einer Umfrage vertrauen nur 36 Prozent der Art, wie Biden mit dem Thema umgeht. Die Republikaner schlachten das natürlich aus. Und so muss der Präsident die Gelegenheit nutzen, um zu zeigen, dass er sich nicht nur um die russische Bedrohung der Ukraine kümmert, sondern auch um jene auf den Straßen in Brooklyn und Manhattan. Unser Korrespondent in New York, Marc Pitzke, schaut sich das Problem der Kriminalität in seiner Stadt genauer an, lesen Sie dazu seinen Artikel am Wochenende auf SPIEGEL.de.
Gewinnerin des Tages…
Soll jetzt mal bisschen nachdenken: Schauspielerin Whoopi Goldberg
Foto: JUSTIN LANE / EPA
… ist Schauspielerin und Entertainerin Whoopie Goldberg, weil sie nach ihren irrlichternden Behauptungen über den Holocaust von ihrem Fernsehsender ABC vorübergehend als Moderatorin suspendiert worden ist.
Goldberg hatte in der von ihr mitmoderierten Sendung »The View« behauptet, beim Holocaust sei es nicht um Rasse gegangen, und dass Rasse für sie etwas sei, dass man sehen könne. Die Schauspielerin hat sich seitdem mehrfach für ihre Äußerungen entschuldigt.
Warum sie eine Gewinnerin ist? Die ABC-Präsidentin Kimberly Godwin teilte in einem Statement mit, sie habe Goldberg darum gebeten, sich die Zeit zu nehmen und die Auswirkungen ihrer Aussagen zu reflektieren. Wer bekommt schon so eine Gelegenheit im Leben? Goldberg hat dafür nun zwei Wochen Zeit. Mal sehen, ob’s was bringt.
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USA sprechen nicht mehr von »unmittelbar bevorstehendem« Einmarsch Russlands: Das Weiße Haus ändert seine Wortwahl in der Ukrainekrise – weil unklar sei, ob Russlands Präsident schon über einen möglichen Einmarsch entschieden habe. Zudem senden die USA 2000 Soldaten nach Europa, 300 davon nach Deutschland
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Ihre Özlem Topçu