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Corona: Pflichttest nach dem Urlaub?

Die Zahl der Corona-Infektionen steigt vielerorts in Europa wieder, viele Menschen kehren aus ihrem Sommerurlaub zurück. Sind die Reisenden eine Gefahr für das Infektionsgeschehen in Deutschland? Am Freitag entschieden sich die Gesundheitsminister zunächst für freiwillige Corona-Tests für Ferienrückkehrer. Doch inzwischen mehren sich die Rufe nach verpflichtenden Tests, auch die Bundesregierung denkt darüber nach.

Warum ist die Sorge im Zusammenhang mit den Urlaubsrückkehrern so groß?

Die Corona-Pandemie in Europa wurde durch sogenannte Hotspots begünstigt, Orten also, an denen und von denen aus sich das Virus rasch verbreitet hat. Einer davon war der Skiort Ischgl. Laut Recherchen des ORF hatten sich mehr als 11.000 Bürger aus der Europäischen Union in Österreich mit dem Virus infiziert, größtenteils in Ischgl und umliegenden Tiroler Skigebieten. Von dort trugen sie es anschließend ins gesamte EU-Gebiet. Diese Erfahrung ist noch sehr präsent, die Angst vor einer zweiten Welle, womöglich begünstigt durch den Ferienreiseverkehr, ist groß.

Dazu kommt: Oft ist die Ansteckungsgefahr nicht am Ziel am größten, sondern während der Reise selbst. Auf Flughäfen und an Bahnhöfen wird der Mindestabstand oft nicht eingehalten, und nicht alle Passagiere tragen den Mund-Nasen-Schutz wirklich während der gesamten Reisedauer. 

In Flugzeugen sind sogenannte Hepa-Filter eingebaut, die Viren entfernen sollen. Die Fluglinien gehen deswegen davon aus, dass das Ansteckungsrisiko in Flugzeugen nicht hoch ist. Doch daran gibt es Zweifel. Dieter Scholz, Experte für Flugzeugkabinen, hält die derzeitigen Hygiene-Maßnahmen in Flugzeugen nicht für ausreichend, sagte er in einem Interview mit der “Welt”. Welche Filter in Zügen eingebaut sind, ist nicht bekannt, die Bahn hat hierzu bislang keine Angaben gemacht. Bisher verweisen Unternehmenssprecher laut “Welt” lediglich darauf, dass eine Übertragung des Virus über Lüftungs- und Klimaanlagen “für nahezu ausgeschlossen” gehalten wird.  

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Was gilt bisher? 

Die Gesundheitsminister konnten sich vergangene Woche nicht auf verpflichtende Tests für Rückkehrer aus Risikogebieten einigen, stattdessen setzen sie auf freiwillige, kostenlose Tests, die direkt am Flughafen angeboten werden. Menschen, die aus Nichtrisikoländern einreisen, können sich innerhalb von 72 Stunden ebenfalls kostenlos testen lassen, allerdings nicht bereits am Flughafen.

Welches Land zu den Risikogebieten zählt, legt das Robert Koch-Institut fest. Derzeit fallen mehr als 100 Staaten in diese Kategorie, unter anderem die USA, die Türkei, Südafrika, Ägypten und Israel. Innerhalb der EU wird wegen der hohen Zahl von Neuinfektionen nur vor Reisen nach Luxemburg gewarnt.

Die Konzentration der Tests auf Rückkehrer aus Risikogebieten sieht mancher kritisch. “Gerade bei Rückkehrern aus Nichtrisikogebieten könnte die Infektionsgefahr am größten sein”, sagt SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. “Dort sind die Maßnahmen zurückgefahren, die Menschen wiegen sich in Sicherheit.”

Wer will Pflichttests?  

Vor allem Bayern plädierte am Montag für eine Testpflicht für Reiserückkehrer aus Risikogebieten. Sie solle “unbedingt” und “so schnell wie möglich” kommen, mahnte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Er warnte vor vielen “Mini-Ischgls”.

Aber auch die Bundesregierung zeigt sich offen. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte am Samstag im Deutschlandfunk gesagt, man prüfe, ob es rechtlich möglich sei, Menschen zum Test zu verpflichten. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) erklärte am Montag nach einem Austausch mit Ländervertretern: “Ich glaube, dass wir da relativ schnell zu einer Lösung kommen.”

Wer soll die Kosten übernehmen?

Die Kosten für die freiwilligen Tests an Flughäfen teilen sich laut Beschluss der Gesundheitsminister Bund und Länder. Wird der Test zur Pflicht, solle auch dieser kostenlos sein, sagte Kanzleramtschef Helge Braun. Oder doch nicht? Zumindest im Ministerpapier vom Freitag heißt es: Perspektivisch sollten die “Kosten über die Flughafengebühren mittelbar auf die Ticketpreise umgelegt werden. Hierfür prüft der Bund die Schaffung einer entsprechenden Rechtsgrundlage.”

FDP-Chef Christian Lindner forderte im ZDF, dass Urlauber selbst zur Kasse gebeten werden sollten: “Wer sich in ein Risikogebiet freiwillig begibt als Tourist, der wird damit in Kauf nehmen müssen, dass er für diesen Test auch bezahlt.”

Es gibt rechtliche Bedenken gegen Pflichttests – welche?

Die Frage, ob eine Pflicht zum Test rechtlich überhaupt möglich ist, wird noch immer geprüft. Für medizinische Eingriffe gelten höhere Hürden als für eine Quarantäne-Maßnahme, es muss Gründe geben, damit die Maßnahme auch gerechtfertigt ist. Die Befürchtung: Ein Gericht könnte die Pflicht kippen, weil die Anordnung als “unangemessen” eingestuft wird.

“Einen Test vorzunehmen, ist schon ein starker Eingriff in die Intimsphäre beziehungsweise in die körperliche Unversehrtheit”, sagte die die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Dilek Kalayci (SPD) im ZDF. Auch Bundesgesundheitsminister Spahn sprach von einem “Eingriff in die Freiheit”. Der Rechtswissenschaftlers Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg sieht das ähnlich. “Das Ziel des Infektionsschutzes ist aber legitim und der Eingriff zumutbar”, so Kingreen. “Deshalb wäre ein verpflichtender Test verfassungsrechtlich zulässig.”

Das Infektionsschutzgesetz, Grundlage der meisten Corona-Maßnahmen, macht zwar den Weg für Schulschließungen oder Ausgangsbeschränkungen frei. Vorgaben für zwingende Tests enthält es aber nicht. In Paragraf 29 des Gesetzes heißt es lediglich, dass Kranke oder Ansteckungsverdächtige einer Beobachtung unterworfen werden können – für wen das gilt, der muss die erforderlichen Untersuchungen durch die Beauftragten des Gesundheitsamtes dulden.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach sich für eine Gesetzesänderung aus, sollte die aktuelle Gesetzeslage keine Testpflicht erlauben. Auch SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach sagte: “Ich halte die Hürde für eine Pflicht für rechtlich überwindbar.”

Der Haken bei einer Neuregelung: Sie dauert. Bundestag und Bundesrat tagen regulär erst wieder im September, Sondersitzungen wären aufwändig. Ein neues Gesetz wäre damit wohl erst zum Ende der Sommerurlaubssaison möglich – und käme damit zu spät.

Stellt sich die Frage, warum man sich nicht schon früher mit der Frage beschäftigt hat. Spahn hätte “schon vor Monaten klären müssen”, ob die Testpflicht juristisch umsetzbar ist, kritisiert die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus.

Welche praktischen Hürden hätte eine Testpflicht?  

Bisher steht noch nicht fest, wer die Tests an den Flughäfen durchführen könnte, sollte es zu einer allgemeinen Pflicht kommen. Am Flughafen Frankfurt wird das Testzentrum beispielsweise vom Biotech-Unternehmen Centogene betrieben. Am Flughafen München betreibt eine Tochtergesellschaft des Flughafens eine Teststation.  

Im Beschluss der Gesundheitsminister heißt es dazu lediglich: “Zur Testung von Einreisenden aus Risikogebieten im Ausland werden an allen deutschen Flughäfen mit entsprechendem Flugverkehr notwendige Testmöglichkeiten geschaffen.”

Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen betont, Mitarbeiter der Flughäfen seien nicht befugt, Passagiere auf ihren Gesundheitsstatus hin zu überprüfen. “In jedem Fall gilt: Sollten die Gesundheitsbehörden einen – wie auch immer gearteten – Schnelltest anordnen, müsste dieser von den Behörden durchgeführt werden.”

Wie sinnvoll wären Flughafen-Tests überhaupt?

Streng genommen müsste man nicht nur um Flugreisende, sondern auch Reisende mit der Bahn, dem Bus oder dem eigenen Auto testen. Selbst wenn auch auf Bahnhöfen oder an Grenzübergängen Teststationen eingerichtet würden – eine Kontrolle der Testpflicht wäre kaum möglich.

Zu guter Letzt: Es kann sein, dass das Virus bei einem frisch Infizierten beim Test noch nicht nachweisbar ist. “Eine negative Testung kann immer nur eine Momentaufnahme darstellen”, heißt es im Beschluss der Gesundheitsminister. Daher sei fünf bis sieben Tage nach der Einreise ein weiterer Test sinnvoll. Freiwillig oder verpflichtend?

Icon: Der Spiegel

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