SPIEGEL: Vor 15 Jahren starb der Asylsuchende Oury Jalloh in einer Gefängniszelle in Dessau. Bis heute sind die Umstände nicht aufgeklärt. Erst jetzt fordert die SPD einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Warum die Kehrtwende?
Katja Pähle: Wir haben ja nie eine solche parlamentarische Untersuchung abgelehnt. In der Koalition mit CDU und Grünen haben wir zwei Sonderberater eingesetzt. Doch das funktioniert offensichtlich nicht, noch immer sind Fragen offen. Und die muss nun ein Untersuchungsausschuss in der nächsten Legislaturperiode klären.
SPIEGEL: Sieben involvierte Staatsanwälte und Richter wollen nicht mit den Beratern sprechen. Könnten die im Untersuchungsausschuss dazu verpflichtet werden?
Pähle: Da muss man unterscheiden zwischen den Richtern und Staatsanwälten. Die Unabhängigkeit der Richter darf nicht in Frage gestellt werden. Staatsanwälte hingegen hätten eine Aussagepflicht.
AdvertisementSPIEGEL: Sie sind in die Politik gegangen, um sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Im vergangenen Jahr tötete der Rechtsextremist Stephan Balliet bei einem Anschlag in Halle zwei Menschen, Sachsen-Anhalt macht immer wieder mit rechtsextremen Vorfällen Schlagzeilen. Hat sich die Lage weiter verschlimmert?
Pähle: Als ich 1998 bei den Jusos und 1999 in die SPD eingetreten bin, war die DVU gerade mit 13 Prozent in den sachsen-anhaltischen Landtag eingezogen. Dem wollte ich mich entgegenstellen. Wir haben in ganz Deutschland generell ein Rechtsextremismus-Problem, für Sachsen-Anhalt gilt das aber besonders. Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode einiges auf den Weg gebracht, wir unterstützen etwa Netzwerke und Vereine im Kampf gegen Rechtsextremisten. Aber wir müssen noch aktiver werden.
Katja Pähle, geboren 1977, ist SPD-Fraktionschefin in Sachsen-Anhalt und Vorstandsmitglied der Bundes-SPD, Beisitzerin des Präsidiums. Bei der Landtagswahl im Juni 2021 tritt sie als Spitzenkandidatin ihrer Partei an, die bei der Wahl 2016 auf 10,6 Prozent abgestürzt war. Pähle studierte in Halle Soziologie und Psychologie und promovierte 2010 dort über Kommunalpolitik. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.
SPIEGEL: Eigentlich wollte Ihre Kenia-Koalition ein Bollwerk gegen Rechtsaußen sein, doch die CDU hatte zuletzt immer wieder Probleme, sich klar von der AfD abzugrenzen. Die SPD droht immer mal wieder mit dem Koalitionsausstieg. Wie glaubwürdig ist das?
Pähle: Ein Regierungspartner, der mit Rechtsextremen gemeinsame Sache macht, kommt für uns nicht in Frage. Es hat mich zutiefst erschreckt, dass die CDU im Fall Möritz so spät reagiert hat …
SPIEGEL: Sie spielen auf den CDU-Politiker Robert Möritz an, einem vorgeblichen Ex-Neonazi, der in einem Kreisvorstand der Christdemokraten saß und sich nicht glaubhaft vom Rechtsextremismus distanzieren konnte.
Pähle: Genau, aber wer weiß, was passiert wäre, wenn wir nicht so viel Druck gemacht hätten. Wir sind in der Kenia-Koalition das Korrektiv. Wir passen auf, dass die CDU nicht nach rechts driftet. Wir appellieren an die Anständigen in der CDU, die dort zum Glück noch in der Mehrheit sind.
SPIEGEL: Möglicherweise könnte CDU-Landeschef und Innenminister Holger Stahlknecht ihr Gegenkandidat werden. Hat er falsch reagiert?
Pähle: Wir sind nicht dafür zuständig, wann und wie die CDU ihren Spitzenkandidaten aufstellt. Offensichtlich gibt es da noch keine Einigung, ob nun Ministerpräsident Haseloff wieder antreten soll oder Stahlknecht übernimmt. Der Innenminister verhält sich nicht immer eindeutig. Wir hätten uns etwa eine klare Abgrenzung gewünscht, als zwei Fraktionsvizes der CDU in einer ominösen Denkschrift das “das Soziale mit dem Nationalen versöhnen” wollten. Diese Abgrenzung hat es aber nicht gegeben.
SPIEGEL: Sie gehören dem Parteivorstand der Bundes-SPD an, ziehen als Spitzenkandidatin in die Landtagswahl im kommenden Jahr. Ihre Partei aber ist in der Dauerkrise, warum tun Sie sich das an?
Pähle: Meinen Kindern sage ich immer: Weil es mir Spaß macht. Weil ich merke, dass ich etwas erreichen kann. Es gibt auch Tage, an denen bin ich nicht mit allem glücklich. Aber das ist in jedem Job so. Und was die Dauerkrise der SPD angeht, würde ich widersprechen.
SPIEGEL: Mit Verlaub, das ist doch geflunkert. Als Sie in die SPD eintraten, war das eine Volkspartei, da übernahm Rot-Grün die Macht in Bonn. Nun kämpft die SPD gegen den Niedergang, vor allem im Osten. Das muss doch Frust pur sein.
Pähle: Natürlich gibt es frustrierende Erlebnisse. Die Diskussionen über die SPD am Infostand machen nicht immer Spaß und setzen keine Glückshormone frei. Aber es gibt auch Momente, wo ich sage: Jetzt habe ich jemanden überzeugt. In der Koalition gab es zum Beispiel viele Punkte, an denen wir uns durchgesetzt haben.
SPIEGEL: Die SPD hat zuletzt viel Aufwand betrieben, um die Partei im Osten zu stärken. Wenn man sich die schwachen Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen anschaut, ist das alles verpufft. Kann die Bundespartei noch irgendwas tun?
Pähle: Die Wahl in Brandenburg haben wir gewonnen. Natürlich ist es schwer. Aber unser Gewicht in der Partei ist gestiegen. In der neuen Parteispitze gibt es eine größere Sensibilität dafür, dass der Osten anders tickt.
SPIEGEL: Wünschen Sie sich Wahlkampfunterstützung durch die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans?
Pähle: Natürlich. Das funktioniert nur gemeinsam. Als die Mitglieder mich als Spitzenkandidatin gewählt habe, haben mir Kevin Kühnert, Saskia Esken und Lars Klingbeil sofort gratuliert und mir ihre Hilfe angeboten. Ich werde das schamlos ausnutzen.
SPIEGEL: Ihre Landespartei liegt in in Umfragen bei 13 Prozent. Ein rot-rot- grünes Bündnis scheint in weiter Ferne. Wie wollen Sie das erreichen?
Pähle: Unser Landesparteitag hat sich als klares Ziel eine progressive Mehrheit im Landtag vorgenommen. Wenn wir es schaffen, die Mehrheitsverhältnisse so weit zu verschieben, dass am Ende Rot-Rot-Grün unter SPD-Führung mit einer sozialdemokratischen Ministerpräsidentin möglich wird – umso besser. Die Kenia-Koalition war nie ein Wunschprojekt, sondern immer ein Zwangsbündnis, ein Abwehrbündnis gegen die AfD.
SPIEGEL: Sie haben in Sachsen-Anhalt gerade mal noch 3500 Mitglieder. Finden Sie überhaupt genug Kandidaten für die Wahlkreise und für die Liste?
Pähle: Selbstverständlich. Die Aufstellungen laufen gerade in allen Wahlkreisen. Kein Kandidat muss mit seinem Plakat alleine auf dem Marktplatz stehen. Deshalb sorgen wir dafür, dass von der Landespartei Unterstützung kommt. Das ist ein Signal an alle, die grundsätzlich bereit sind anzutreten, aber noch zögern. So kriegen wir das auch hin mit den 41 Kandidaten.
SPIEGEL: Auch die Bundespartei kommt in den Umfragen nicht aus dem 15- Prozent-Loch, die Unzufriedenheit mit den Parteivorsitzenden wächst. Wie beurteilen Sie die Arbeit von Esken und Walter-Borjans?
Pähle: Ärger über die Parteivorsitzenden gibt es immer. Es gab großen Unmut über manche Äußerung von Gerhard Schröder, über manchen Satz von Sigmar Gabriel, und auch der Schulz-Zug war nicht lange auf dem Gleis. Das ist schade, weil uns mehr Geschlossenheit gut tun würde. Aber meine Partei ist so, ich habe mich daran gewöhnt.
SPIEGEL: Die Kritik an Esken und Walter-Borjans ist aber zum Teil schon so vernichtend, wie sie es am Ende bei Andrea Nahles war. Wie erklären Sie sich das?
Pähle: Die Situation ist mit der Zeit vor dem Rücktritt von Andrea Nahles überhaupt nicht vergleichbar. Es gibt in der Partei unterschiedliche Vorstellungen davon, was den perfekten Vorsitzenden ausmacht. Wir könnten da zehn Leute hinsetzen und jeder sucht sich seinen Favoriten aus, aber so funktioniert es nicht. Ich erlebe Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans so, dass sie sich der Kritik stellen, sie bügeln Kritiker nicht einfach ab. Das war in der Vergangenheit anders.
SPIEGEL: Sie wurden von den Mitgliedern zur Spitzenkandidatin gewählt. Können Sie sich solch ein Verfahren auch für die Kür des Kanzlerkandidaten vorstellen?
Pähle: Nein. Das würde rein zeitlich keinen Sinn mehr machen.
SPIEGEL: Oder gibt es schlicht nur einen Kandidaten, der infrage kommt?
Pähle: Die Parteivorsitzenden werden dem Präsidium nach der Sommerpause einen Vorschlag machen.
SPIEGEL: Unterstützen Sie denn Olaf Scholz?
Pähle: Ich bin mir sicher: Die Vorsitzenden werden einen Vorschlag machen, den nicht nur das Präsidium, sondern die ganze Partei unterstützen wird.