Das Ostproblem der Grünen
Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck fährt heute nach Sachsen. Er trifft dort den CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und wird an der Kabinettssitzung teilnehmen, auch ein Besuch beim Unternehmen Wacker Chemie ist geplant. Wahrscheinlich wird es für Habeck keine angenehme Reise.
Bundeswirtschaftsminister Habeck
Foto: SEAN GALLUP / POOL / EPA
Obwohl seine Partei im Bund zurzeit einen Grundsatz nach dem anderen aufgibt, gilt sie im Osten noch immer als besonders ideologisch. Und obwohl die Partei mit ihrem Doppelnamen »Bündnis 90/Die Grünen« zumindest für den Versuch steht, ostdeutsche Einflüsse gleichberechtigt aufzunehmen, gilt sie hier als besonders westdeutsch. Im politischen Alltag wird der ostdeutsche Teil des Doppelnamens ja auch meist weggelassen.
Politische Ansichten entspringen immer auch – und oft maßgeblich – persönlichen Erfahrungen. Die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke sagte im Sommer in einem SPIEGEL-Gespräch : »Die grünen Themen haben es im Osten immer noch schwer. Dass die Industriebetriebe nach der Wende geschlossen wurden und Tausende plötzlich auf der Straße standen, teilweise für Jahre ohne Perspektive, das hat den Osten über sehr viele Jahre dominiert.«
Klimawandel und Artensterben werden zwar bald schon wieder Wohlstand und Arbeitsplätze gefährden, doch wie immer in Beziehungsstörungen, wird es Grünenpolitikern im Osten schwerfallen, mit solchen Argumenten gegen die dortigen Ängste anzureden. Argumente dringen nur durch, wenn Ängste ernst genommen werden.
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Anti-Habeck-Protest in Schwedt: Das Misstrauen gegen die Grünen im Osten
Die Schwäche des Arguments
Mit Argumenten ist es sowieso kompliziert. Ein Argument mag noch so nachvollziehbar sein, wenn es zum falschen Zeitpunkt kommt, nützt es nichts. Wie sehr bemüht sich in diesen Tagen das Umfeld des Kanzlers, den Deal mit China im Hamburger Hafen kleinzureden: Im Vergleich zu anderen Geschäften mit China sei dieser doch nachrangig, so heißt es.
In der heutigen Zeit aber, in der sich die Folgen der Abhängigkeit Deutschlands von Russland so brutal zeigen, reagiert die Öffentlichkeit empfindlich auf weitere Abhängigkeiten von totalitären Regimen, ob sie nun Russland oder China heißen.
Kanzler Scholz
Foto: Christoph Soeder / dpa
Für heute haben Menschenrechtsverbände in Berlin zu einer Pressekonferenz geladen. Fragestellung: »Was muss sich an der China-Strategie der Bundesregierung ändern?«
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»Niemand will sein Geschäft herunterfahren«: Die deutsche Wirtschaft ignoriert das China-Risiko
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
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Kiew lobt deutsche Raketenabwehr, Russland will Zusagen für Getreidekorridor: Laut der Ukraine holt das Iris-T-Abwehrsystem zuverlässig russische Raketen vom Himmel. Der Streit um Getreidetransporte geht weiter. Und: Untersuchung wegen angeblicher »schmutziger Bombe« läuft. Das geschah in der Nacht.
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»Man darf uns nicht das Recht nehmen, sich ein Leben in Sicherheit aufzubauen«: Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen nicht raus aus der Ukraine – das gilt seit Kurzem auch für Studenten, die im Ausland eingeschrieben sind. Einige von ihnen sind verzweifelt und wählen einen lebensgefährlichen Weg.
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Kamikazedrohnen lernen schwimmen – und attackieren Schwarzmeerflotte: Mit unbemannten Kampfbooten kontert Kiew wohl Russlands Angriffe auf zivile Infrastruktur. Moskaus Abwehrversuche haben nur mäßigen Erfolg. Was über die Schwimmdrohnen bekannt ist.
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Russen attackieren gezielt Strom- und Wasserversorgung: Russische Raketen haben in zahlreichen ukrainischen Städten wichtige Infrastruktur zerstört. In Kiew wurde das Wasser knapp, in Charkiw stand der Nahverkehr still.
Kehrt Netanyahu zurück?
Bei den wichtigen Wahlen in diesen Tagen treten alte Bekannte auf. Gerade hat Luiz Inácio Lula da Silva, der schon einmal Brasiliens Präsident war, die Stichwahl in Brasilien gewonnen (hier mehr dazu ). In Israel wiederum hofft Ex-Regierungschef Benjamin Netanyahu heute auf eine Rückkehr als Ministerpräsident. Wie in Brasilien wird auch in Israel mit einem knappen Ausgang gerechnet.
Wahlkämpfer Netanyahu
Foto: THOMAS COEX / AFP
Es gibt eine weitere Parallele zwischen Lula und Netanyahu: In einem umstrittenen Prozess war Lula 2017 zu einer hohen Haft verurteilt worden, einen Teil davon musste er auch absitzen. Auch gegen Netanyahu laufen verschiedene Strafverfahren, jetzt gehe es für ihn sogar um »Macht oder Knast« , schreiben meine Kollegin Monika Bolliger und mein Kollege Maximilian Popp.
Viel größer als diese Gemeinsamkeit zwischen den beiden Männern sind aber die Unterschiede. Der Wahlsieg Lulas in Brasilien wurde international mit Erleichterung aufgenommen, denn ein Sieg seines Konkurrenten Jair Bolsonaro hätte sich fatal auf die Demokratie ausgewirkt.
Ein Sieg Netanyahus aber würde international wohl eher zurückhaltend aufgenommen. Netanyahu hat den Friedensprozess mit den Palästinensern torpediert, auch für die israelische Demokratie hätte ein Sieg Bibis, wie er im Land meist genannt wird, gravierende Folgen: »Kerninstitutionen wie die Justiz könnten beschädigt werden, wenn Netanyahu gewinnt. Der Charakter Israels könnte sich verändern«, warnte Israels Ex-Premier Ehud Olmert in einem Interview mit meinem Kollegen Maximilian Popp.
Erste Prognosen soll es heute nach Schließung der Wahllokale um 21 Uhr geben.
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Israels Ex-Premier Olmert über Netanyahu: »Niemand mag Bibi, nicht einmal seine Anhänger«
Auch Du, Dänemark
In Dänemark steht heute ebenfalls eine Wahl an. Nach einem Ultimatum einer linksliberalen Unterstützerpartei hatte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am 5. Oktober verkündet, dass am 1. November ein neues Parlament gewählt wird. Die Sozialdemokratin, die bislang einer Minderheitsregierung vorsteht, strebt nun eine breite Regierungszusammenarbeit über die politische Mitte an.
Ministerpräsidentin Frederiksen
Foto: Mads Claus Rasmussen/ AFP
Auch wenn sich Frederiksen mit ihren Plänen durchsetzen sollte – eine Ministerpräsidentin der Herzen wird sie nicht werden. Für eine Sozialdemokratin steht sie erstaunlich weit rechts, und ihr Führungsstil gilt als ausgesprochen autoritär.
In Dänemark sind die Wahllokale bis 20 Uhr geöffnet. Unmittelbar danach soll es erste Prognosen geben.
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Lesen Sie hier mehr über die Parlamentswahl in Dänemark: Die Systemsprengerin
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Die Startfrage heute: Wogegen müssen Kinder in Deutschland laut einem Schutzgesetz von März 2020 geimpft sein?
Verlierer des Tages…
Galeria Karstadt Kaufhof Filiale am Westenhellweg in Dortmund (2020)
Foto: Dieter Menne/ DPA
…ist das große Warenhaus. Deutschlands letzter großer Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof sucht jetzt bereits das zweite Mal innerhalb von weniger als zwei Jahren Rettung in einem Schutzschirmverfahren. Ein Drittel der Filialen wird wohl schließen müssen. Für die Angestellten ist das bitter.
Die Pandemie, die Inflation und die hohen Energiepreise machen dem Konzern zu schaffen. Es hat sich aber auch der Zeitgeschmack verändert. Viele Kundinnen und Kunden kaufen lieber gezielt im Internet ein, andere gehen in das kleine Geschäft im Viertel. Lag in Wirtschaftswunderjahren der Reiz eines großen Warenhauses in der Fülle seiner Angebote, schreckt diese Fülle in Zeiten des Überangebots eher ab.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
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Biden droht Ölkonzernen mit Übergewinnsteuer: Kurz vor den Zwischenwahlen in den USA geht Präsident Biden die Ölindustrie scharf an. »Entweder sie senkt die Preise an der Zapfsäule, oder sie zahlt eine höhere Steuer.«
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Musk macht sich zu Twitters Alleinherrscher: Der Verwaltungsrat kontrolliert eigentlich das Spitzenmanagement – doch das gibt es bei Twitter nicht mehr. Nun hat Musk auch den Rat aufgelöst: Der reichste Mann der Welt ist damit »alleiniger Direktor« von Twitter.
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Baerbocks früherer Büroleiter soll Cheflobbyist von RWE werden: Ein enger Vertrauter von Außenministerin Annalena Baerbock wechselt laut einem Zeitungsbericht die Seiten. Ihr ehemaliger Büroleiter hat demnach beim Energiekonzern RWE angeheuert.
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Wann eine neue Heizung sinnvoll ist: Angesichts der hohen Gas- und Ölpreise überlegen viele Hauseigentümer, eine neue, sparsamere Heizung zu installieren. In welchen Fällen sich das lohnt – und welche Alternativen es gibt .
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Susanne Beyer