Kein Comeback für Johnson
Wäre er doch besser in der Karibik geblieben, dann hätte er sich und seinen Fans diese peinliche Demütigung erspart. Am Wochenende war Boris Johnson extra aus dem Familienurlaub in der Dominikanischen Republik nach London gejettet, um sich für die Rückkehr an die Macht in Stellung zu bringen. Alles deutete darauf hin, dass er wirklich durchziehen wollte, immer mehr Unterstützer meldeten sich öffentlich zu Wort.
Da wähnte er sich noch im Rennen: Boris Johnson bei der Ankunft am Flughafen in London (am Samstag)
Foto: HENRY NICHOLLS / REUTERS
Doch am späten Sonntagabend zuckte der 58-Jährige wieder zurück: Er kandidiert nicht für die Nachfolge der gescheiterten Premierministerin Liz Truss.
Was hat zu BoJo’s Sinneswandel geführt? Am fehlenden Selbstbewusstsein liegt es nicht. Auch nicht an der Einsicht, dass sein Comeback-Versuch die ohnehin zerstrittenen Tories noch tiefer ins Chaos hätte stürzen können.
Nein, der gestürzte Party-Premier, der sich am Ende seiner Amtszeit in einem Netz aus Lügen, Affären, Gesetzesbrüchen und Ausflüchten verheddert hatte, ist immer noch fest davon überzeugt, dass er der beste Mann für den Job ist. Er habe nicht nur die notwendige Unterstützung für eine Kandidatur, erklärte er, er hätte auch »eine sehr gute Chance« gehabt, eine Abstimmung unter den Mitgliedern der Konservativen zu gewinnen und die Tories zu einem Wahlsieg 2024 zu führen.
»Ich glaube, ich habe viel anzubieten«, teilte Johnson mit, »aber ich fürchte, es ist einfach nicht die richtige Zeit.« Schuld sind für ihn offenbar die anderen Premier-Aspiranten, Penny Mordaunt und Rishi Sunak, mit denen er »leider« keinen Weg gefunden habe, im nationalen Interesse zusammenzukommen. Mit anderen Worten: Sunak und Mordaunt wollten nicht zugunsten Johnsons zurückziehen.
So erlebt die britische Farce also eine neuerliche Wendung, und der Rest Europas schaut staunend zu. Nach Johnsons Verzicht müssen nun die verbliebenen Kandidaten bis heute Nachmittag die nötigen 100 Unterstützer aus der konservativen Fraktion vorweisen.
Als klarer Favorit gilt jetzt Ex-Finanzminister Rishi Sunak, aber auch die Ministerin für Parlamentsfragen, Penny Mordaunt, hat ihre Ambitionen erneuert. Sie könnte nun versuchen, bisherige Johnson-Anhänger auf ihre Seite zu ziehen.
Wenn es sich der Ex-Premier nicht noch anders überlegt. In diesen Chaostagen scheint im Vereinigten Königreich nichts ausgeschlossen.
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Ex-Tory-Beraterin über den Zustand der Partei: »Wir sind definitiv noch nicht aus dem Gröbsten raus«
Ende der brachialen »Leberwurst«-Diplomatie?
An diesem Montag tritt der neue ukrainische Botschafter in Deutschland offiziell sein Amt an. Oleksij Makejew erhält am Nachmittag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sein Beglaubigungsschreiben.
Oleksij Makejew (Archivbild von 2015): Hart in der Sache, zurückhaltender im Ton?
Foto: Soeren Stache / dpa
Der 46-Jährige folgt auf Andrej Melnyk, der Deutschland kürzlich nach fast acht Jahren als Botschafter verlassen hat. In der Bundesregierung sind einige über den Wechsel alles andere als traurig. Melnyk trug seine Forderungen und Vorwürfe in Talkshows und über Twitter meist wenig diplomatisch vor und ging den Ampelkoalitionären damit bisweilen gehörig auf die Nerven. Den Kanzler bezeichnete der scheidende Botschafter im Streit über einen Ukrainebesuch als »beleidigte Leberwurst« – eine Schmähung, für die sich Melnyk später bei Olaf Scholz entschuldigen wollte.
Wird der Neue zurückhaltender auftreten? Vielleicht im Ton. Zumindest sind von Makejew, bisher ukrainischer Regierungsbeauftragter für Russlandsanktionen, noch keine scharfen oder provokanten Aussagen bekannt.
In der Sache allerdings sollte sich man in Berlin keine allzu großen Hoffnungen machen: Schon am ersten Tag in Deutschland hat Makejew klargemacht, wie er zum Thema Waffenlieferungen steht: »Ich muss ehrlich sein: Wir brauchen mehr. Wir brauchen viel mehr.«
Welche Rolle Andrej Melnyk künftig in der Ukraine spielen wird, ist noch nicht klar. Er hat aber schon wissen lassen, dass er die deutsche Politik wohl auch nach Erhalt seines Abberufungsschreibens nicht in Ruhe lassen wird: »Ich kann nicht versprechen, dass ich die Klappe halten werde.«
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Wie Russland zum Waffenimporteur wurde: Russland setzt in der Ukraine Drohnen aus Iran ein und holt sogar iranische Ausbilder. Militärexperte Anton Mardassow erklärt im Interview, welche Folgen es hat, wenn der weltgrößte Waffenexporteur zum Kunden Teherans wird.
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»Kerzen anzünden und weiterleben«: In Kiew und anderen Städten des Landes ist es zu großflächigen Stromausfällen gekommen. Die Menschen machten das Beste aus der Situation – mit Musik und Candlelight-Dinner.
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Russischer Kampfjet stürzt auf Gebäude in Sibirien: Ein russischer Kampfjet ist in Sibirien in ein Haus gestürzt, die beiden Piloten starben. In dieser Woche kam es bereits zu einem ähnlichen Vorfall – nun soll eine Verletzung der Flugsicherheitsregeln untersucht werden.
Ist das KSK wieder unter Kontrolle?
Um das Kommando Spezialkräfte, kurz KSK, ist es zuletzt ruhiger geworden. Und das ist gut so. Denn die Spezialeinheit der Bundeswehr, die ja eigentlich streng geheim agieren soll, hatte in den vergangenen Jahren viel zu viele Schlagzeilen gemacht. Und zwar nicht mit militärischen Erfolgen, sondern mit Skandalen.
KSK-Soldaten mit KSK-Hund (bei einer Übung in Mecklenburg-Vorpommern)
Foto: Björn Trotzki / imago images/Björn Trotzki
Rechtsextreme Umtriebe unter den Soldaten, geschmacklose Partys, verschwundene Munition samt rechtlich problematischer Rückgabe-Aktion – die vermeintliche Eliteeinheit der Truppe war zwischenzeitlich so außer Kontrolle geraten, dass die damalige CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Notbremse ziehen musste. Eine Kompanie wurde komplett aufgelöst, ein neuer Kommandeur installiert, ein 60-Punkte-Reformplan aufgelegt.
Am Montagmorgen will nun Kramp-Karrenbauers Nachfolgerin überprüfen, ob die Aufräumarbeiten abgeschlossen sind. Zum ersten Mal besucht Ampel-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht die KSK-Kaserne im baden-württembergischen Calw. Die Elitekrieger werden versuchen, sich von ihrer besten und zugleich bravsten Seite zu zeigen. Dass sich die SPD-Politikerin bei dieser Gelegenheit wie einst Ursula von der Leyen zu einem Tandem-Fallschirmsprung hinreißen lässt, ist aber eher nicht zu erwarten.
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Die dunkle Seite der Staatsmacht: Lesen Sie hier noch einmal den SPIEGEL-Report über rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr aus dem Sommer 2020
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Die Startfrage heute: Mit welchem Song gewann Lena Meyer-Landrut 2010 den ESC?
Gewinner des Tages…
…ist Boris Palmer. Man muss ihn nicht mögen. Es gibt sogar sehr viele Gründe, das nicht zu tun: seine verbalen Entgleisungen, seine Tabubrüche, Provokationen und Pöbeleien, seine Koketterie mit rassistischen Ressentiments und sein Hang zur Selbstdarstellung.
Wahlsieger Boris Palmer: Kein neuer Stil
Foto: Bernd Weißbrod / dpa
Aber man muss anerkennen, dass viele Menschen in Tübingen anders auf Palmer blicken als im Rest der Republik: Wie sich der 50-Jährige bei der Oberbürgermeisterwahl in der baden-württembergischen Uni-Stadt durchgesetzt hat, das ist bemerkenswert. Absolute Mehrheit im ersten Durchgang, und das im Alleingang, als unabhängiger Kandidat, nachdem er sich mit den Grünen überworfen hat und fast rausgeschmissen wurde.
Nochmal acht Jahre kann Palmer nun in Tübingen regieren. Mit noch mehr Selbstbewusstsein. Seine Immer-noch-Partei wird er in dieser Zeit sicher auch weiterhin nicht schonen. »Warum sollte ein Oberbürgermeister, der zum dritten Mal mit absoluter Mehrheit gewählt wird, seinen Stil ändern?«, sagt Palmer nach seinem Sieg. Klingt nach einer Drohung.
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Herzlich,
Ihr Philipp Wittrock