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News des Tages: Großbritannien, Energiesparen, Elektroautos

1. Bananenrepublik Großbritannien

Heute habe ich über ein deutsches Regierungsmitglied laut gelacht, vielleicht habe ich es sogar ausgelacht. Mehr dazu später in der »Lieblingsgeschichte des Tages«. Politiker und Politikerinnen in Demokratien müssen damit leben, dass man sich hin und wieder über sie lustig macht. Unschön ist allerdings die Methode der Verächtlichmachung – ein Vergleich zum Beispiel von Bald-Ex-Premierministerin Liz Truss mit einem verwelkenden Salatkopf, angestellt von einer britischen Boulevardzeitung kurz vor ihrem Rücktritt. Höhö.

Humorpolitisch besser gelungen – na gut, ich bin vielleicht etwas voreingenommen – finde ich das Titelbild des aktuellen SPIEGEL-Hefts, das ab morgen am Kiosk liegt. Es zeigt das Londoner Wahrzeichen Big Ben verformt als Banane. »Wie sich die Briten zum Gespött Europas machen«, lautet der dazugehörige Report von SPIEGEL-Korrespondent Jörg Schindler .

Erst Tragödie, dann Komödie, schließlich die Farce: »Liz Truss hat alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte«, schreibt Schindler. Jetzt scheine gar möglich, dass Boris Johnson sein eigener Nachfolger werde. Johnson, im Hauptberuf Parlamentsabgeordneter der konservativen Partei, schreibt seit einer Weile bereits an einem Buch über einen anderen großen Experten für Königsdramen, William Shakespeare. Und womöglich schon im Advent sollen seine Memoiren vorliegen. »Man darf also davon ausgehen, dass Boris Johnson gerade Besseres, und vor allem Lukrativeres, zu tun hätte, als ein Land zu regieren. Zumal er sich daran, eher mäßig erfolgreich, schon einmal probiert hat«, so Schindler.

Bei den konservativen Tories wurde heute heftig gestritten, ob der frühere Regierungschef das Amt wieder von Liz Truss übernehmen soll. Johnson sei nicht der Typ, um das Image der Partei wiederherzustellen, sagte der Tory-Abgeordnete Crispin Blunt dem Sender Sky News. Der Parlamentarier Roger Gale kündigte sogar an, er werde aus der Partei austreten, wenn Johnson wieder in die Downing Street einziehe. Ganz anders die frühere Kulturministerin Nadine Dorries. Die Vertraute Johnsons nannte den früheren Premier einen Siegertypen.

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Spätestens am kommenden Freitag soll die Nachfolge feststehen. Als Favoriten für die Truss-Nachfolge gelten derzeit der frühere Finanzminister Rishi Sunak und Penny Mordaunt, die Ministerin für Parlamentsfragen, sowie aus dem rechtskonservativen Lager die am Mittwoch zurückgetretene Innenministerin Suella Braverman.

2. Vorbildlich frieren

Mit seinem »Doppelwumms« als Bezeichnung für das Milliardenpaket, mit dem Strom und Gas für Verbraucher wieder günstiger werden sollen, ist Olaf Scholz ein sprachliches Meisterwerk gelungen. Es ist zwar ein kleines bisschen geschmacklos, eine durch den Krieg in der Ukraine notwendig gewordene Maßnahme auf den Namen eines Explosionsgeräuschs zu taufen. Die Botschaft an die Bürgerinnen und Bürger dürfte dank »Doppelwumms« aber rübergekommen sein: Die Regierung sagt den steigenden Energiepreisen den Kampf an.

Zur Finanzierung des geplanten Entlastungspaktes hat der Bundestag heute eine Ausnahme der Schuldenbremse genehmigt. Damit ermöglicht er dem Bund, zusätzliche Kredite in Höhe von 200 Milliarden Euro aufzunehmen.

Schon vor den immensen Preissprüngen für Energie konnten sich etliche Menschen in Deutschland, rund 3,2 Prozent der Bevölkerung, keine warme Wohnung leisten. Besonders betroffen waren, laut einer aktuellen Mitteilung des Statistischen Bundesamts, Alleinlebende und Alleinerziehende.

Sonntagnacht vergangener Woche saßen auch die 21 Mitglieder der »ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme« im Eichensaal des Bundeswirtschaftsministeriums fröstelnd zusammen. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte per Verordnung vorgeschrieben, dass in allen deutschen Behörden ab Anfang September Energie gespart werden soll. Der Titel seiner Regelung ist das genaue Gegenteil von Scholz’ rhetorischem Kanonenschlag: Per »Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung« sollen die Beamten des Bundes mit gutem Vorbild beim Reglerrunterdrehen vorangehen.

Ein Team von Redakteurinnen und Redakteuren aus dem SPIEGEL-Hauptstadtbüro hat in einer sehr skurrilen Geschichte zusammengetragen, wie das konkret aussieht . Mitarbeiter sitzen in mausgraue Decken gehüllt an ihren Schreibtischen. Selbst hochrangige Regierungsgäste dürfen sich nur noch mit kaltem Wasser die Hände waschen. Flüge würden nur noch in Ausnahmefällen genehmigt, betont man im Grünen-geführten Familienministerium – »selbst wenn sie günstiger als die Bahnverbindung sind«.

Im Auswärtigen Amt werde laut einer Sprecherin der »beliebte Paternoster« nachmittags und abends nicht mehr betrieben. Das wiederum könnte sogar einen angenehmen Nebeneffekt haben, schreiben meine Kolleginnen und Kollegen. »Wer den Tag über in Wollpullis und Decken gehüllt im Büro gesessen hat, mit klammen Händen vom kalten Wasser, freut sich am Ende womöglich über etwas Bewegung im Treppenhaus.«

3. Vermasselte Elektrowende

Nicht nur der Strompreis hat sich vervielfacht, auch die staatliche Förderung zum Kauf eines Elektroautos läuft aus. Außerdem müssen Tausende Tankstellen umgerüstet werden. »Lohnt sich der Kauf eines Elektrofahrzeugs überhaupt noch? Oder droht da gerade eines der wichtigsten Modernisierungsprojekte der Republik kläglich zu scheitern?«, fragen deshalb die Kollegen Simon Hage und Martin Hesse in ihrem SPIEGEL-Report aus dem aktuellen Heft .

Es ist eine bizarre Situation: »Die Verbraucher haben angesichts von Energiekrise und Rezession wenig Lust auf ein neues Auto. Und all jene, die kaufbereit wären, fragen sich, ob es angesichts des stark gestiegenen Strompreises und der nach wie vor überschaubaren Ladekapazitäten wirklich ein Batteriefahrzeug sein muss«, so die Kollegen Hage und Hesse.

Der Preis für Ladestrom steigt teils stärker als der für Benzin und Diesel – und lässt den Kostenvorteil der Batteriefahrzeuge gefährlich schrumpfen. Bereits Ende 2023 dürfte das E-Auto »deutlich im Nachteil sein«, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center for Automotive Research. Selbst bei einem niedrig angesetzten Strompreis von 32 Cent pro Kilowattstunde kommt der Verbrenner – Wartungskosten eingerechnet – bei einer Laufleistung von 15.000 Kilometern um mehr als 30 Euro pro Monat billiger.

Immerhin sollen laut »Masterplan Ladeinfrastruktur II«, den das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedet hat, bis 2027 mindestens 75 Prozent der Tankstellen über Schnellladesäulen verfügen.

In meinem Münchner Wohnviertel gibt es genau zwei Ladesäulen. Wenn sie mal nicht besetzt sind, kann man davon ausgehen, dass sie kaputt sind und auf Wartung warten. Als leidgeprüfte Elektroautofahrerin weiß ich allerdings, dass es sich manchmal lohnt, sein Ladekabel versuchsweise mit der vermeintlich betriebsgestörten Säule zu verbinden. Manchmal lädt das Auto einfach trotzdem – und zwar kostenlos.

Wenn ich die Frage der Kollegen beantworten müsste, ob sich der Kauf eines Elektroautos lohnt, würde ich sagen: Ja, mit Glück.

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Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine

  • Russland plant angeblich Diebstahl von 1,8 Millionen Tonnen ukrainischem Getreide: Stimmt der Vorwurf, wäre es ein Kriegsverbrechen: Einem Bericht des NDR zufolge zieht Russland im großen Stil Getreide aus der Ukraine ab. Der Sender beruft sich auf interne Dokumente und Satellitenbilder.

  • »Dieser Winter wird extrem schwierig«: Russland greift systematisch die Energieinfrastruktur der Ukraine an. Die Stromversorgung ist in Gefahr. Energieminister Herman Haluschtschenko spricht über die Schäden – und sagt, was dagegen zu tun ist .

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Christoph Daum macht Krebserkrankung öffentlich: Der ehemalige Meistercoach des VfB Stuttgart Christoph Daum hat Krebs. Das teilte der 68-Jährige via Instagram mit. Seine Behandlung schlage »sehr gut an«. Seine Follower forderte er auf, zur Krebsvorsorge zu gehen.

  • Der Rhein hat sich erholt: Endlich auch mal gute Nachrichten: Dem Rhein ist ein großflächiges Fischsterben in der Trockenheit dieses Sommers offenbar erspart geblieben. Der regenreiche September brachte die Wende für den Fluss.

  • VW-Chef Blume hält an umstrittenem Werk in Xinjiang fest: Trotz Diskriminierung und Folter von Uiguren in der chinesischen Region Xinjiang will VW dort weiter Autos bauen. Das teilt Konzernboss Blume in einem Brief an Vertreter der muslimischen Minderheit mit. Die sind entsetzt.

Meine Lieblingsgeschichte heute: Freiheitskredite

Christian Lindner trägt legeren Freizeitlook. Er steht auf einem Platz in Düsseldorf, die Sonne strahlt ihm von der Seite ins Gesicht, er ist perfekt ausgeleuchtet für einen Imagefilm. Knapp drei Minuten dauert das Video, der FDP-Vorsitzende beantwortet darin mehrere Fragen, es geht um klassisch liberale Themen. »Ich liebe Selbstverantwortung«, sagt Lindner. »Bei niemandem Danke sagen zu müssen.« Deshalb sei er schon mit 18 Jahren zu Hause ausgezogen, in seine erste Wohnung, zur Miete, finanziert von »meinem ersten Gewerbe«.

Seit September 2018 ist das Filmchen auf der Website der BBBank zu sehen.

Heute haben die Kollegen Sven Röbel, Sven Becker und Martin Knobbe enthüllt, dass Lindner bei genau dieser BBBank privat einen Immobilienkredit aufgenommen hat .

Es geht um die Finanzierung eines Zweifamilienhauses in Berlin, das der damalige FDP-Fraktionschef Anfang 2021 für 1,65 Millionen Euro erworben hatte. Lindner ist nicht nur in dem Imagevideo der Bank aufgetreten, sondern hat dort in den vergangenen Jahren mindestens sieben Vorträge gegen ein insgesamt fünfstelliges Honorar gehalten.

Fragen des SPIEGEL zu Höhe und Zinssatz seiner Kredite ließ Lindner unbeantwortet – genauso wie die Frage, warum er ausgerechnet die BBBank mit der Immobilienfinanzierung beauftragt hat. Die Kreditvergabe sei »zu absolut marktüblichen Konditionen« erfolgt, teilte sein Anwalt mit. Alle gesetzlichen und sonstigen Regeln seien »vollumfänglich beachtet« worden. Daher verkneife ich mir Schmunzeln und hochgezogene Augenbraue.

Lachen musste ich aber dennoch über Lindner heute. Aus einem Porträt über ihn in der »Zeit«  erfuhr ich, dass Lindner offenbar eine Vereinbarung mit seiner Frau hat: Irgendwann, vermutlich wenn die beiden in ihre BBBank-finanzierte Millionenbehausung eingezogen sind, sei er dran mit der Care-Arbeit, wenn die Kinder da seien. Er habe da schon seine Vorstellungen: Bücher schreiben, vielleicht promovieren, jagen, fischen, imkern. Es gebe auch ein Leben ohne die Politik, die Medien, den ganzen Rummel.

So stellt sich der Finanzminister Care-Arbeit vor? Den Kinderwagen durch den Wald schieben, die Flinte über der Schulter, und abends dann, nach getaner Arbeit, Bücher schreiben? Das Schlimme ist, dass sich viele Männer das Vatersein vermutlich ähnlich herbeiträumen – und womöglich in Realität auch so erleben, weil die Mutter des Kindes den Kraftakt Elternschaft allein auf sich nimmt. Eigentlich zum Heulen.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Was sich im Internet über die Schwachstellen der Bahn herausfinden lässt: Vor zwei Wochen wurden Kommunikationskabel der Deutschen Bahn durchtrennt, der Zugverkehr stand still. Die Täter könnten Informationen genutzt haben, die das Unternehmen selbst ins Netz stellte .

  • Der Hafen-Aufstand: China will sich in den Hamburger Hafen einkaufen. Sechs Bundesministerien sind dagegen – doch Kanzler Scholz will den Deal offenbar durchdrücken. Was das bedeuten könnte, zeigt ein Blick nach Piräus .

  • Wie Porsche den Fahrradmarkt aufmischen will: Porsche steht für Luxussportwagen. Doch der Autobauer greift auch auf dem Fahrradmarkt an – mit starken Partnern und einem eigenen Elektromotor. Die Branche ist besorgt .


Was heute weniger wichtig ist

  • Auch ein Superstar muss mit Niederlagen umgehen können: In einem Podcast berichtet Ed Sheeran davon, wie er einmal fast den Titelsong zu James Bond beisteuerte. Doch dann habe er den Auftrag für den Titeltrack für »Keine Zeit zu sterben« an die US-Sängerin Billie Eilish verloren. Zu dem Zeitpunkt war die Planung offenbar eigentlich schon relativ weit gediehen: »Aber dann wechselten sie den Regisseur und dann änderten sie das Drehbuch und das war es«, sagte Sheeran. Wie er mit der Absage umgegangen ist? »Ich werde nicht behaupten, dass es nicht wehgetan hat.«

Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Nehmen Sie dafür Ihr Notzibuch und einen Stift zur Hand.« 

Cartoon des Tages: LNG-Terminal

Und heute Abend?

Im Kindergarten läuft Ballermannmusik, im öffentlich-rechtlichen Kinderradio pädagogisch wertvoller Rap. Vor beidem würde ich meinen Sohn gern bewahren, wie ich heute in der Elternkolumne »Kinder und ihre musikalische Prägung: Smells like oh Tannebaum« aufgeschrieben habe .

Vielleicht sollte ich dem Siebenjährigen einfach das neue Album der Country-Pop-Sängerin Taylor Swift vorspielen. Tobias Rapp aus dem SPIEGEL-Kulturressort findet es »großartig«. Swift sei »eine große Songwriterin und Geschichtenerzählerin. Die ihre Welt zu unserer Welt erklärt«. »Midnights« sei ein Album über die »Unsicherheiten der späten Stunden«. Die Musikerin schaffe es, aus der Intimität ihres Lebens Geschichten und Songs zu machen, »in denen sich alle wiederfinden können« . Ich bin gespannt.

Einen heiteren Abend wünscht
Ihre Anna Clauß

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