Es ist ein Vorhaben, das seit 2016 zwischen der Europäischen Union und den USA nicht mehr angefasst wurde: das Freihandelsabkommen TTIP.
Doch die Weltlage hat sich seitdem dramatisch geändert, nicht zuletzt durch den Überfall Russlands auf die Ukraine. Die Beziehungen zwischen den USA und der EU, die sich unter dem vormaligen US-Präsidenten Donald Trump verschlechtert hatten, sind unter seinem Nachfolger Joe Biden wieder enger geworden.
Nun gibt es innerhalb eines Teils der Ampelkoalitionen Überlegungen, einen neuen Anlauf für ein Freihandelsabkommen zu starten.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich am Wochenende für ein solches Vorhaben offen, ohne den Namen TTIP konkret in den Mund zu nehmen. »Klar ist auch: Europa verdankt seinem Wohlstand dem Handel. Deshalb brauchen wir auch weitere, nachhaltige Freihandelsabkommen und eine ambitionierte Handelsagenda«, sagte Scholz am Samstag auf dem Kongress der europäischen Sozialdemokraten in Berlin.
Bei der FDP wurden die Äußerungen des Kanzlers ausdrücklich begrüßt. »Wir brauchen nach meiner festen Überzeugung schon lange einen Neuanlauf für ein Freihandelsabkommen mit den USA«, sagte FDP-Vize Johannes Vogel am Sonntag dem SPIEGEL.
FDP-Vize Johannes Vogel: »Das wäre unbezahlbar wertvoll in der aktuellen Weltlage«
Foto: CLEMENS BILAN / EPA
Gerade unter US-Präsident Joe Biden bestehe für die EU jetzt eine große Chance. »Das würde ein unüberhörbares transatlantisches und freihandelspolitisches Signal senden – und das wäre unbezahlbar wertvoll in der aktuellen Weltlage«, so Vogel.
Vogel weitete den Blick jedoch auf weitere Abkommen und Konkurrenten. Gerade der Krieg Russlands in der Ukraine zeige, wie wichtig die transatlantische Partnerschaft für Deutschland und Europa sei. »Gott sei Dank haben wir die Nato. Wir müssen daher in jede Form der Intensivierung der Partnerschaft mit den USA investieren. Mindestens ebenso groß wie durch Putin und Russland ist die Herausforderung aber durch Xi Jinpings China«, so Vogel, der auch Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion ist.
Deshalb brauche man auch eine Offensive für mehr Freihandelsabkommen mit den globalen marktwirtschaftlichen Demokratien, etwa mit den Asean-Staaten. »Denn umso mehr Freihandel und Investition mit Wertepartnern auch im pazifischen Raum gelingt, desto weniger Abhängigkeit haben wir vom chinesischen Markt«, sagte Vogel.
Nach der vereinbarten Ratifizierung des Ceta-Abkommens mit Kanada sollte Deutschland daher auch die weiteren fertigen Abkommen wie mit Neuseeland und insbesondere Chile und Mexiko schnellstmöglich ratifizieren, »damit unsere Unternehmen auf mehr Märkten ohne Handelshemmnisse und Marktbeschränkungen arbeiten können«, forderte FDP-Vize Vogel.
Papier von Kanzleramtschef Schmidt und Außenpolitiker Roth
Vor den Äußerungen von Scholz auf dem Treffen der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) in Berlin – einem Zusammenschluss von 33 Parteien aus 28 Mitgliedsländern der EU und Norwegens – hatte der SPIEGEL über ein Strategiepapier aus dem Bundeskanzleramt und aus der SPD berichtet, in dem eine Wiederbelebung der Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit den USA angeregt wird.
Handelskrisen und Lieferschwierigkeiten der vergangenen Jahre hätten unterstrichen, wie abhängig Deutschland von Rohstoffen und Märkten autoritärer Staaten sei, heißt es in dem Papier von Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt und dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (beide SPD).
»Deutschland sollte deshalb transatlantische Handelshemmnisse abbauen und einen neuen Anlauf für ein Freihandelsabkommen nehmen, das Wohlstand mehrt und gleichzeitig klima- und sozialpolitische Standards schützt.« Das Papier zur Zukunft der transatlantischen Beziehungen wurde für die SPD-Parteispitze verfasst, die derzeit in einer Kommission neue außenpolitische Leitlinien erarbeitet.
Konflikt zwischen Grünen und FDP in Sachen Freihandelsabkommen
In der jüngeren Vergangenheit hatte sich FDP-Chef Christian Lindner zu einem neuen Anlauf für ein Freihandelsabkommen der EU mit den USA bekannt. Erst im März hatte der Bundesfinanzminister einen entsprechenden Vorschlag gemacht.
Bei den Grünen – in der Vergangenheit gegenüber TTIP auf Ablehnungskurs – traf Lindners Vorstoß jedoch damals auf Widerstand. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erklärte im März, die Aufnahme neuer Verhandlungen sei weder die Erwartung der Amerikaner, noch werde es kurzfristig zu irgendetwas führen. Es gebe ein besseres, einfacheres und erfolgreicheres Element, nämlich den Trade and Technology Council. Das »Zusammenspiel beim Handeln und bei der technischen Regulierung« sollte man ausbauen. »Das ist das, was wir brauchen. Da sind wir aber längst dabei«, so der Grünenpolitiker damals.