Nachdem der SPIEGEL über die Privilegien von Spitzenpolitikern und anderen Prominenten in den Zügen der Deutschen Bahn berichtet hat, fordert ein erster Bahn–Aufsichtsrat, die Regel sofort abzuschaffen. »Sondervorschriften für Prominente sind aus der Zeit gefallen. Das ist schlicht nicht vermittelbar«, sagt Stefan Gelbhaar. »Die Bahn ist für alle da, und da gibt es schon genug zu tun, etwa bei der Barrierefreiheit.«
»Sondervorschriften gehören unverzüglich entsorgt«
Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen sitzt seit Mai dieses Jahres im Aufsichtsrat. Das zwanzigköpfige Gremium kontrolliert den Staatskonzern, der derzeit mit vielen Problemen wie massiven Zugverspätungen und zahlreichen Baustellen zu kämpfen hat. »Potemkinsche Dörfer provozieren falsche Bilder, falsche Prioritäten und damit Fehlentscheidungen. Auch deswegen gehören die Sondervorschriften für Prominente unverzüglich entsorgt«, sagte Gelbhaar.
Der Aufsichtsrat der Bahn war am vergangenen Freitagvormittag zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Es ging vorrangig um die Sabotage-Vorfälle an Kabeln, die einen Funkausfall verursacht hatten. Am Rande aber waren nach SPIEGEL-Informationen auch die Privilegien Thema in der Runde.
Im Mittelpunkt der umstrittenen Fürsorge von Politikern und anderen Promis steht die »Konzernrichtlinie 199.0001, Reisen nach Sondervorschrift, 5.0«, gültig seit dem 1. Februar 2020. Ein Sprecher der Bahn bestätigte auf Anfrage, dass die Richtlinie angewandt werde, »um dem besonderen Schutz- und Sicherheitsbedürfnis exponierter Personen des öffentlichen Lebens« Rechnung zu tragen.
Zugfahrten »besonders präzise geplant«
Das fünfseitige vertrauliche Dokument aus der internen Konzernregelwerksdatenbank liegt dem SPIEGEL vor. Es enthält Beschreibungen wie: »Der VIP-Reiseservice der Deutschen Bahn AG ist exklusiv verantwortlich, dass Reisen mit hochgestellten Persönlichkeiten und öffentlichkeitswirksame Zugfahrten mit den Konzernvorständen besonders präzise geplant und erfolgreich durchgeführt werden. Das Image der Deutschen Bahn AG als Verkehrsunternehmen soll dadurch gestärkt werden.«
Bahnchef Richard Lutz: Selbstverständliche Leistungen nur für ausgewählten Personkreis
Foto: Fabian Sommer / dpa
Oder, Paragraf 2, Artikel 1: Die Fahrzeuge der Bahn sollen
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in bestem Zustand,
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gründlich gereinigt (innen und außen)
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ausgestattet mit allen erforderlichen Verbrauchsstoffen
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mit funktionierenden technischen Komponenten
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in korrekter Wagenreihung
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mit regulärem Personal
auf die Strecke geschickt werden.
Diese Leistungen, die in vielen anderen Ländern selbstverständlich für den Durchschnittskunden sind, sind hierzulande offenbar nur ausgewählten Personen vorbehalten. Dazu gehört auch, dass die Züge schnell und störungsfrei durch das notorisch verstopfte Bahnnetz gelenkt werden. Dank der »Bereitstellung eines Betriebsüberwachers«, so die Richtlinie, solle das gelingen.
Weitere Besonderheit: »Der VIP-Reisebegleiter ist berechtigt einen abweichenden Haltepunkt festzulegen.« Und: »Eine Bezahlung von gastronomischen Leistungen ist auf Weisung des VIP-Reisebegleiters auf Rechnung zu gewährleisten.« Auch allfällige nervige Lautsprecherdurchsagen, die möglicherweise verspätete Züge ankündigen könnten, »werden nach Anforderung des VIP-Reiseservice (…) unterbunden«.
Auszug aus der »Konzernrichtlinie 199.0001, Reisen nach Sondervorschrift, 5.0«
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Nur eine Frage lässt die Richtlinie unbeantwortet: Wer vom VIP-Service profitiert. »Der Personenkreis wurde durch die Abteilung Protokoll Vorstand in Abstimmung mit dem Vorstandsvorsitzenden festgelegt.« Wenn es nach Bahn-Aufsichtsrat Gelbhaar ginge, dürfte diese Abteilung bald deutlich weniger zu tun haben.