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News des Tages: Coronawelle, Xi Jinping, Proteste in Iran

1. Gegen das Corona-Schulterzucken

Die Realität unterscheidet sich vom Horrorfilm manchmal nur bedingt. Tod und Verderben zum Beispiel entfalten auf der Leinwand und im echten Leben immer dann einen besonders großen Schockeffekt, wenn sie ohne Vorwarnung eintreten. Ein Vampir, den die Kinozuschauer minutenlang beim Lauern auf Opfer beobachten können, erschreckt kaum jemanden. Genauso wie eine Coronawelle, mit der alle rechnen.

Um die Bürgerinnen und Bürger zu warnen vor den Gesundheitsrisiken des bevorstehenden Corona-Comebacks, hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) heute eine Informationskampagne unter dem Motto »Ich schütze mich« gestartet. »Die Fallzahlen steigen, die Todesfälle nehmen zu, die Intensivstationen füllen sich«, fasste Lauterbach die momentane Pandemielage zusammen. Er appellierte an die Länder, jetzt Schutzmaßnahmen anzuwenden. Süddeutschland, wo nach der Wiesn derzeit die Viren Oktoberfest feiern und sich rasant ausbreiten, habe »die besondere Pflicht«, darüber nachzudenken, eine Maskenpflicht in Innenräumen einzuführen.

Die Hölle, das sind die anderen. Der Satz stammt vom Existenzialisten Jean-Paul Sartre, könnte aber auch aus Lauterbachs Wortschaft stammen. Der Gesundheitsminister jedenfalls beklagte die abnehmende Solidarität der Gesellschaft. »Wenn ich warne, dass die Zahl der Coronatoten wieder steige, fragen mich die Zuhörer: Wie alt sind die Gestorbenen? Wenn ich dann sage, so 80 oder 85 Jahre alt, heißt es: Was wollten diese Leute denn noch vom Leben?«

Ich finde, Karl Lauterbach hat recht, wenn er das allgemeine Corona-Schulterzucken, diese zum Teil immer unverhohlener zum Ausdruck gebrachte »Wer sich infiziert und stirbt, ist selber schuld«-Mentalität anprangert. Was ihn außerdem bestürze, seien die vielen Menschen, die an Long Covid erkrankten, so Lauterbach. Eine von ihnen ist die freie Autorin und SPIEGEL-Kolumnistin Margarete Stokowski. Heute sei Tag 264 seit Symptombeginn, berichtete Stokowski auf der Pressekonferenz zum Start der bundesweiten Coronaschutzkampagne.

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Sie sei nach ihrem milden Verlauf einer Coronaerkrankung trotz Impfung nicht gesund geworden und leide bis heute unter täglichen Kopfschmerzen, Herzrasen, Fatigue und einer Belastungsintoleranz. Eigentlich schreibt Stokowski jede Woche eine Kolumne auf der SPIEGEL-Homepage. Ihre Texte gehören zu den meistgelesenen auf der Seite. Seit April muss sie pausieren. In einem ihrer Texte nach der Infektion schrieb sie über ihre Wut. Sie ärgere sich nicht darüber, sich infiziert zu haben. Sie sei aber wütend »auf die Gesamtsituation, in der wir alle uns befinden. Weil so wahnsinnig viel falsch läuft und so viele das in einer Mischung aus Erschöpfung, Ignoranz und Fatalismus hinnehmen. Sogenannte Alternativlosigkeit, in ihrer tödlichen Variante

Wie viele Corona-Kollateralschäden sind wir bereit, als Gesellschaft zu akzeptieren? Ich jedenfalls brauche keine Politikerinnen, die mir das Maskentragen in Innenräumen vorschreiben. Ich trage sie freiwillig.

2. Der Allmächtige

Er hat sein Land abgeschottet, seine Bürger unter Totalüberwachung gestellt und Deutschland wirtschaftlich gefügig gemacht. Nun will Chinas Staatspräsident Xi Jinping als Erster seit Mao lebenslang regieren. Am Sonntag beginnt in Peking der 20. Parteitag der KP mit 2296 Delegierten, die dem Alleinherrscher eine dritte Amtszeit bescheren und seine Macht zementieren sollen.

Unsere Chinakorrespondenten Georg Fahrion und Christoph Giesen beschreiben Xi in der SPIEGEL-Titelgeschichte als einen Mann, dessen wahre Absichten lange nur wenige erahnten . Vor rund 30 Jahren sah man im chinesischen Staatsfernsehen den aufstrebenden Nachwuchspolitiker Xi, wie er in einem Wok Shrimps in heißem Öl brutzelte. Er hatte seine kleine Tochter auf dem Schoß. Sie trug eine rosa Pudelmütze, während er ein Interview gab. Auf einmal kam Gelächter auf: »Pipi gemacht?«, fragte eine Frau und holte ein Tuch. »Pipi gemacht«, sagte Xi und lächelte. Die Hose des Vaters war nass geworden, vor laufender Kamera.

Seit zehn Jahren herrscht Xi Jinping über China. Die Regierungszeit des 69-Jährigen ist geprägt von Personenkult und Sicherheitswahn. Die Nahbarkeit ist Xi Jinping inzwischen verloren gegangen, schreiben meine Kollegen. »Dem Zufall wird in seinem China nichts mehr überlassen. Auf Fernsehbildern sieht man den chinesischen Staats- und Parteichef heute vor jubelnden Massen, die wie choreo­grafiert aufspringen, wenn er sich nähert, und ihm minutenlang begeistert applaudieren.« Es ist ein Personenkult wie in Nordkorea.

Um sich ein Bild von dem Ort zu machen, wo Xis Karriere begann, reiste Fahrion unter anderem in das Dorf Liangjiahe, das zu einer Touristenattraktion ausgebaut worden ist. Dabei wurde er auf Schritt und Tritt verfolgt von Zivilpolizisten, die sich mit Strohhüten und Kameras als Besucher getarnt hatten. »Es sagt viel über Xis China aus, dass selbst ein Museumsdorf unter totaler Kontrolle steht«, so Fahrion.

3. Der niedergeprügelte Protest

Die iranischen Behörden wollten offenbar ein Zeichen gegen die Proteste im Land setzen – und erlitten ein Fiasko. Wie der »Guardian« berichtet, haben die Behörden ein Plakat mit mehreren Frauen, die Hidschab tragen, wieder von einem zentralen Platz in Teheran entfernen müssen.

Mehrere Abgebildete oder ihre Familienangehörigen hatten gegen den Missbrauch ihres Bildes protestiert. Sie wollten nicht als Unterstützerinnen des Regimes dargestellt werden. Das Plakat zeigte eine Montage von etwa 50 iranischen Frauen, die den Hidschab tragen, unter dem Slogan »Frauen meines Landes«. Es wurde innerhalb von 24 Stunden abgenommen und von den Revolutionsgarden durch eine Plakatwand mit demselben Wortlaut, aber ohne Fotos ersetzt.

Seit vier Wochen wagen meist junge Leute in Iran nun den Widerstand gegen das islamistische Regime. Entzündet hatten sich die Proteste am Schicksal der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini, die am 13. September von Sittenwächtern in Teheran abgeführt worden war und die Folgen ihrer Festnahme nicht überlebte. Anfangs waren es vor allem Frauen und Studierende, die auf die Straße gingen. Inzwischen sind auch Schülerinnen, Arbeiter und Angestellte unter den Protestierenden.

»Je länger die Proteste dauern und je mehr Menschen ums Leben kommen, desto drängender wird für die Staaten des Westens die Frage, wie sie reagieren sollen«, schreibt ein Team des SPIEGEL in seinem Report über die Lage in Iran . Washington verhängte Sanktionen gegen sieben hochrangige Teheraner Politiker, die EU will am Montag mit Einreise­sperren und dem Einfrieren iranischer Vermögen nachziehen. Doch – das ist eine der traurigsten Nachrichten an diesem Tage – »eine koordinierte, zupackende Reaktion des Westens ist bislang ausgeblieben«.

Hier finden Sie Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Belarus versetzt Streitkräfte für »Anti-Terror-Einsatz« in erhöhte Alarmbereitschaft: Wegen angeblicher Terrorgefahr baut Belarus die Befugnisse der eigenen Sicherheitsbehörden aus – und schürt Sorgen vor einem Kriegseintritt. Auch die Repressionen im eigenen Land könnten sich weiter verschärfen.

  • Merkel verteidigt Entscheidung für russisches Gas: »Rational und nachvollziehbar« war es laut Angela Merkel, angesichts der angestrebten Energiewende Gas aus Russland zu beziehen. Schließlich sei Moskau »selbst im Kalten Krieg ein verlässlicher Energielieferant« gewesen.

  • Andrej Kurkow bekommt Geschwister-Scholl-Preis: In seinem »Tagebuch einer Invasion« beschreibt Andrej Kurkow die Vorgeschichte des Ukrainekriegs. Für sein »moralisches Verantwortungsbewusstsein« erhielt der ukrainische Autor nun den Geschwister-Scholl-Preis.

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

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Was heute sonst noch wichtig ist

  • Premier Liz Truss entlässt Finanzminister Kwasi Kwarteng: Wegen seines Haushaltsplans war der britische Finanzminister Kwasi Kwarteng zuletzt immer stärker unter Druck geraten. Nun zieht Premierministerin Liz Truss Konsequenzen – und macht Jeremy Hunt zum Nachfolger.

  • Gemälde im Kanzleramt könnte ungewöhnliche Kosten verursachen: Fotos von Pressekonferenzen aus dem Kanzleramt könnten für Medienhäuser teuer werden. Schuld ist ein Kunstwerk im Hintergrund.

  • Ralf Wolter ist tot: Bekannt wurde er mit seinen Rollen als Sam Hawkens und Hadschi Halef Omar in mehreren Karl-May-Verfilmungen. Nun ist der Schauspieler im Alter von 95 Jahren gestorben.

  • RBB-Justiziarin hat 106.000 Euro Rente jährlich sicher – und auch ihre Hinterbliebenen wären versorgt: Die juristische Direktorin des RBB lässt zurzeit ihre Ämter ruhen, weil gegen sie wegen Untreue ermittelt wird. Jetzt konnte das ARD-Magazin »Kontraste« einen Blick in ihren Arbeitsvertrag werfen.

Meine Lieblingsgeschichte heute: Die Belächelten

Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Kubicki (FDP) flirtet offenbar gerne. Zum Beispiel mit seiner damaligen Parteikollegin Silvana Koch-Mehrin in einem Brüsseler Café. Eigentlich sollte bei dem Treffen eine mögliche Kandidatur Koch-Mehrins als FDP-Generalsekretärin besprochen werden. Die damalige EU-Abgeordnete ahnte aber schon, dass Kubicki die Gelegenheit nutzen würde, sie anzugraben, weswegen sie ihren Partner bat, sie zeitnah aus dem Café abzuholen.

Viele Jahre später saß nun Kubicki in der Talkshow »Maischberger« und sagt mehr oder weniger unverhohlen: Er würde alles genauso wieder machen. Ist das dreist? Oder nur dumm? Meine Kollegin Sophie Garbe aus dem SPIEGEL-Haupstadtbüro hat Kubickis Auftritt zu einem Kommentar inspiriert, der es in sich hat: »Eigentlich sollte man es im Jahr 2022 einem Politiker nicht mehr erklären müssen«, schreibt Sophie. »Aber: Nein, es nicht in jeder Situation okay zu flirten.«

Dass für Kubicki sein Verhalten ganz selbstverständlich in Ordnung zu sein scheint, sage »viel darüber aus, wie einige Männer in der Politik offenbar immer noch auf das Thema Belästigung schauen. Von oben herab, milde lächelnd, ohne Verständnis für den Ernst der Lage.« Kein Wunder, dass es den Belächelten oft so schwerfällt, offen über die für sie unangenehme Situation zu sprechen.

Unerwünschte Flirts oder sexuelle Übergriffe sind in der Politik offenbar allgegenwärtig. Laut einer Allensbach-Studie aus dem vergangenen Jahr berichten im Durchschnitt vier von zehn Politikerinnen, Belästigung im politischen Betrieb erfahren zu haben. »Die Betroffenen sitzen überall, in Kommunalparlamenten genauso wie im Bundestag«, schreibt Sophie. Die FDP hatte von allen Parteien in dieser Studie übrigens die höchste Quote an Frauen, die von Erlebnissen mit sexueller Belästigung erzählten: 56 Prozent.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Stehen wir vor einer neuen Weltfinanzkrise? Rezessionsangst, Inflation, Kurskapriolen: Die Wiederholung der Finanzkrise von 2008 gilt als unwahrscheinlich, doch am Anleihemarkt lauern große Risiken. Die Lage ist angespannt – und hat das Zeug zum Drama mit Sprengkraft .

  • Wie die Deutsche Bahn Spitzenpolitiker bevorzugt: Wenn Prominente mitfahren, soll nichts schiefgehen – dafür tut die Bahn, was sie kann. Für den VIP-Service gibt es nach SPIEGEL-Informationen sogar eine interne Dienstanweisung .

  • Flatrate für die Pendlerrepublik: Der Weg zu einem dauerhaften bundesweiten Billigtarif für Bus und Bahn scheint frei. Das 49-Euro-Ticket wird wohl nur von einer Minderheit genutzt werden – und doch kann es den Verkehr im Land fundamental verändern .

  • »Falls nötig, stellen wir meine Partei als ein Bollwerk gegen Meloni auf«: Nach dem Wahlsieg von Giorgia Meloni befürchtet der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung Conte einen reaktionären Kurs der künftigen Regierungschefin Italiens. Warum die Postfaschistin sein Land weg vom politischen Zentrum Europas führen könnte .


Was heute weniger wichtig ist

  • Anti-Öl-Aktivistinnen haben das berühmte Ölgemälde »Sonnenblumen« des niederländischen Künstlers Vincent van Gogh in London mit Tomatensuppe bespritzt. Danach benetzten sie ihre Hände mit Sekundenkleber und klebten sich vor dem Bild an die Wand. Das Museum National Gallery teilte mit, dass dadurch kleinere Schäden am Rahmen entstanden seien. Das Bild, das einen Schätzwert von umgerechnet rund 84 Millionen Euro hat, sei aber nicht beschädigt worden. Es wird durch eine Scheibe geschützt. Was das Ganze soll? Und warum die Aktivisten Tomatensuppe statt Sonnenblumenöl benutzt haben? Schwer zu sagen. Sie selbst gaben zu Protokoll: »Die Lebenshaltungskostenkrise und Klimakrise wird durch Öl und Gas getrieben.« Die britische Regierung solle deshalb sofort alle neuen Öl- und Gasprojekte stoppen.

Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Der goldene Oktober kehrt zurück: Mach einigen trüben und verregneten Tagen soll es ab Sonntag deutlich sonniger werden.«

Cartoon des Tages: Putin tauscht den Oberbefehlshaber aus

Und am Wochenende?

Der Kapitalismus? Natürlich zum Kotzen! Schön einfach hält es Regisseur Ruben Östlund in seinem Kinofilm »Triangle of Sadness«, den SPIEGEL-Kulturredakteur Andreas Borcholte in den »Filmstarts der Woche« wunderbar rezensiert.

Östlund dränge in seinem Film, mit dem er auf dem diesjährigen Filmfestival in Cannes die Goldene Palme gewann, »Menschen privilegierter Kasten aus ihren Komfortzonen und konfrontiert sie auf drastische Weise mit der Fragilität und Absurdität ihrer gesellschaftlichen Gewissheiten«. Die Handlung? Ein Luxuskreuzfahrtschiff gerät in stürmische See – was die dortige Dekadenzblase »dank angegammelter Gourmetspeisen auf ihre jämmerlichste Menschlichkeit« zurückwerfe, schreibt Borcholte. Der Film sei »irrwitzig komisch«. Vermutlich bleibt einem das Lachen im Hals stecken.

Eine Erfahrung, die man bei der zurzeit eher düsteren Nachrichtenlage leider nicht nur im Kino machen kann.

Ein schönes Wochenende wünscht
Ihre Anna Clauß

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