Ukrainer schlagen Russen an zwei Fronten in die Flucht
Wenn der Krieg in der Ukraine nicht eine so ernste Angelegenheit wäre, könnte man über das Chaos auf russischer Seite fast lachen. Die ukrainischen Streitkräfte setzen die Invasoren inzwischen so stark unter Druck, dass sie in Moskau offenbar den Überblick verloren haben, wo die Grenzen der gerade feierlich annektierten neuen russischen Gebiete in der Ostukraine verlaufen.
Will heißen: Wladimir Putin hat aktuell keinen Plan, wo sein Reich beginnt und wo es aufhört. Über den Verlauf der Grenzen sei man mit der Bevölkerung der betroffenen Gebiete »im Gespräch«, erklärte Putin-Sprecher Dmitrij Peskow, als sei das Grenz-Wirrwarr die normalste Sache der Welt.
Ukrainischer Panzer im Einsatz
Foto: ZOHRA BENSEMRA / REUTERS
Es ist eine Blamage – und die Rückschläge für Russland gehen weiter. Nach den Erfolgen in der Donbass-Region kommen die Kiewer Truppen nun offenbar auch im Süden nahe Cherson voran, am Fluss Dnjepr sollen sie mehrere Ortschaften zurückerobert haben, russische Einheiten sollen hingegen auf dem Rückzug sein, Verteidigungslinien der Russen wurden offenbar durchbrochen.
Derweil werden Putins unverhohlene Drohungen, in dem Konflikt möglicherweise auch Nuklearwaffen einzusetzen, in den USA sehr ernst genommen. Der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin machte in einem Interview auf den Umstand aufmerksam, dass es in Russland niemand geben würde, der Putin davon abhalten könnte, Atombomben einzusetzen.
»Um es klar zu sagen, derjenige, der diese Entscheidung trifft, das ist ein einziger Mann«, so Austin. Er machte zugleich deutlich, dass die USA die russische Seite – auch in direkten Kontakten zu führenden Militärs in Moskau – mehrfach davor gewarnt haben, »diesen Weg zu beschreiten«.
Ob Putin die Botschaft der Amerikaner verstanden hat, bleibt sein Geheimnis.
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Hat Liz Truss schon fertig?
Selten zuvor hat eine Regierung in Großbritannien einen so miesen Start hingelegt wie jene von Neu-Premierministerin Liz Truss. In dieser düsteren Stimmung treffen sich die Tories in Birmingham zu ihrer jährlichen Parteikonferenz. Eigentlich wollen Truss und Co. dort Optimismus und Aufbruch für das Vereinigte Königreich verbreiten, doch in Wahrheit sind nicht nur das Land, sondern auch die Partei in einem miserablen Zustand.
Premierministerin Liz Truss
Foto: Ian Forsyth / Getty Images
Liz Truss, die angetreten war, das Chaos unter Boris Johnson zu beenden, macht die Sache bislang kaum besser als ihr Vorgänger. Mit einer atemberaubenden 180-Grad-Wende haben Truss und ihr neuer Finanzminister Kwasi Kwarteng einen wichtigen Bestandteil ihrer gerade erst verkündeten Reformagenda gekippt. Die geplante Absenkung des Spitzensteuersatzes wird doch nicht kommen: »Wir haben verstanden«, verkündete Truss pünktlich zu Beginn des Tory-Parteitreffens und kassierte die umstrittene Idee.
Truss’ Plan, dem Land unter anderem mit auf Pump finanzierten Steuersenkungen für Wohlhabende auf die Beine zu helfen, hatte in der vergangenen Woche zu Verwerfungen an den Finanzmärkten geführt und das Pfund auf Talfahrt geschickt. Nun erholte sich die britische Währung leicht. Ob diese Stabilisierung von Dauer sein wird, ist angesichts des allgemeinen politischen Durcheinanders auf der Insel indes fraglich. Die Konservativen liegen in einer neuen YouGov-Umfrage inzwischen – Achtung! – unfassbare 33 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labourpartei. Premierministerin Truss ist angezählt, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat.
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Scholz trifft die Ministerpräsidenten
In der vergangenen Woche musste der Kanzler passen, er hatte Corona. Heute wird das geplante Treffen von Olaf Scholz mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder nachgeholt. Wichtigster Tagesordnungspunkt sind die steigenden Energiepreise und die Pläne der Bundesregierung, Bürger und Wirtschaft mit einem »Abwehrschirm« zu schützen.
Wie so häufig geht es zwischen Bund und Ländern auch diesmal vor allem um das liebe Geld. Beide Seiten streiten, wer wie welche Teile der diversen Milliarden-Entlastungspakete und -Hilfen für die Bürgerinnen und Bürger finanzieren soll.
Kanzler Olaf Scholz (SPD)
Foto: IMAGO/M. Popow / IMAGO/Metodi Popow
Hinzu kommt, dass die B-Seite (das sind die von der Union geführten Länder) jede Gelegenheit nutzt, um die Ampelkoalition vor sich herzutreiben. Kurz vor Beginn des Treffens mit Scholz machte der bayerische CSU-Ministerpräsident Markus Söder in der »Süddeutschen Zeitung« deutlich, dass er die Einführung der geplanten »Gaspreisbremse« noch im Oktober erwarte. Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) forderte von Scholz »Klarheit«.
Mit der neuen Gaspreisbremse sollen bekanntlich die Gaspreise gedeckelt werden. Wie das genau gehen wird, ist jedoch noch unklar. Bislang sieht der Plan der Bundesregierung vor, dass zunächst eine Expertenkommission Vorschläge für die Gaspreisbremse präsentieren soll.
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Verlierer des Tages…
Tesla-Boss Elon Musk
Foto: BRENDAN MCDERMID / REUTERS
… ist der Unternehmer Elon Musk. Die Börsenpapiere seines Autoherstellers Tesla stehen unter Druck, diverse Probleme bei den Lieferketten belasten die Geschäfte. Zu allem Überfluss hat Musk nun auch noch ein neues Hobby gefunden: Er gibt den Weltpolitiker.
Mit einem via Twitter verkündeten Vorschlag für einen vermeintlichen Friedensplan für die Ukraine hat sich Musk mächtig Ärger eingehandelt. Sein Plan ist reichlich Moskau-freundlich, um es vorsichtig zu sagen. Die Idee: Die Menschen in den von Russland besetzten Gebiete in der Ostukraine sollten unter Uno-Aufsicht ein neues Referendum abhalten, ob sie zu Moskau oder Kiew gehören wollten. Die Halbinsel Krim sollte bei Russland bleiben, so Musk.
Etliche ukrainische Politiker reagieren entsprechend empört auf den Vorschlag, auch Präsident Wolodymyr Selenskyj schaltete sich in die Debatte ein. Ebenfalls via Twitter rief er seine Follower zu einer Abstimmung auf. »Welchen Elon Musk mögt Ihr mehr: den, der die Ukraine unterstützt oder den, der Russland unterstützt?« 90 Prozent sprachen sich für Antwort eins aus.
Der scheidende ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, wurde noch deutlicher. Er schrieb : »Fuck off, Elon Musk!«
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Roland Nelles