Um 14 Uhr stehen die Protestierenden der Polizei gegenüber. Sie wollen von ihrer gerade beendeten Kundgebung am Alexanderplatz in Berlin zu der, die auch an diesem Samstag stattfindet, nur ein paar Hundert Meter weiter, nahe dem Roten Rathaus. »Frieden, Freiheit, keine Diktatur«, schreien sie den Polizistinnen und Polizisten ins Gesicht, sie trommeln und trillern, auch Fliegeralarm ertönt immer wieder.
Dutzende von ihnen interessiert nicht, dass sie nicht durch sollen, sie drängeln sich zwischen den fünf Polizeibeamten durch, bevor diese Verstärkung bekommen. Andere laufen um den Fernsehturm herum. Am Ende sind sie am Neptunbrunnen, bei einer Demo der linken Friedensbewegung – und sorgen damit für die erste größere Querfront-Veranstaltung seit Jahren. Rechts und Links vereint.
Sie, das sind die, die zu der »Handwerker für den Frieden«-Kundgebung gekommen waren. Mobilisiert hatte vor allem das rechtsextreme »Compact«-Magazin, erschienen sind etwa 600 Personen, nur ein kleiner Teil von ihnen als Handwerker erkennbar. Maßgeblich waren diejenigen dort, die seit Monaten immer wieder aus dem rechtsextremen und verschwörungsideologischen Milieu auf die Straße drängen.
Etwa die rechtsextremen »Freien Thüringer« und »Freien Brandenburger«, sowie das »Zentrum Automobil«, eine rechtsextreme Pseudo-Gewerkschaft. Dazu Fans der verschwörungsideologischen Kleinstpartei »Die Basis«, Anhänger der »Kommunistischen Plattform Sachsen« aus der Linkspartei und der Querdenkersplittergruppe der »Freien Linken«. Und natürlich ist auch der Chefredakteur des »Compact«-Magazins Jürgen Elsässer selbst vor Ort – er trägt eins seiner letzten Titelbilder mit Wirtschaftsminister Robert Habeck als »Der Kaltmacher« vor sich her, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
Wie wenig es um das Handwerk geht, zeigte sich auf den Plakaten: »Baerbock muss weg« steht dort, genau wie »Habeck muss weg« oder »Lieber billiges RUSSEN-Gas und Kernenergie als total verblödete Politiker«. Auf anderen wird gefordert, dass man »Kriegshetzer aus Medien, Militär, Politik und Wirtschaft anklagen« solle. Zwischen den Plakaten und Regenschirmen wehen russische Fahnen oder welche mit Friedenstauben. Und diese: »Hüte dich vor Sturm und Wind – und Ossis, die in Rage sind!«
Das rechtsextreme Magazin »Compact« hatte für die Protestaktion geworben
Foto: Annette Riedl / dpa
Das Ende der Bundesrepublik herbeigewünscht
Auf der Bühne sprachen dann zwar ein Dachdeckermeister und ein Fleischermeister, doch die Themen reichten weit über das Handwerk hinaus: Nord Stream 2 und die Sanktionen gegen Russland, die man ablehnt, die Ukraine, die ihnen egal war, die Grünen, für die nur Verachtung geäußert wurde und Widerstand gegen die Regierung, der bejubelt wurde.
Einer der Redner sagt, dass Politiker keine Probleme lösen würden, sondern »nur welche machen« würden. Das würde man ihnen klarmachen wollen, offenbar egal mit welchen Mitteln, denn: »Wer nicht hören will, muss fühlen, das verspreche ich euch.« Ein anderer forderte, dass man »die BRD auf die Geschichtsseiten schickt, wie die DDR«. Ein Ende der Bundesrepublik herbeiwünschen, aber »rechts« will man auf der Bühne nicht sein.
Dann empfiehlt der Schlussredner noch einmal, zur anderen Demo zu gehen. Dort, beim »Aktionstag der Friedensbewegung«, sind vor allem Fans der Deutschen Kommunistischen Partei und ihrer Jugendorganisation sowie von »Aufstehen«, jener selbsternannten »Sammlungsbewegung«, die die pro-russische Linken-Bundespolitikerin Sahra Wagenknecht mitinitiiert hat. Auch ein Banner der Kreistagsfraktion der Linkspartei Oder-Spree aus Brandenburg ist zu sehen, »Frieden jetzt!« steht dort.
Bei den Linken sind rund 700 gekommen. Auf dem Programm stehen etwa Redebeiträge einer »Aufstehen«-Aktivistin und eines früheren Journalisten, der für den WDR und die ZDF-Satiresendung »Die Anstalt« gearbeitet hat.
Die Rechtsextremen ziehen los, zu Hunderten, nur kurz aufgehalten von der Polizei. Ein einzelner Mann mit einer Antifa-Fahne stellt sich ihnen in den Weg, sagt in Anspielung auf Elsässer »geht doch zurück zu eurem Onkel Jürgen«, wird aber angegangen – und zieht sich zurück. Die Ordner der Demo am Neptunbrunnen schauen dem Ganzen zu, als hätten sie damit nicht rechnen können.
Linke Demo am Neptunbrunnen: »Geht zurück zu eurem Onkel Jürgen«,
Foto: Annette Riedl / dpa
Es gab Warnungen
Dabei hatte es rund um die Montagsdemonstration des Linken-Politikers Sören Pellmann in Leipzig Anfang September Diskussionen im linken Spektrum gegeben, da diese am selben Tag stattfand wie eine der rechtsextremen »Freien Sachsen«. Dort war es nicht zur Querfront gekommen, weil sich ein großer Teil der Linkspartei und ihr antifaschistisches Vorfeld dagegen stemmte.
Außerdem hatte es in den vergangenen Tagen in sozialen Netzwerken Warnungen gegeben, dass es zu solchen Szenen in Berlin kommen könnte, schließlich war eine ähnliche Mischung bei der »Handwerker-Demo« in Dessau vor wenigen Wochen gewesen, damals mit rund 2000 Teilnehmern.
Zumindest der Landesvorstand der Berliner Linkspartei hatte eine finanzielle Unterstützung der Veranstaltung am Neptunbrunnen abgelehnt, da »das pauschale Ende der Sanktionen sowie die Zuschreibung als Aggressor in Richtung der Bundesregierung« nicht der Haltung der Partei entspreche.
Und doch wurde die von Kreml-Fans und Rechtsextremen seit Monaten herbeigesehnte Querfront von Rechtsaußen und Linksaußen auf der Straße nun Realität. Ein Erfolg, auch wenn an diesem Samstag nicht viele kamen und »das Regime« nicht »erschüttert« wurde, wie es die Rechtsextremen vorher behauptet hatten.
Es dauerte mehrere Minuten, bis eine Rednerin auf der Bühne sagte, dass Anhänger der AfD, NPD oder etwa Reichsbürger »nicht willkommen« seien. Viel Applaus gibt es dafür nicht, auch folgen keine Konsequenzen. Stattdessen verteilt eine Frau Ausgaben der kommunistischen Tageszeitung »Junge Welt« an die frisch Angekommenen vom Alexanderplatz.
Erst eine halbe Stunde später sagt der Veranstalter, dass »eindeutige Nazis« anwesend seien, insbesondere die Anhänger vom »Zentrum Automobil«, die stünden »rechts von der AfD«. Man hätte versucht die Leute auszuschließen, doch die Polizei hätte sich geweigert, dies für sie umzusetzen. »Wenn also hier Nazis mitlaufen, möchte ich deutlich sagen, liegt das nicht an uns«, sagt er weiter, spricht dann aber wieder nur von »fünf Verrückten«.
Ein paar der »Friedensbewegten« gehen daraufhin zu denen vom »Zentrum Automobil«, schreien, »Haut ab!« und »Nazis raus«. Die Polizei kommt hinzu, stellt sich dazwischen, schützt die Rechtsextremen und ihr Banner. Diese freuen sich über den Tumult: »Super für die Publicity«, sagt einer, der andere grinst.