Die frühere FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin ist laut eigenen Angaben Opfer zahlreicher sexueller Übergriffe geworden, unter anderem durch Parteikollegen. »Ich wurde angefasst. Einfach so. Da waren immer wieder Hände auf meinem Knie. Man hat meine Brust berührt, mir ungefragt sanfte Rückenmassagen verabreicht«, sagte Koch-Mehrin der Zeitschrift »Stern« . »Und ständig gab es Zoten und Anzüglichkeiten – Sätze wie: ›Ich würde so gern mit Ihrer Eiskugel tauschen.‹«
Ein Parteifreund habe in abendlicher Runde einmal über sie gesagt, »ihre Zukunft liegt zwischen ihren Beinen«. Sie selbst habe dabei in Hörweite gesessen.
Zu ihrer Reaktion auf derartige Vorfälle sagte die 51-jährige: »Ich habe geschwiegen und es ausgehalten. Höchstens mal mit den Augen gerollt. Hände wortlos weggeschoben. Mehr nicht.«
Sie habe damals dazugehören wollen und Angst gehabt, »zickig zu wirken«, sagte Koch-Mehrin weiter. »Ich wehrte mich nicht, sondern begann es mir schönzureden, mich selbst infrage zu stellen.«
»Ich habe durch Passivität mitgemacht, mich nicht gewehrt und keine Grenzen gezogen«, sagte Koch-Mehrin über ihr damaliges Verhalten. »Dadurch habe ich das System unterstützt.«
Der »Stern« sprach mit Koch-Mehrin anlässlich des Erscheinens ihres Buchs »Jetzt, wo ich schon mal nicht tot bin«. Darin beschreibt sie dem Bericht zufolge auch, wie ein Europaabgeordneter ihr in seinem Zimmer wortlos die Hand unter die Bluse geschoben habe. Sie selbst sei zu diesem Zeitpunkt noch Praktikantin gewesen.
»Ich war wie erstarrt. Sagte dann irgendwann: ›Was machen Sie denn da?‹ Er lachte dann verlegen und versuchte, die Sache herunterzuspielen«, sagte Koch-Mehrin der Zeitschrift. Den Namen des Mannes wolle sie auch heute nicht nennen: »Es geht mir nicht um eine persönliche Bloßstellung«, sondern um etwas Grundsätzliches. »Ich möchte erzählen, dass es mir passiert ist. So wie es vielen Frauen passiert.«
FDP bietet Koch-Mehrin Unterstützung an
Auf Anfrage des SPIEGEL erklärte eine Sprecherin der FDP, die Partei biete Koch-Mehrin »persönlich Unterstützung bei der Aufarbeitung der von ihr angesprochenen Vorgänge an.« Die Sprecherin verwies zudem auf Leitlinien für ein respektvolles Miteinander, die die FDP beim Bundesparteitag 2019 beschloss. Diese würden unterstreichen, dass »Übergriffigkeit, sexuelle Belästigung oder sonstige aggressive und abwertende Verhaltensweisen in der FDP nicht geduldet werden.«
Mit den Leitlinien seien auch Vertrauenspersonen des Bundesverbandes und der Landesverbände etabliert worden, die »Betroffene – wenn gewünscht vertraulich – unterstützen und an der Aufarbeitung mitwirken können.« Die Schilderungen Koch-Mehrins unterstreichen der Sprecherin zufolge »die Notwendigkeit des umfassenden Erneuerungsprozesses, dem sich die FDP ab 2014 unterzogen hat.«
Koch-Mehrin hatte von 2004 bis 2014 für die FDP im Europaparlament gesessen. 2009 war sie Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Europawahl. 2011 kamen Plagiatsvorwürfe gegen Koch-Mehrin auf; sie trat daraufhin als Vorsitzende der FDP-Delegation im Europaparlament und als Vizepräsidentin des Parlaments zurück. Tatsächlich entzog die Universität Heidelberg ihr den Titel. Eine Klage Koch-Mehrins dagegen blieb erfolglos.
Heute leitet Koch-Mehrin das von ihr gegründete Netzwerk Women Political Leaders, mit dem Frauen in politische Führungspositionen gebracht werden sollen.