Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL
Bis zu 1300 Festnahmen soll es – Stand gestern Abend – gegeben haben. Viele Frauen, viele Mütter auf der Straße. Und die Frage an Sie beide: Haben Sie die Hoffnung, dass dieser Schritt von Wladimir Putin die Stimmung in Russland nicht nur kurzfristig, sondern wirklich nachhaltig verändern kann?
Anton Hofreiter, Vorsitzender EU-Ausschuss, Bündnis 90/Die Grünen
Man sieht, finde ich, an diesen Protesten, wie sehr die militärische Unterstützung der Ukraine einfach wirkt. Nämlich durch genau die militärische Unterstützung sieht er sich gezwungen diese Teilmobilisierung zu machen und kommt deshalb unter Druck. Und genau das ist der Weg, wie wir ihn an den Verhandlungstisch bringen, entsprechend Druck von innen und außen zu erhöhen, damit er bereit ist, ernsthaft mit der Ukraine zu verhandeln.
AdvertisementRalf Stegner, Außenpolitischer Experte, SPD
Es zeigt aber auf der anderen Seite auch, welche Reserven Russland natürlich auch hat. Russland ist die zweitgrößte Nuklearmacht der Welt. Putin sind seine Soldaten ziemlich egal. Das kann man ja merken. Und ich finde das sehr gut, dass es dagegen Demonstrationen gibt. Auch eine Diktatur muss sich verteidigen und kann das nicht alles unterdrücken. Aber es weist auch darauf hin, dass die Vorstellung, es könne vielleicht schnelle militärische Erfolge geben, die den Krieg beenden, vielleicht doch auch illusionär sind. Und alleine die Konzentration auf das Militärische. Darin liegt kein Segen. Und ich teile weder die Einschätzung, dass der irrational noch ein Trottel ist. Er teilt unsere Werte nicht, ist ein Kriegsverbrecher, der gehört abgeurteilt in Den Haag. Aber in vielen Ländern der Welt haben wir leider Regime, die uns nicht gefallen. Aber er ist kein Trottel und er erreicht keines seiner Ziele im Augenblick. Wir reden nicht über Irak oder Libanon, sondern wir reden über die zweitgrößte Atommacht der Welt. Von einem Menschen, dem das Schicksal seiner Soldaten schnurz sind, der ganz viel Blutzoll bereit ist zu bezahlen, anders als Demokratien das ohne weiteres sind. Und deswegen das ernst zu nehmen und vorsichtig und besonnen zu sein und eben nicht nur auf die militärische Karte zu setzen, das ist meine Schlussfolgerung daraus.
Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL
Herr Hofreiter, Sie haben keine Angst vor dieser Drohung?
Anton Hofreiter, Vorsitzender EU-Ausschuss, Bündnis 90/Die Grünen
Das er noch einmal gesagt hat, das ist ein Bluff. Das ist eigentlich schon ein fast verblüffender Fehler, dass ihm so etwas rausgerutscht ist. Nämlich wir Menschen sind so: Wenn jemand lügt, dann sagt er: »Das ist jetzt aber wirklich richtig die Wahrheit«, wenn jemand blufft. Und wenn jemand blufft, dann sagt er: »Das ist aber jetzt ganz sicher kein Bluff«. Also, das ist schon wirklich fast verblüffend, dass ihm das rausgerutscht ist. Und außerdem gibt es auch starke Hinweise darauf. Wir wissen zum Beispiel, dass keinerlei Atomwaffen schon aufgemacht worden sind. Das hat einen relativ langen militärischen Vorlauf. Wir wissen, dass die Chinesen massiven Druck ausüben, dass er das auf gar keinen Fall zieht, diese Option. Und wenn China als Verbündeter verloren geht, dann ist er noch mal ganz anders unter Druck. Und deswegen muss man da einfach ganz besonnen sein, nicht die Nerven verlieren und sich nicht einschüchtern lassen.
Nehmen Sie Spanien. Spanien würde und das ist bekannt sehr gerne Leopard-2-Panzer liefern und es wird von Deutschland aus untersagt.
Ralf Stegner, Außenpolitischer Experte, SPD
Darf ich widersprechen. Das ist nicht so. Das ist eine Behauptung. Die spanische Regierung will das nicht. Es wurden immer schon solche Behauptung in die Welt gesetzt. Nein, die spanische Regierung will das nicht.
Anton Hofreiter, Vorsitzender EU-Ausschuss, Bündnis 90/Die Grünen
Das wissen alle Beteiligten.
Ralf Stegner, Außenpolitischer Experte, SPD
Was Sie alles wissen. Die spanische Regierung redet ja mit uns. Und die wollen das nicht. Ausdrücklich nicht.
Anton Hofreiter, Vorsitzender EU-Ausschuss, Bündnis 90/Die Grünen
Ich habe da andere Informationen und zwar sehr, sehr belastbare Informationen aus der spanischen Regierung. Das geht so weit, dass es heißt: Ja, Sanchez will das nicht in der Deutlichkeit sagen, weil sie ja beide Sozialdemokraten sind. Aber selbstverständlich wollen sie das. Und das ist, wie gesagt.
Ralf Stegner, Außenpolitischer Experte, SPD
Das ist doch Spötenkiekerei, würde man in Norden sagen.
Anton Hofreiter, Vorsitzender EU-Ausschuss, Bündnis 90/Die Grünen
Nein, das ist keine Spötenkiekerei, wenn man es persönlich gehört hat. Und ich habe es persönlich gehört.
Ralf Stegner, Außenpolitischer Experte, SPD
Die Verklärung, dass sogar gesagt wird: »Panzer retten Leben«. Die Panzer, die ich kenne, vernichten vor allen Dingen Leben. Ich will keine militärische Führungsmacht Deutschland. Nicht wir mit dem Geldbeutel und die anderen halten den Kopf hin. Das nicht. Schon mitwirken, aber nicht, indem wir vorangehen und etwa Kampfpanzer liefern, die kein westliches Land liefert. Weder die USA noch Spanien, Großbritannien, Italien, niemand. Wir sollen das jetzt tun. Das halte ich für falsch. Denn wir müssen nicht nur in der Ukraine helfen, sondern auch verhindern, dass der Krieg ausgeweitet wird. Das ist auch ein Teil unserer Verantwortung, die der Bundeskanzler wahrnimmt.
Anton Hofreiter, Vorsitzender EU-Ausschuss, Bündnis 90/Die Grünen
Der Streit ist, wie kann man sozusagen diesen Krieg möglichst schnell beenden. Und da höre ich von der einen Seite: »Man muss mit Putin verhandeln«. Und Putin will aber über das Zentrale nicht verhandeln. Wir müssen die Kosten fürs System Putin erhöhen. Durch weitere Ausweitung kluger Sanktionen, die bereits schon sehr gut helfen, und durch weitere Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine, um genau die Kalkulation im Kopfe Putins zu verändern. Es lohnt sich für ihn, in Verhandlungen zu treten.