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News: Olaf Scholz, Uno-Generalversammlung in New York, Vorratsdatenspeicherung, Linke

New York, New York

Der Kanzler sprach vom Gewaltverzicht, vom Hunger in der Welt und von der Umweltkrise.

Vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen forderte er den konsequenten Verzicht, »Ziele, Interessen, Meinungsunterschiede mit Gewalt zu entscheiden« und warb für eine »Ordnung der guten Nachbarschaft«. Er sprach sich für einen »Welternährungsplan« aus: »Wo Hunger herrscht, ist auf Dauer kein Friede.« Und er mahnte, die Vorräte der Erde nicht hemmungslos zu erschöpfen, »es sei denn, wir wollten uns zum langsamen Selbstmord verurteilen«.

Das war im September 1973, die erste Rede eines deutschen Kanzlers bei der Uno. Sein Name: Willy Brandt.

Knapp 50 Jahre später ist dessen Nachfolger nach New York gereist, er wird nach Mitternacht deutscher Zeit seine erste Rede vor der Generalversammlung halten. Und nach allem, was im Vorfeld zu hören ist, setzt Olaf Scholz parallele Themen wie einst Brandt: Verteidigung der regelbasierten Weltordnung gegen die russische Aggression; Kampf gegen den Klimawandel; Streben nach globaler Ernährungssicherheit.

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Wir dürfen vor allem gespannt sein, wie Scholz die deutsche Rolle im Ukrainekrieg verteidigt. Stichwort Waffenlieferungen.

Die Deutschen liefern viel, aber sie könnten mehr liefern, etwa Schützen- oder Kampfpanzer. So der Eindruck. Das mögliche Mehr überschattet das reale Viel. Und dieser Gegensatz ist es, der Scholz auf internationaler Bühne wie in seiner Ampelkoalition – wo FDP und Grüne gerne weiter gingen – zu schaffen macht.

Nun ist der Mann kein großer Redner à la Brandt, dennoch dürfte dies einer seiner bedeutenderen Vorträge werden. Wer will, mag sogar ein Muster erkennen. Erst die nationale »Zeitenwende«-Rede im Bundestag (große Überraschung!), dann die europapolitische Grundsatzrede in Prag (keine Überraschung!) und nun die Weltbühne für den Kanzler (Überraschung?) vor rund 150 anderen Staats- und Regierungschefs.

Als ich im September 2014 eine solche Generaldebatte vor Ort verfolgen durfte – damals sagte Barack Obama in seiner Rede der IS-Terrormiliz den Kampf an und Russlands erster Überfall auf die Ukraine sorgte für Unruhe – habe ich mich wie niemals zuvor im Zentrum der Welt und des Weltgeschehens gefühlt.

Uno-Gelände und -Gebäude wirkten auf mich wie ein eigenes, quasi souveränes politisches Universum, voller Idealismus und Hoffnung (O-Ton Obama: »Wir sind hier, weil andere vor uns verstanden haben, dass man mehr durch Kooperation gewinnt als durch Eroberungen«). Und zugleich voller vorprogrammierter Enttäuschungen, weil all die schönen Worte den Frieden auf Erden nicht herbeizwingen werden.

»Die Fähigkeit des Menschen zur Vernunft hat die Vereinten Nationen möglich gemacht«, sagte Brandt anno dazumal und fügte hinzu: »Der Hang des Menschen zur Unvernunft macht sie notwendig.« Ich bin gespannt, was uns meine Kollegin Melanie Amann und mein Kollege Marc Pitzke aus New York berichten werden.

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Das geschah in der Nacht: Die russische Seite will ihre Reihen offenbar mit Straftätern verstärken – mit mäßigem Erfolg. In der Ostukraine sollen rasch Volksabstimmungen stattfinden. Und: deutsche Panzerhaubitzen für Kiew. Der Überblick.

  • Jetzt geht Russlands Nationalheilige in den Widerstand: Alla Pugatschowa gilt als größter Popstar Russlands. Nun will sie nicht länger als Stütze des Regimes herhalten. Kann ihr Aufstand gegen den Krieg in der Ukraine die Meinung im Land beeinflussen? 

  • »Ein paar Hundert Meter, und wir wären in einer ganz anderen Realität aufgewacht«: Eine Rakete schlug in der Nähe des AKW Piwdennoukrajinsk ein. Betreiber Enerhoatom spricht von »Atomterrorismus«. Selenskyj wirft Russland vor, die ganze Welt zu bedrohen. Was passiert ist – und was beschädigt wurde.

  • So wollen die Ukrainer die Russen im Süden schlagen: Im Nordosten der Ukraine ziehen sich Russlands Truppen zurück. Im Süden haben es die ukrainischen Soldaten deutlich schwerer. Eine Spezialeinheit versucht, die Besatzer aufzureiben – mit Drohnen und präziser Artillerie. 

Achtung, Vorratsdatenspeicherung!

Tun Sie mir den Gefallen, lassen Sie sich jetzt nicht von diesem Thema abschrecken und rutschen runter zur – Spoiler! – verkrachten Linkspartei.

Versuchen Sie es mal so: Stellen Sie sich vor, sie warten seit Jahren auf eine gewisse Entscheidung, mal fiebern sie mehr mit, mal weniger, aber immer denken Sie daran, dass da doch bald was kommen müsste, könnte, sollte. Na?

So ist das nun mit der Vorratsdatenspeicherung (Experten sagen einfach: VDS). Die Berliner Politik wartet seit Jahren auf eine Entscheidung. Heute befasst sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem entsprechenden deutschen Gesetz – also mit der Frage: Darf Deutschland seine Telekommunikationsanbieter verpflichten, monatelang Daten aller Kundinnen und Kunden zu speichern (etwa wer wann von wo aus mit wem telefoniert, gesimst oder gemailt hat), um diese Daten bei Bedarf den Sicherheitsbehörden zur Verfügung stellen zu können?

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte die deutsche Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie im Jahr 2010 für grundgesetzwidrig befunden und kassiert. Nach einigem Hin und Her liegt die Datensammelhalde seit fünf Jahren auf Eis. Nun geht der Streit in eine neue Runde. Vielleicht ist es die letzte.

»Wenn die Entscheidung zur VDS heute verkündet wird, dürfte sich das für manche anfühlen wie der Murmeltiertag: Wieder eine Gerichtsentscheidung, die die anlasslose Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten verwirft«, prognostiziert mein sehr geschätzter Kollege Marcel Rosenbach, der sich bei uns seit zwölf Jahren mit der Saga befasst und deshalb auch stets VDS sagt.

Und weiter: Vielleicht wird das Gericht zwar die anlasslose und generelle Speicherpflicht ablehnen, aber eine Ausnahme zulassen. »Das Speichern von IP-Adressen könnte der EuGH ermöglichen«, meint Wolf Wiedmann-Schmidt, unser Experte für Innere Sicherheit. Damit lasse sich herausfinden, welcher Nutzer auf einer bestimmten Internetseite surfte. Das Bundeskriminalamt (BKA) halte dies für ein zentrales Instrument zur Bekämpfung von Kinderpornografie im Netz.

Das wiederum dürfte für Zündstoff in der Ampelregierung sorgen. Denn während SPD-Innenministerin Nancy Faeser deutlich gemacht hat, dass sie ein Speichern der IP-Adressen für unerlässlich hält, sehen FDP und Grüne das entschieden anders.

Was tun? Ideen für grundrechtsschonendere Alternativen gibt es längst, sagt Marcel: »Sie heißen quick freeze und Login-Falle.« Zuständig sei ohnehin Justizminister Marco Buschmann von der FDP, der die Methode »schnelles Einfrieren« präferiert: anlassbezogen, nur gegen einzelne Verdächtige beim Verdacht schwerer Straftaten.

Eine solche Regelung könnte die Ampel sehr schnell vorlegen, meint Marcel – eine von Buschmanns Vorgängerinnen im Amt, seine Parteifreundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (SLS), hatte dazu sogar schon mal einen Gesetzentwurf erarbeiten lassen – im Jahr 2011. Vielleicht findet er sich im BMJ ja noch irgendwo. (BMJ, wissen Sie ohnehin, oder?)

Wie eine Partei zerfällt

Heute passiert bestimmt wieder was. Die Linke trifft sich zur Fraktionssitzung und wenn sich mehr als zwei Linke derzeit zu einer Sitzung treffen, dann droht Ungemach. Schließlich ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, wann die ersten Abgeordneten im Streit über die einstige Partei-Ikone Sahra Wagenknecht die Fraktion verlassen. Der Zerfallsprozess einer Partei, live und in Farbe.

Zugegeben, ich bin baff. Woher kommt diese selbstzerstörerische Energie? Dabei bin ich bei der CSU in die Schule gegangen, als junger Korrespondent in München durfte ich vor 15 Jahren mitverfolgen, wie sich die Christsozialen zerlegten. In jener Januarnacht 2007, als der Orkan Kyrill übers Land tobte, wurde Edmund Stoiber gestürzt. Geht’s noch heftiger? Lassen Sie mich kurz nachdenken.

Ja, geht.

Stellen Sie sich mal vor, die Linken würden heute im Bund mitregieren. Na ja, brauchen Sie sich gar nicht mehr vorstellen, die Koalition wäre wohl nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine zerbrochen.

Im Zentrum dieser Auseinandersetzung steht seit eh und je Wagenknecht. Mein Kollege Timo Lehmann, der bei uns die Linke beobachtet, beschreibt es in der heutigen Ausgabe unseres Podcasts SPIEGEL Daily  so: Wagenknecht störe es überhaupt nicht, gegen den Mainstream zu sein und die eigene Partei gegen sich aufzubringen. »Das hat bei ihr eine sehr lange Tradition: Schon in den Neunzigerjahren hat sie gegen Gregor Gysi gekämpft. Damals hat sie von den positiven Seiten der DDR gesprochen – damit ist sie auch bekannt geworden. Aber das hat sie interessant gemacht, und dieses Muster setzt sie bis heute fort.«

Das Muster also ist immer dasselbe, egal ob es um die DDR, Flüchtlinge, Corona oder jetzt eben Russland geht.

Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz

Verlierer des Tages…


Foto:

ARUN SANKAR / AFP


… ist Schach-Weltmeister Magnus Carlsen. Schon Anfang September löste der 31-jährige Norweger einen Eklat aus, als er nach einer überraschenden Niederlage gegen den 19-jährigen Amerikaner Hans Niemann ohne Erklärung aus einem Turnier ausstieg. Nun trafen Carlsen und Niemann erneut aufeinander – und wieder ergriff Carlsen die Flucht.

Allerdings etwas, nun ja, rascher.

Niemann zog zur Eröffnung der Videopartie einen Bauern, Carlsen machte einen Springerzug, Niemann antwortete wiederum mit einer Bauernbewegung. Und dann?

Dann gab Carlsen auf, kappte seine Verbindung. Game Over.


Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Queen Elizabeth II. im engsten Familienkreis beigesetzt: Die britische Königin ist am Montagabend an ihrer letzten Ruhestätte angekommen. Beigesetzt wurde die Queen in einer Seitenkapelle der St.-Georges-Kapelle in Windsor.

  • Trump spielt musikalische Hommage an QAnon-Verschwörer: Bei einer Rede in Ohio lief ein Musikstück, das frappierend an die »Hymne« der Verschwörungsgruppe erinnert. Die Reaktion des Publikums war eindeutig.

  • Spektakuläre Wende in Kriminalfall – Mordurteil gegen Adnan Syed aufgehoben: Mehr als 20 Jahre lang saß Adnan Syed in Haft, der Podcast »Serial« machte seinen Fall weltbekannt. Nun ordnete eine Richterin die sofortige Freilassung des Mannes – »im Interesse der Justiz und der Fairness«.

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • So macht Europa es den Populisten allzu leicht: Die jüngsten Erfolge rechter Parteien haben wenig mit Putins Energiekrieg, aber viel mit Fehlern der EU zu tun .

  • »Um die 100.000 Euro an Nachzahlungen – ich kann das alles nicht fassen«: Tausende Selbstständige müssen aufgrund eines aktuellen Urteils immense Summen an die Sozialversicherung nachzahlen. Manche stehen vor dem Ruin, andere wissen noch nicht mal, was ihnen droht. Wen es trifft – und was Betroffene erleben .

  • Ein Basketballprofi als Brandbeschleuniger: Royce White spielte in der NBA, berühmt wurde er als vermeintliche Stimme des liberalen Amerikas. Heute tritt er als Rechtsextremer bei Wahlen an, fabuliert über Satanisten, Hitler und die Weltverschwörung. Was ist passiert? 

  • Wie Sie jetzt noch an Fördergeld für Ihre Sanierung kommen: Eigentümer sollen Energie sparen und Häuser effizient umbauen, doch die Bundesregierung hat die Förderung zusammengestrichen. Für welche Maßnahmen es noch Zuschüsse gibt – und wo Sie sie bekommen .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Sebastian Fischer

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