Panikattacken durch Nachrichten
Ich höre das oft in letzter Zeit: Dass Freunde und Bekannte, denen der Lauf der Welt alles andere als schnuppe ist, jetzt mal eine Auszeit brauchen. Von den Nachrichten. Den meist sehr schlechten Nachrichten über den Zustand der Welt. Auch wir beim SPIEGEL fragen uns in unseren Konferenzen immer wieder: Musste die Seite oder das Heft echt wieder so düster daherkommen? Haben wir keine leichteren, bunteren, heiteren Berichte?
Nachrichtenflut (Symbolbild)
Foto: Kostas Tsironis / Getty Images
Was Nachrichten mit Menschen machen, dieser Frage ist ein Wissenschaftler aus Texas nachgegangen. In einer Befragung von 1100 Menschen fand er heraus, dass rund 17 Prozent einen problematischen Nachrichtenkonsum zeigen. Kriege, Corona, Klimawandel, derartige Inhalte verängstigen sie, lassen sie darüber permanent grübeln. Oft absorbieren sie dann noch mehr Nachrichten, in der Hoffnung, entlastende Informationen zu finden. Meist verstärkt sich die Angst dadurch nur oder aber eine neue kommt dazu. Auf der mentalen Ebene kann das zu Stress, Angst und Panikattacken führen. Körperlich kann es sich in Erschöpfung, Verdauungsbeschwerden, aber auch Kopf- und Rückenschmerzen niederschlagen. Der Forscher rät, den eigenen Konsum kritisch zu reflektieren. Er sagt: »Den meisten ist gar nicht bewusst, wie oft sie am Tag zum Handy greifen und mal eben die Nachrichten checken. Noch wichtiger ist aber, sich dabei zu fragen: Tut mir das gut? Und falls nein, gilt es achtsam zu sein.« Heißt: Das Telefon mal wegzulegen, den Computer oder den Fernseher mal auszuschalten und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren; Freunde, Familie, die Arbeit.
Wenn Sie auch in Familie machen wollen, sollten Sie Ihr Handy jetzt weglegen. Oder den Rechner zuklappen. Jedenfalls aufhören zu lesen.
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»Stress, Angst und Panikattacken«: Im digitalen Zeitalter ist man bei Kriegen, Krisen und Katastrophen ständig live dabei. Ein Experte erklärt, wie das die Gesundheit beeinflussen kann – und Sie ihren Konsum regulieren.
Ein Eskapismusversuch
Sie sind hiergeblieben? Okay.
Vielleicht versuchen wir es mit einem Kompromiss: mit einem Newsletter ohne (allzu) beunruhigende Nachrichten. Da bietet sich in der Regel die Welt des Sports an. Am Donnerstag wurde zum Beispiel bekannt, dass der Tennisspieler Roger Federer seine Karriere beenden wird. Das ist zwar traurig, aber nicht tragisch. Ich persönlich werde Federer vermissen. Uns verbindet nämlich die einhändige Rückhand. Der Federer-Rückhand hat das Magazin der »Süddeutschen Zeitung« neulich sogar in einer Titelgeschichte gehuldigt. Weil sie ein Triumph der Eleganz ist.
Schade (aber ebenfalls nicht bedrohlich) war auch die Niederlage der deutschen Basketball-Nationalmannschaft gestern Abend im Halbfinale der Europameisterschaft gegen Spanien. Der Einsatz stimmte jedenfalls. Das lässt hoffnungsfroh in die Zukunft blicken. Ebenso wie der Umstand, dass es beim Auftakt der Frauen-Bundesliga mit 23.000 Besucherinnen und Besuchern einen Rekord gab.
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Der Größte: Roger Federer gilt für viele als größter Tennisspieler der Geschichte. Nun beendet der Schweizer im Alter von 41 Jahren seine einzigartige Karriere. Für seinen Sport ist das eine schlechte Nachricht.
Auswärtige im Amt
Sonderbeauftragte Morgan
Foto: John Thys / AFP
Wir werden noch mal kurz politisch, weil die Kolleginnen und Kollegen eine interessante Recherche gemacht haben. Aber keine Sorge, brutal oder verstörend wird es auch in den folgenden Zeilen nicht.
Jennifer Morgan war eine charismatische Aktivistin, die auf Weltklimakonferenzen spielend erklären konnte, was gerade im Verhandlungssaal schiefläuft. Fast sechs Jahre lang leitete sie Greenpeace International. Ihre Hauptaufgabe war es, den Politikerinnen und Politikern dieser Welt ordentlich Druck zu machen. Sie zu einem beherzteren Klimaschutz zu drängen.
Vor einem halben Jahr wechselte Morgan die Seiten. Sie wurde Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik im Ministerium von Annalena Baerbock. Dass es sich beim Auswärtigen Amt um ein strukturell eher konservatives Haus handelt, dürfte Morgan bewusst gewesen sein. Dass es so mühsam sein würde, vermutlich nicht.
Mein Kollege Gerald Traufetter kennt Morgan von seinen Besuchen auf vielen Weltklimakonferenzen, in Kopenhagen, Cancún oder Glasgow. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen hat er nun Morgans Wirken an der neuen Arbeitsstätte unter die Lupe genommen. Das vorläufige Fazit der Kollegen fällt nicht gänzlich euphorisch aus.
Demnach fremdelt Morgan mit dem Ministerium. Sie findet nicht genügend Leute, manche aus ihrem Team wollen schon wieder hinschmeißen, weil sie im Auswärtigen Amt keine Aufstiegschancen sehen. Das sind denkbar ungünstige Bedingungen für Morgan, um wirklich erfolgreich arbeiten zu können.
Jetzt drängt die Zeit. Die nächste Weltklimakonferenz findet Mitte November in Ägypten statt.
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Morgans Dämmerung: Diese Personalie war ein Coup: Außenministerin Annalena Baerbock kürte Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan zur Staatssekretärin, verantwortlich für Klimapolitik. Doch nach einem halben Jahr fällt die Bilanz mäßig aus.
Demo des Tages
So, jetzt ist dann aber auch gut mit der schweren politischen Kost. Es folgt ein kleiner Servicetipp, eine sehr beliebte journalistische Rubrik. Stichwort Nutzwert.
Wenn Sie heute mit Gleichgesinnten an der frischen Luft spazieren gehen wollen, bietet sich ein Ausflug zum Leipziger Platz in Berlin an. Dort wollen Abtreibungsgegner einen »Marsch für das Leben« abhalten. Sollten Sie Abtreibungen befürworten, können Sie nur wenige Meter entfernt an der Gegendemonstration mit dem Namen »Burn the patriarchy – Queer- feministische Demo« des queerfeministischen Bündnisses «What-the-fuck» teilnehmen.
Wenn Sie für keine dieser Extreme spazieren gehen wollen, bietet sich der nahegelegene Tiergarten samt Ententeich an. Es ist für jeden was dabei. Klasse.
Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz (auch völlig harmlos)
Gewinner des Tages…
Ex-Außenminister Gabriel
Foto: IMAGO/teutopress GmbH / IMAGO/teutopress
… ist natürlich die erfreuliche Nachricht. Und die gibt es heute zum Glück. Der frühere Außenminister und ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel erhält heute den Weinkulturpreis 2022 der Stadt Alzey. Wir sagen: Herzlichen Glückwunsch und wohl bekomm’s!
P.S.:
Der harmlose, nicht verstörende Newsletter hat leider auch klitzekleine Nachteile. Dass die 21-jährige Iranerin Mahsa Amini an den Folgen der Verletzungen gestorben ist, die ihr die iranische Moralpolizei zufügte, weil ihr Kopftuch angeblich nicht richtig saß, kann in solchen Zusammenfassungen zum Zustand der Welt natürlich keinen Eingang finden. Das wäre ja irgendwie verstörend.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
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Selenskyj vergleicht Isjum mit Butscha und fordert Bestrafung Moskaus – das geschah in der Nacht: Der ukrainische Präsident Selenskyj wirft Russland Folter in Isjum vor, die Uno will ein Team in die Stadt schicken. Der Bundeswehrverband ist gegen weitere Waffenlieferungen an Kiew aus Truppenbeständen. Der Überblick.
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US-Justizministerium kämpft um Einsicht in heikle Papiere: Für Donald Trump war es ein Erfolg, dass ein neutraler Prüfer im Fall der beschlagnahmten Dokumente in Mar-a-Lago eingesetzt wurde – das Justizministerium wehrt sich. Der Ex-US-Präsident gerät nun durch einen Medienbericht weiter unter Druck.
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Schäuble bot Punks auf Sylt Jobvermittlung an: Mit dem 9-Euro-Ticket kamen diesen Sommer zahlreiche Punks nach Sylt und bevölkerten wochenlang Deutschlands Luxusinsel. CDU-Politiker Schäuble traf sich mit ihnen – und hatte dafür eine Bedingung.
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Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute
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Morgans Dämmerung: Diese Personalie war ein Coup: Außenministerin Annalena Baerbock kürte Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan zur Staatssekretärin, verantwortlich für Klimapolitik. Doch nach einem halben Jahr fällt die Bilanz mäßig aus, die ersten Mitarbeiter laufen ihr davon .
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So knockt die Inflation die Sparer aus: Viele Deutsche räumen ihre Sparkonten leer, statt Geld zurückzulegen. Alle Altersgruppen sind betroffen, immer häufiger auch Menschen um die 30 mit guten Gehältern. Und die Nebenkostenabrechnung kommt erst noch .
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Mit den »Großen Weißen« kommt der Schrecken: Hunger, Hoffnungslosigkeit, Tod: Zwei Monate härtester Abriegelung haben Chinas Weltmetropole erschüttert. Die Shanghaier fühlen sich von den Institutionen im Stich gelassen – und fürchten, das Elend könnte sich wiederholen .
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Welt ohne Helden: Erich Maria Remarques Anti-Kriegs-Roman »Im Westen nichts Neues« wurde in der Weimarer Republik zum Weltbestseller und bereits 1930 von Hollywood verfilmt. Jetzt hat sich erstmals ein deutscher Regisseur an den Stoff gewagt. Ist das gutgegangen?
Ein komplett heiteres Wochenende wünscht Ihnen
Ihr Markus Feldenkirchen
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Textes hieß es, Roger Federer habe gestern seinen Rücktritt angekündigt – tatsächlich hatte sich der Tennisstar bereits am Donnerstag geäußert.