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Europäische Union

EU sagt Zwangsarbeit den Kampf an – und riskiert Konflikt mit China

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Kinderarbeit in Kenia: EU will Produkte aus Zwangsarbeit bannen


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Brian Inganga / AP

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Guy Ryder fand deutliche Worte. »Wir sind nachlässig geworden, was Zwangsarbeit angeht«, sagte der Direktor der Internationalen Arbeitsorganisation der Uno (ILO). Der Kampf gegen die »moderne Sklaverei« sei nicht nur ins Stocken geraten, die Lage habe sich sogar verschlimmert. 27,6 Millionen Menschen leben weltweit in Zwangsarbeit, 2,7 Millionen mehr als im Jahr 2016, hieß es in einem am Montag veröffentlichten Bericht der ILO.

Nur Stunden später sickerten in Brüssel erste Entwürfe eines Gesetzesvorhabens durch, das den Kampf gegen die Zwangsarbeit deutlich verschärfen soll. Laut der aktuellen Fassung, die dem SPIEGEL vorliegt, will die EU-Kommission alle Produkte, die mit Hilfe von Zwangsarbeit hergestellt wurden, in der EU verbieten. Ob sie in der EU hergestellt oder importiert wurden, für den EU-Markt oder den Export bestimmt sind, soll dabei keine Rolle spielen.

Auch Ausnahmen für kleine und mittelständische Unternehmen soll es nicht geben, heißt es im Entwurf. Schließlich gehe es um Produkte aus Zwangsarbeit – egal, wer sie hergestellt hat. Kleinere Firmen auszunehmen würde die Wirksamkeit des Gesetzes schwächen und Unsicherheit schaffen.

Schon der Verdacht soll genügen

Die Verordnung sei ein »drastischer Schritt«, sagt etwa der SPD-Europaabgeordnete René Repasi. Immerhin gehe es hier um ein Verbot aller Produkte, bei denen man »irgendwo in der Lieferkette sehen kann, dass Zwangsarbeit vorhanden war«. Damit gehe man sogar weiter als die USA, die im Dezember 2021 ein Gesetz  nur gegen Zwangsarbeit von Uiguren in China verabschiedeten. Das geplante EU-Gesetz richte sich indes gegen Zwangsarbeit in allen Ländern, sogar in der EU selbst.

In einem aber ähneln sich beide Gesetze: Die Behörden müssen den Einsatz von Zwangsarbeit nicht bei jedem einzelnen Produkt minutiös nachweisen, um es verbieten zu können. Stattdessen soll schon ein begründeter Verdacht genügen.


EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen


Foto: Virginia Mayo / dpa

Für die USA etwa reicht es, wenn etwas in der chinesischen Provinz Xinjiang oder von bestimmten Herstellern produziert wurde. Die EU-Kommission spricht bei ihrem Vorschlag von einem »risikobasierten Ansatz«. In einer ersten Phase sollen die zuständigen Behörden der Mitgliedsländer Zwangsarbeit-Risiken feststellen, auf Basis von Informationen etwa aus der Zivilgesellschaft oder aus Unternehmen. Zudem will die Kommission eine Datenbank über Risikofaktoren erstellen.

Sollte sich ein Verdacht ergeben, sollen die nationalen Behörden in einer zweiten Phase weitere Informationen von Unternehmen anfordern oder aber Prüfungen und Inspektionen vornehmen. In vielen Fällen – insbesondere in Ländern mit ohnehin fragwürdiger Menschenrechtslage – dürfte das allerdings schwierig werden. Deshalb sollen die Behörden der EU-Staaten nach Vorstellungen der Kommission ein Produkt schon dann vom EU-Markt nehmen sowie die Ein- und Ausfuhr verbieten können, wenn ihnen der Verdacht der Zwangsarbeit groß genug erscheint.

Mit Peking droht Ärger

»Man kann nicht jedes Produkt zu 100 Prozent überprüfen«, sagt Bernd Lange (SPD), Chef des einflussreichen Außenhandelsausschusses des EU-Parlaments. Aber es lasse sich beispielsweise sagen, dass ein Produkt wie Christbaumschmuck zum großen Teil aus Chinas Provinz Xinjiang stamme – wo Hunderttausende Uiguren in Umerziehungslagern einsitzen und auch Zwangsarbeit verrichten müssen. In solchen Fällen, sagt Lange, »wird es Veränderungen in den Wertschöpfungsketten geben.«

Dass die Regierung in Peking sich das ohne Weiteres gefallen lässt, darf zumindest bezweifelt werden. »Selbstverständlich wird es zu einer Reaktion kommen«, sagt Lange. Sie werde aber wohl nur »rhetorisch« sein. »China kann sich nicht erlauben, den Handel mit der EU dichtzumachen«, so Lange. Dafür sei die gegenseitige Abhängigkeit zu groß.

Ein weiteres Problem könnte die Verfügbarkeit bestimmter Waren in der EU sein. So kommen laut Lange die in der Medizin oft verwendeten blauen Einweghandschuhe zu 60 Prozent aus Malaysia und basierten zum großen Teil auf Zwangsarbeit. Das neue Gesetz würde den Druck auf die Hersteller erhöhen, die Zustände vor Ort zu verbessern, sagt der SPD-Politiker. Sollte das nicht geschehen, »dann müssen wir halt schauen, wo wir die Handschuhe stattdessen herkriegen«.


Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini

Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini


Foto: Genevieve Engel / European Union / EP

Anna Cavazzini, handelspolitische Sprecherin der Grünen im EU-Parlament, befürwortet ein robustes Vorgehen. Millionen Menschen würden weltweit zu Arbeit gezwungen, die Produkte landeten oft in den Supermärkten der EU. Verbraucherinnen und Verbraucher würden so »zu unfreiwilligen Komplizen«.

CDU fordert Moratorium für EU-Gesetze

Für Daniel Caspary, Chef der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, kommt die Gesetzesinitiative der Kommission dagegen zur Unzeit. »Wir können in Zeiten der größten wirtschaftlichen Herausforderung seit Jahrzehnten bei aller Notwendigkeit nicht über eine Zwangsarbeit-Verordnung verhandeln«, sagt Caspary. Das gleiche gelte für das erst im Februar von der EU-Kommission vorgeschlagene Lieferketten-Gesetz, mit dem die Brüsseler Behörde weltweit Menschenrechten und Umweltschutz Geltung verschaffen will. »Die Themen müssen wir angehen«, sagt Caspary, »aber nicht jetzt.« Er fordert ein generelles Moratorium für EU-Gesetze, »die wirtschaftliche Tätigkeit erschweren«.

Allerdings werden ohnehin noch Jahre ins Land gehen, bis die neue Regelung greifen würde – auch wenn es sich um eine EU-Verordnung handelt, die sofort gilt und von den Mitgliedsländern nicht erst noch in nationales Recht umgesetzt werden muss.

Zunächst müssen das Europaparlament und der Rat der Mitgliedsländer ihre Positionen festlegen, was dauern könnte. Denn das Europaparlament hatte schon im Juni in einer Resolution ein noch schärferes Gesetz gegen Zwangsarbeit gefordert. So wollten die Parlamentarier, dass Unternehmen von sich aus nachweisen müssen, nicht von Zwangsarbeit zu profitieren. »Ich kann mir vorstellen, dass das Parlament an dieser Stelle noch nachschärfen will«, sagt Grünenpolitikerin Cavazzini.

Es dürfte noch bis Anfang nächsten Jahres dauern, ehe die Abgeordneten ihre Position für die Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat der Mitgliedsländer festgelegt haben. Auch Letzterer muss eine gemeinsame Haltung erst noch finden. Für die Bundesregierung gilt das gleiche. Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es, dass man die EU-Kommission bei ihrem Vorschlag zur Zwangsarbeit-Verordnung unterstützt hat. Das Regelwerk werde nun in die Ressortabstimmung innerhalb der Regierung gehen. Man sehe den Vorschlag aber grundsätzlich positiv

Die Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission über das finale Gesetz werden dann weitere Monate in Anspruch nehmen. Ist es in Kraft getreten, sollen zwei weitere Jahre vergehen, ehe es angewandt wird.


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