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Von der Leyen sucht den Deal mit Autokrat Orbán

Ungarns Premierminister Orbán und Kommissionspräsidentin von der Leyen bei einem Treffen in Brüssel 2020


Foto: Francois Lenoir / REUTERS

Ungarns Justizministerin Judit Varga hat in den vergangenen Tagen viele Hände geschüttelt in Brüssel. Mit der Vizepräsidentin, der Tschechin Věra Jourová, hat sich die Politikerin der rechtskonservativen Fidesz-Partei getroffen, mit Justizkommissar Didier Reynders und Haushaltskommissar Johannes Hahn. Von einem »konstruktiven Dialog« schrieb die Vertraute des ungarischen Autokraten Victor Orbán anschließend auf Twitter – und tatsächlich zeichnet es sich ab, dass im bislang so frostigen Rechtsstaatsstreit zwischen Budapest und Brüssel plötzlich Tauwetter einziehen könnte. »Wir werden das Verfahren nicht einstellen«, heißt es in der Kommission. »Wir werden aber auch nicht auf unserer Ausgangsposition bestehen.«

Hoffen auf den Wandel

Das ist eine erstaunlich milde Tonlage für eine Behörde, die Orbán noch vor wenigen Wochen mit empfindlichen Sanktionen gedroht hatte. In Ungarn gebe es »eine systemische Unfähigkeit«, die europäischen Regeln »für das öffentliche Beschaffungswesen« und zur »Vermeidung von Interessenkonflikten« anzuwenden, hatte EU-Kommissar Hahn Mitte Juli konstatiert. Von einem umfassenden »Risiko der Korruption« war die Rede.

Würden die Missstände nicht abgestellt, müsse die Kommission Ungarn einen erheblichen Teil der Mittel entziehen, hieß es in einem entsprechenden Schreiben an die Budapester Regierung. Zur Disposition stünden 70 Prozent der Gelder aus mehreren Programmen des sogenannten Kohäsionsfonds. Zudem dürften keine EU-Gelder mehr an solche öffentlichen Stiftungen fließen, die dem Einfluss Orbáns und seiner Seilschaft zuzurechnen seien. Experten schätzen, dass sich die Einschnitte in den nächsten Jahren auf einen hohen einstelligen Milliardenbetrag summieren würden.

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Dass es so weit kommt, ist inzwischen fraglich. Das Schreiben habe »in Budapest einiges in Bewegung gebracht«, heißt es neuerdings in der Kommission. Die Orbán-Regierung, die bislang jede Kritik an ihrem Rechtsstaatsverständnis zurückgewiesen hatte, signalisiere neuerdings Veränderungsbereitschaft. Einen neuen unabhängigen Rechnungshof für EU-Fonds hat die Regierung bereits eingerichtet sowie neue Regeln für die Vergabe öffentlicher Aufträge verabschiedet. Innerhalb eines Monats habe Budapest mehr als hundert Vorschläge nach Brüssel geschickt, behauptete Verhandlungsführerin Varga. Das Paket gehe auf »sämtliche Bedenken der Kommission ein«.

EU-Parlamentarier warnen vor »faulem Kompromiss«

Im EU-Parlament dagegen wird das Gefeilsche um den ungarischen Rechtsstaat mit großer Skepsis verfolgt. »Die EU-Kommission darf sich jetzt nicht von Scheinreformen blenden lassen«, warnt der grüne Haushaltsexperte Daniel Freund. »Orbán macht Vorschläge, die ihm weiter EU-Gelder sichern, ohne die systematische Korruption seiner Freunde und Familie wirklich zu beenden.« Wäre die EU-Kommission konsequent, hätte sie zudem von vornherein mehr Gelder stilllegen müssen, findet der EU-Abgeordnete. Zudem dürfe Brüssel nicht davor zurückschrecken, unrechtmäßig verwendete Mittel aus den vergangenen Jahren zurückzufordern.

In Brüssel wird in den nächsten Wochen weiterverhandelt. Bis zum 21. September muss die Kommission entscheiden, ob sie das Verfahren gegen Orbán weiterführt, und wenn ja, wie viel Geld sie einfrieren will. Anschließend muss sie ihren Vorschlag dem Rat der Mitgliedstaaten vorlegen. Dass die EU ihr Rechtsstaatsverfahren gegen Orbán einstellt, ist eher unwahrscheinlich, aber nicht völlig ausgeschlossen.


Mehr zum Thema

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will den Konflikt mit Orbán offenkundig entschärfen. Zum einen, um die europäischen Reihen angesichts des Ukrainekriegs zu schließen. Aber womöglich auch, um es sich mit Orbán nicht völlig zu verderben, wenn sie für eine weitere Amtszeit kandidieren will. Im EU-Parlament indessen wächst der Druck. Von der Leyen, warnt Grünenpolitiker Freund, dürfe jetzt »keine faulen Kompromisse machen«.


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