Same procedure – die Queen muss schon wieder eine Neue benennen
Heute wird die Queen die vormalige britische Außenministerin Liz Truss zur neuen britischen Premierministerin ernennen. Dies gilt zwar als rein formaler Akt, doch je häufiger die Regierungschefs wechseln (Truss ist die vierte Führungsfigur an der Regierungsspitze innerhalb von sechs Jahren), je länger die Königin wiederum amtiert (seit 70 Jahren), desto bedeutsamer wird er: Wer hätte gedacht, dass es inzwischen eine Monarchin braucht, um die eigentlich sturmerprobte Demokratie zusammenzuhalten?
Truss, Außenministerin von Großbritannien, sprach gestern im Queen Elizabeth II Centre, nachdem sie zur neuen Parteivorsitzenden der Konservativen und nächsten Premierministerin gewählt worden war
Foto: Stefan Rousseau / dpa
Die Queen hat bereits insgesamt 14 Premierminister und -ministerinnen ernannt, immer im Buckingham Palast in London. Die Nummer 15 aber muss sich nun ins Schloss Balmoral in Schottland begeben. Die Königin verbringt dort ihre Sommerferien und gedenkt sie – ob aus gesundheitlichen Gründen oder Verdruss am Londoner Polittheater – nicht zu unterbrechen.
Die Begegnung mit Truss könnte die Queen zu Ermahnungen nutzen. Anlass dazu hätte sie. Und folgt man einer gewissen Netflix-Serie, hat sie Ähnliches in der Vergangenheit auch schon getan.
Vielleicht ist es abwegig, in einem politischen Morning Briefing die halbfiktive (und Freunden der Fakten deswegen zu Recht suspekte) Serie »The Crown« zu empfehlen. Ich tue es trotzdem, mit gutem Gewissen, denn die meisten Folgen haben einen politischen Hintergrund: Da ist der Kampf der Kolonisierten gegen die weiße Macht, da ist Churchills Stolz, da ist Thatchers Kälte.
Hauptdarstellerin Claire Foy spielt die junge Queen als ernsthafte Frau, die um die Grenzen ihrer Bildung und Fähigkeiten weiß und trotzdem alles tut, damit die Krone, die sie verkörpert, Glanz und Würde ausstrahlt. Wenn die Krone es erfordert, maßregelt die junge Queen auch ihre viel älteren Premierminister.
Schauspielerin Foy als Königin Elizabeth und Matt Smith als Prinz Philip von Großbritannien in einer Szene der Netflix-Serie »The Crown« (2. Staffel)
Foto: DPA/ Netflix
Staffel 2, Folge 3 spielt Anfang 1957. Premierminister Anthony Eden hat in der Sueskrise ein derartiges Chaos angerichtet, dass er vom eigenen Kabinett und maßgeblich von seinem Schatzkanzler Harold Macmillan (einem Mitverursacher des Chaos) zum Rücktritt gedrängt wird. Macmillan tritt seine Nachfolge an und erscheint zur ersten Audienz bei der Queen. Sie verläuft für ihn unangenehm. Für die schlimme Lage, in der sich das Land nun befinde, sei er ebenso verantwortlich wie sein Vorgänger, sagt sie zu ihm: »Man sollte immer den eigenen Anteil am Geschehen akzeptieren – auch am Chaos.«
Willkommen in der Realität und Aktualität Großbritanniens: Für das Chaos von Johnsons Regierungszeit ist die neue Premierministerin, die sich aus reinem Opportunismus von der Brexit-Skeptikerin zu einer leidenschaftlichen Befürworterin wandelte, in hohem Maße mitverantwortlich.
Was die »Montagsdemonstrationen« für den Dienstag bedeuten
Die Demonstrationen gestern Abend in Leipzig sollten den Start in einen »heißen Herbst« markieren, so hatte es sich die Bundestagsfraktion der Linken erhofft: ein »heißer Herbst gegen soziale Kälte«.
Auch die Rechtsextremen werben seit Wochen für vermehrte Proteste gegen die Energiepolitik der Bundesrepublik. Meine Kollegin Ann-Katrin Müller war gestern in Leipzig dabei. Als ich sie spätabends nach ihren Eindrücken fragte, schrieb sie mir: »Der ›heiße Herbst‹ ist eher lauwarm gestartet. Die vor allem von rechts erhoffte Querfront gab es nicht – was vor allem den Linken zu verdanken war, die sich explizit gegen die Rechtsextremisten positionierten.«
Möglicherweise hat das am Sonntag vorgestellte Entlastungspaket der Bundesregierung die Wut mancher, die eigentlich auf die Straße hatten gehen wollen, gemildert. Es ist aber genauso gut möglich, dass die Kritik, die wegen der Entlastungsmaßnamen von allen möglichen Seiten auf die Bundesregierung einprasselte – von einigen Sozialverbänden bis zu Vertretern der Industrie – den Kritikern, die auf die Straße strebten, den Wind aus den Segeln nahm.
Wohin man sieht, was auch immer verkündet wird – Gegenmeinungen, und zwar laute, gibt es zurzeit überall. Als Robert Habeck gestern beschloss, dass zwei deutsche Atomkraftwerke bis Mitte April 2023 als Reserve zur Verfügung stehen sollen, bezweifelten die einen, ob er den versprochenen Atomausstieg ernst genug nimmt. Die anderen warfen ihm vor, es sei fahrlässig, Atomenergie lediglich als Reserve vorzuhalten. Vorhaltungen kamen nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus der Koalition, aus den eigenen Reihen.
Es sind schwierige Zeiten, da gibt es nichts schönzureden. Aber die eine Sorge, dass politische Debatten von einem Mainstream erstickt würden, dürfte zurzeit nicht zu den dringlichsten gehören.
Ob es deswegen auf den Straßen ruhig bleibt, ist nicht gesagt. Aber eine gewisse Logik hätte es, dass bei so viel innerparlamentarischer Opposition die außerparlamentarische leiser würde.
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Planet auf Diät?
Heute wird in Berlin eine Studie vorgestellt, die das Öko-Institut im Auftrag von Greenpeace erstellt hat. Interessante Fragestellung: Welche Auswirkungen es auf die Landwirtschaft hätte, wenn sich die deutsche Bevölkerung nach dem Vorbild der Planetary Health Diet ernähren würde?
Die Planetary Health Diet wird liebevoll (und durchaus großspurig) auch »Speiseplan zur Weltrettung« genannt. Die Empfehlung lautet, sich vor allem pflanzlich zu ernähren und nur in Maßen tierische Produkte zu sich zu nehmen.
Es ist erstaunlich, dass sich inzwischen selbst einstige Profiteure des Junkfoods zu Propheten eines gesünderen Lebensstils gewandelt haben. Ein Beispiel dieser Spezies ist der Manager Olaf Koch, der einmal Chef des Metro-Konzerns war und als solcher von der Fertigsoße bis zum Steak alles vermarktete, was die Lebensmittelindustrie hergab.
Koch als Finanzvorstand der Metro Group
Foto: Rolf Vennenbernd/ dpa
Nun sammelt er Investorengelder für Start-ups in der Lebensmittelbranche und hält es für realistisch, dass es binnen zwei Jahren Laborfleisch im Supermarkt geben wird. Sich vor allem pflanzlich zu ernähren, sei nichtsdestotrotz »ein irreversibler Trend«, sagt Koch in einem SPIEGEL-Gespräch, das meine Kollegen Markus Brauck und Maria Marquart geführt haben.
Für die Weltrettung wird es nicht ausreichen, aber gesund ist die Pflanzenkost allemal. Und profitieren würde der Planet durchaus, wenn sich ein größerer Anteil seiner Bewohnerinnen und Bewohner selbst auf Diät setzte. Freudlos muss es dabei nicht zugehen. Der Veggieburger in der SPIEGEL-Kantine schmeckt wirklich gut.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Susanne Beyer