1. Wer zahlt die Gasrechnung?
»Wer noch keine Post hat, bekommt sie demnächst. Das ist unvermeidbar.« Es klingt fast nach einer Drohung, was E.on-Chef Leonhard Birnbaum meiner Kollegin Isabell Hülsen und meinem Kollegen Benedikt Müller-Arnold über die Preiserhöhungen auf dem Energiemarkt sagt. Aber es ist wahrscheinlich eine realistische Einschätzung: E.on versorgt 14 Millionen Kunden in Deutschland, davon 1,5 Millionen mit Gas. Noch steige die Zahl derer nicht, die ihre Rechnungen nicht zahlen könnten. Doch schon jetzt würden mehr und mehr Kunden von sich aus bei dem Konzern anrufen und fragen: Was kommt da auf mich zu? »Die sind sensibilisiert«, sagt Birnbaum . »Man könnte auch sagen: Sie haben Angst«, erwidern Isabell und Benedikt.
Mit Isar 2 betreibt E.on auch eines der letzten drei aktiven Atomkraftwerke der Republik. Umso gespannter waren meine Kollegen vor dem Gespräch im E.on-Hochhaus in Essen, wie viel Birnbaum zu einem möglichen Streckbetrieb des Meilers sagen würde. Wird er abblocken: kein Kommentar, bevor die Politik entschieden hat? Weit gefehlt! Birnbaum erklärte ausführlich, warum die drei Kernkraftwerke den angespannten Strommarkt seiner Ansicht nach entspannen könnten – und welche Vorbereitungen E.on für einen möglichen Streckbetrieb noch treffen müsste.
Auf welche Entlastungen die Leute hoffen können, die demnächst Post von E.on oder anderen Versorgern bekommen, entscheidet sich womöglich an diesem Wochenende. Am Samstag will der Koalitionsausschuss darüber beraten. Sollten sich SPD, Grüne und FDP nicht bald auf Ergebnisse einigen, wird die Ampel vielleicht keine Säumniszuschläge zahlen, aber einen Vertrauensabschlag hinnehmen müssen. (Hier lesen Sie, was die SPD jetzt vom Kanzler erwartet )
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Und hier lesen Sie das ganze Gespräch mit dem E.on-Chef: Drehen Sie säumigen Kunden den Hahn ab, Herr Birnbaum?
2. Wer steckt hinter #BaerbockRuecktritt?
Es gibt überraschende Nachrichten. Meine Heimatstadt Berlin zum Beispiel hat fast ein Jahr nach dem Wahlchaos in der Hauptstadt tatsächlich einen neuen Landeswahlleiter gefunden. Zugegeben, es scheint auch kein attraktiver Job zu sein. Ein Insider aus der Berliner Verwaltung sagt: »Finden Sie mal jemanden für lau, der sich prügeln lassen muss.« (Hier mehr.)
Fast ebenso überraschend: Joe Biden hat eine kämpferische Rede gehalten, für seine Verhältnisse eine gelungene, kraftvolle Rede. Mit eindringlichen Worten warnte der US-Präsident vor dem Niedergang der Demokratie in seinem Land – und machte seinen Amtsvorgänger Donald Trump und die »Maga«-Republikaner als Bedrohung aus (hier Szenen im Video).
Weniger überraschend: Die Empörung über Außenministerin Annalena Baerbock nach Aussagen bei einer Podiumsdiskussion wird befeuert von kremlnahen Accounts. Aber wie gezielt die Empörungsschleifen eingesetzt und angeheizt werden, ist dann doch beeindruckend. Meine Kollegin Ann-Katrin Müller zeichnet nach, wie ein kurzes Video dazu führt, dass die Empörung von einem sozialen Netzwerk ins nächste schwappt, wie Zeitungen aufspringen und Politiker von der AfD und Linken einsteigen und wie der Hashtag #BaerbockRuecktritt trendet. »Mit dem Video war eine russische Desinformationskampagne erfolgreich«, berichtet Ann-Katrin. »Denn der kurze Ausschnitt wurde zuerst von einem kremlnahen Account gepostet – sinnentstellend zusammengeschnitten.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Kampagne gegen Baerbock von kremlnahen Accounts gestartet und befeuert
Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
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»Mein Team bleibt hier«: Munitionsreste liegen auf dem Gelände des russisch besetzen Atomkraftwerks Saporischschja: Der Einsatz der Experten der Internationalen Atomenergiebehörde ist gefährlich. Trotzdem wollen sie länger bleiben.
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Russland wird Putin vergessen – Gorbatschow nicht: Die russische Bevölkerung hat ihrem einstigen Führer den Untergang der Sowjetunion nicht verziehen. Aber künftige Generationen werden in Michail Gorbatschow einen Helden sehen, Putins Sieg über ihn ist nur vorübergehend .
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Ein mutmaßlicher Fenstersturz – und andere mysteriöse Todesfälle russischer Topmanager: Lukoil-Chef Rawil Maganow ist auf ungeklärte Weise ums Leben gekommen, so wie eine Reihe einflussreicher russischer Unternehmer. Die Erklärungsversuche des Kreml klingen oft wenig glaubwürdig.
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Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update
3. Nachhall des Terrors
Anfang kommender Woche jähren sich Ereignisse zum 50. Mal, die im internationalen Sprachgebrauch oft »Munich Massacre« heißen. Die Deutschen verwenden meist lieber die distanziertere Formel vom »Olympia-Attentat«. Denn die Spiele 1972 in München sollten ein fröhliches Fest werden, ein neues, friedliches Deutschland wollte sich der Welt präsentieren, doch die Heiterkeit endete in einer Tragödie.
Palästinensische Terroristen nahmen elf israelische Sportler und Betreuer im olympischen Dorf gefangen, am Ende einer dilettantischen Befreiungsaktion waren alle Geiseln tot. Meine Kollegin Anne Armbrecht hat zusammen mit meinen Kollegen Peter Ahrens und Guido Mingels die Geschehnisse von damals rekonstruiert. Anne besuchte Überlebende und Angehörige der Opfer in Israel, unter anderem die Witwe Ankie Spitzer in Tel Aviv, die seit 50 Jahren um das Andenken der Ermordeten kämpft. »Während man sich in Deutschland am liebsten nur an die ›heiteren Spiele‹ erinnern möchte, haben sie und die anderen Familien das Trauma nie wirklich überwinden können«, sagt Anne. »Auch weil es bisher keine echte Aufarbeitung gab.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: 50 Jahre deutsches Versagen
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Ölpreisdeckel soll Inflation bremsen: Die G7-Finanzminister wollen die Preise für russisches Öl kappen – damit Moskau weniger Geld für den Krieg gegen die Ukraine bleibt und die Inflation im Westen nicht mehr weiter steigt.
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Gericht in Myanmar verurteilt Aung San Suu Kyi zu drei Jahren Haft: Die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi wurde in Myanmar offenbar des Wahlbetrugs für schuldig befunden. Auch die ehemalige britische Botschafterin erhielt eine Freiheitsstrafe.
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Treibhausgaswerte auf Rekordhöhe: Der Kohlendioxidgehalt in der Luft steigt unaufhaltsam und mit ihm die globalen Temperaturen, zeigt der Jahresbericht der US-Ozeanbehörde NOAA. Auch die Menge des extrem starken Klimagases Methan nimmt zu.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Freibier für alle: Krise? Welche Krise? Mein Kollege Alexander Neubacher kann nicht klagen, Christian Lindner überhäuft ihn mit Geschenken. »Weiß die Regierung nicht, wohin mit ihrem Geld?«, fragt unser Kolumnist .
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»Nur noch ein bisschen, dann darfst du nach Hause gehen«: Ulrich Seidl gilt als Starregisseur des deutschsprachigen Kinos. In seinem neuen Film geht es auch um Pädophilie. SPIEGEL-Recherchen zeigen: Am Set wurden rumänische Kinder offenbar Gewalt und Nacktheit ausgesetzt .
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Seine Träume, seine Fehler, seine Schwächen: Mehr als 30 Jahre lang hat Christian Neef Michail Gorbatschows Weg begleitet. Kaum eine Person hat die Weltgeschichte so geprägt. Doch seine Politik des Zauderns begünstigte auch das System Putin. Die SPIEGEL-Titelstory .
Was heute weniger wichtig ist
Liebe geht durch den Magen: Schauspielerin und Sängerin Jennifer Lopez, 53, hat weitere Details ihrer Hochzeit mit Ben Affleck, 50, mit ihren Fans geteilt. Vor der Zeremonie habe es einige Hindernisse gegeben, schreibt sie in der jüngsten Ausgabe ihres »On the JLo«-Newsletters, darunter auch gesundheitliche: »Wir hatten uns alle ein Magen-Darm-Virus eingefangen, von dem wir uns bis Ende der Woche erholten.«
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Rundgang über die Reperbahn – ›Der Kiez muss leuchten‹«
Cartoon des Tages: Energie
Chappatte
Und am Wochenende?
»Die Ringe der Macht« auf Amazon Prime: Werden Sie zum Orkaholic?
Foto:
Matt Grace / Amazon Prime Video
Könnten, nein, werden Sie die erste Doppelfolge der neuen Tolkien-Serie »Ringe der Macht« gucken, oder? Heute ist sie gestartet, hier noch einmal alles, was Sie dazu wissen müssen:
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Die erste Rezension: Welcome back in Mittelerde
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Fakten für Fans: Elben, Orks, aber was ist mit Hobbits?
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Seifenoper-Alarm: Zwei blutige Außenseiter drehen die teuerste Serie aller Zeiten
Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende. Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp
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