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News des Tages: Kabinettsklausur, Ukraine-Krieg, Übergewinnsteuer

1. Robert Habeck: Filmreif im Auftritt, aber ahnungslos in der Sache?

Ab morgen geht die Ampelregierung für zwei Tage in Klausur, um ihre Konflikte aufzuarbeiten und sich doch noch auf eine gemeinsame Linie für die nächsten Monate zu verständigen. Eine Art Gruppentherapie mit Stuhlkreis im Barockschloss Meseberg, unter feinfühliger Moderation des Bundeskanzlers. Tatsächlich hat sich einiges aufgestaut. Die Rolle des Watschenmanns ist Robert Habeck zugedacht, der nach weitverbreiteter Ansicht von SPD und FDP vielleicht die besten Reden aller Kabinettsmitglieder hält, aber die Gasumlage versemmelt und auch sonst nicht viel Zählbares gegen die Energiekrise zustande gebracht hat. Tenor: Es wäre besser, wenn kleiner Häuptling Silberzunge nicht nur reden, sondern auch handeln würde. »Am Ende zählen in der Politik nicht nur schöne Worte«, hatte SPD-Chef Lars Klingbeil »Zeit Online« gesagt. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese bescheinigte Habeck »filmreife Auftritte« , aber eine handwerklich »bedenkliche Umsetzung«.

Ein Teil der Kritik an Habeck kann man getrost als Neid der Besitzarmen ansehen. Bei der Gasumlage ist die Kritik aber berechtigt. Dass sie so kommen wird, wie von Habeck zunächst vorgeschlagen, nämlich mit Extra-Subventionen für Unternehmen, die es nicht nötig haben, ist so gut wie ausgeschlossen. Habeck selbst sagte heute zerknirscht, er wolle diese Unternehmen »vom Trittbrett runterschubsen«.

Und Habeck hat nicht nur ein Wärme-, sondern auch ein Stromproblem. Hier ist der Preis zuletzt ähnlich schwindelerregend angestiegen wie beim Gas. Dabei hatte der Energieminister seit Monaten beteuert, es gebe gar kein Stromproblem, weshalb der Streit um eine Laufzeitverlängerung der verbliebenen drei deutschen Atomkraftwerke eine Geisterdebatte sei. Was für ein Irrtum.

Über die Strom- und die damit verbundene Atomfrage wird in den nächsten zwei Tagen bei der Klausur ebenfalls zu reden sein. Gut möglich, dass Habeck auch hier eine Niederlage kassiert und den Betrieb der Atommeiler strecken muss. Als Grüner, ausgerechnet. Andererseits hat er bereits alte Öl- und Braunkohlekraftwerke wieder hochfahren lassen, Klimaschutz hin oder her. Ich bin schon auf seine Rede gespannt.

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2. Die Ukraine schlägt zurück

Im Süden der Ukraine haben ukrainische Truppen offenbar mit einer Gegenoffensive begonnen. Kiew meldete einen Frontdurchbruch. Die Offensive gehe in verschiedene Richtungen inklusive der Region um die Großstadt Cherson, so die Nachrichtenagentur Reuters. Die Zivilbevölkerung wurde aufgerufen, die umkämpften Gebiete zu verlassen.

Der Vormarsch war seit Wochen erwartet worden. Präsident Wolodymyr Selenskyi hat die Befreiung Chersons zum »Schlüsselziel« erklärte. Mein Kollege Alexander Sarovic war vor einigen Tagen vor Ort und berichtete , wie ukrainische Soldaten strategisch wichtige Positionen einnahmen.

Alexander schrieb: »Die Bedeutung dieser Gegenoffensive ist kaum zu überschätzen – es geht nicht nur um die wirtschaftliche Zukunft der Ukraine, sondern auch um die öffentliche Meinung im Westen. Denn wenn die ukrainische Armee die Gebiete westlich des Dnjepr zurückerlangt, dann hätten die westlichen Partnerstaaten guten Grund, ihre Militärhilfe langfristig aufrechtzuerhalten und auszubauen. Scheitert die Offensive hingegen, dürften in Europa die Rufe der Beschwichtiger lauter werden, die eine Einstellung der Waffenlieferungen fordern.«

Aus Prag kam dazu heute die Nachricht, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und sein tschechischer Amtskollegen Petr Fiala einen geplanten Waffen-Ringtausch unter Dach und Fach gebracht haben. Tschechien gab T72-alte Kampfpanzer an die Ukraine ab. Dafür erhält es von Deutschland 14 Leopard-Panzer und einen Bergepanzer Büffel.

Eine gute Nachricht. Allerdings frage ich mich, ob es nicht besser wäre, die deutschen Leopard-Panzer ebenfalls zur Unterstützung in die Ukraine zu schicken, wo sich gerade die Zukunft Europas entscheidet.

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Internationale Atomaufsicht auf dem Weg zum AKW Saporischschja: Angesichts der Kämpfe um das von russischen Truppen besetzte AKW Saporischschja wächst die Sorge vor einer Atomkatastrophe. Nun kann ein unabhängiges Expertenteam die Lage vor Ort überprüfen.

  • Kanzler Scholz will Ukraine »so lange wie nötig« unterstützen: Olaf Scholz hat der Ukraine weitere Waffenlieferungen und militärische Hilfe in Aussicht gestellt. Der Bundeskanzler sprach sich in Prag zudem für ein gemeinsames europäisches Luftverteidigungssystem aus.

  • »Putin missbraucht das Völkerrecht« Wen scheren Paragrafen, wenn Bomben fallen? Der Jurist Andreas Paulus ist davon überzeugt, dass es ohne Recht keinen Frieden geben wird – und dass sich auch die Ukraine an Regeln halten muss .

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

3. Übergewinne besteuern – warum nicht auch in Deutschland?

In jeder Krise gibt es neben vielen Verlierern auch einige Profiteure: bei Corona die Impfstoffhersteller, beim Lockdown die Versandhändler, beim Krieg die Waffenproduzenten. Und nun in der Energiekrise sind einige Energiekonzerne die großen Gewinner, von Shell über Chevron bis zum Gasexportland Norwegen. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin profitiert perverserweise davon, dass der von ihm angezettelte Krieg den Weltmarktpreis für Öl und Gas in die Höhe treibt.

An Putins Krisenprofite kommt die Bundesregierung leider nicht heran. Doch es mehren sich Stimmen aus der Politik, wonach sogenannte Übergewinne von Unternehmen in Deutschland besteuert werden sollten. Mit dem Geld könnten die Leidtragenden der Krise dann entlastet werden. Nach Grünen-Chefin Ricarda Lang hat am Wochenende auch SPD-Chef Lars Klingbeil eine entsprechende Forderung erhoben, er sprach von »Zufallsgewinnen«.

Doch woher soll man wissen, welcher Gewinn »zufällig« und damit unverdient ist? Gehört der Milliardengewinn von Biontech dazu, deren Impfstoff viele Menschenleben gerettet hat? Oder der Profit von Krauss-Maffei Wegmann, obwohl wir doch eigentlich froh sein müssten, dass dort wohl Überstunden gekloppt werden, um endlich die Bundeswehr mit brauchbaren Panzern auszustatten?

Ein Team aus unserem Wirtschaftsressort hat sich umgehört , wie andere EU-Staaten mit den Krisenprofiten umgehen. Beispiel Italien: Hier erhebt der Staat in diesem Jahr einmalig eine Steuer bei Herstellern, Importeuren und Händlern von Strom, Gas und Erdölerzeugnissen. Die Steuer setzt nicht beim Gewinn, sondern beim Umsatz an. Hat sich Saldo von Ausgangs- und Eingangsumsätzen zwischen Anfang Oktober 2021 und Ende März 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum erhöht, so wird diese Steigerung besteuert. Die möglichen Mehreinnahmen für den Staat werden auf bis zu elf Milliarden Euro geschätzt.

In Spanien zielt die Regierung auf Kraftwerksbetreiber an, die ihren Strom mit Atom- oder Wasserkraftproduzieren. Schließlich sind ihre Kosten nahezu gleichgeblieben, ihre Gewinne jedoch förmlich explodiert. Außerdem will Spanien die Banken extra zur Kasse bitten, was freilich dazu geführt hat, dass sich Spaniens Zentralbankchef jetzt um die Stabilität einiger Finanzinstitute sorgt. Rumänien, Griechenland, Großbritannien und Ungarn haben ebenfalls Maßnahmen eingeführt, um Übergewinne abschöpfen.

Man sieht: So verlocken die Übergewinne sind, so schwer kommt man an sie heran. Die meisten Länder erheben daher keine Übergewinnsteuer im herkömmlichen Sinne, wie es sie etwa während der Weltkriege in den USA und Großbritannien gab. Zu erkennen ist aber auch, dass Warnungen vor einem »Ende der sozialen Marktwirtschaft« (FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai) reichlich übertrieben sind.

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Podcast Cover


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Was heute sonst noch wichtig ist

  • Lauterbach kündigt angepassten Impfstoff für 5. September an: Deutschland soll im September rund 12,4 Millionen Dosen eines neuen Impfstoffs bekommen, der besser vor vorherrschenden Varianten schützt. Gesundheitsminister Lauterbach ruft Risikogruppen auf, mit der Impfung nicht länger zu warten.

  • »Massive Einschnitte« bei Schulbussen möglich: Der Betrieb von Bussen wird in der Energiekrise immer teurer, auch das 9-Euro-Ticket war für viele Busunternehmen problematisch. Nun schlagen sie Alarm.

  • Nasa verschiebt Start der »Artemis«-Mondmission: Die neue US-Mondrakete kann zunächst nicht wie geplant zu ihrem Jungfernflug abheben, ein Triebwerk macht den Missionsplanern Sorgen. Der Termin für den nächsten Versuch steht aber schon fest.

Mein Lieblingsbeitrag heute: Der Sturm auf den Reichstag

Polizist Karsten Bonack


Foto:

SPIEGEL TV


Heute vor zwei Jahren spielten sich am Reichstagsgebäude in Berlin schockierende Szenen ab. Mehrere Hundert Rechtsradikale, Reichsbürger und selbsternannte Querdenker rannten nach einer Demo die Treppenstufen hinauf, schwenkten Fahnen und schrien »Widerstand«. Die Ordnungskräfte waren darauf nicht vorbereitet. Nur einer Handvoll Polizisten war es zu verdanken, dass der Mob gestoppt wurde, bevor er in Parlament eindringen konnten.

Wie konnte es so weit kommen? Mein Kollege Adrian Altmayer von SPIEGEL TV hat den Sturm auf den Reichstag minutiös rekonstruiert. Man sieht in seinem Film, wie Tausende Demonstranten erst durchs Regierungsviertel ziehen, wie Redner die Menge aufputschen, wie die Polizei mit viel zu wenig Einsatzkräften den weiteren Zustrom der Menschen Richtung Reichstag stoppt und dabei übersieht, was sich hinter ihrem Rücken auf der Reichstagswiese zusammenbraut.

Es gibt erstmals ein TV-Interview mit Hauptkommissar Karsten Bonack, der auf den obersten Stufen der Reichstagtreppe beinahe alleine die Stellung halten musste, bevor endlich Verstärkung kam. Und man lernt einige der Rädelsführer kennen, etwa den Rechtsextremen Nikolai Nerling, der erst bei einer Rede den Holocaust bestritt und dann mit einer Videokamera die Treppe hinaufrannte.

Nerling wurde letzte Woche wegen Volksverhetzung und Beleidigung verurteilt. Immerhin.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Muss der Staat in sechs Jahren alle Autos mit Verbrennungsmotor stilllegen? Tempolimit, Dienstwagenreform, neues Billigticket – die FDP und ihr zuständiger Minister lehnen fast alle Klimamaßnahmen im Verkehr ab. Umwelthilfe-Anwalt Remo Klinger sagt: Dann muss die Regierung eben gezwungen werden .

  • Die Einzelkämpferin: Sie hat die entschiedene Reaktion auf Putins Angriffskrieg organisiert, die EU geeint. Doch nun wirkt Ursula von der Leyen erschöpft, sie rutscht in alte Fehler zurück. In Brüssel wächst der Unmut über ihre Alleingänge .

  • Fettes Boot: Sie heißen »Eclipse« oder »Prince Abdul Aziz«: Wenn Milliardäre Schiffe in Auftrag geben, wird geklotzt und geprotzt, wie ein aktuelles Ranking zeigt. Eines wird sie bald alle übertreffen .


Was heute weniger wichtig ist

Imitator: Matthias Schweighöfer, 41 ist für einen Film über das Pop-Duo Milli Vanilli in die Rolle des legendären Musikproduzenten Frank Fahrian geschlüpft. Offenbar mit Bravour, wie Fahrian der »Bild am Sonntag« sagte: »Ich kannte Matthias Schweighöfer vorher nur flüchtig vom Namen. Aber er erfüllt letztendlich alle Kriterien, die mir wichtig sind.« Ausschlaggebend sei aber das Urteil seiner Frau Angie gewesen, die gemeint habe, Schweighöfer sehe ihrem Mann zum Verwechseln ähnlich. Milli Vanilli machten in den 1980ern von Deutschland aus eine Weltkarriere, bis herauskam, dass die vermeintlichen Interpreten keinen Ton selbst gesungen hatten. Der Film (»Girl You Know It’s True«) soll nächstes Jahr in die Kinos kommen, Regie führt Simon Verhoven (»Männerherzen«).

Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Der einflussreiche Kleriker Muktada Al-Sadr hat am Montag angekündigt, sich binnen vollständig von der irakischen Politik verabschieden zu wollen.

Cartoon des Tages: Schifffahrt



Illustration: Klaus Stuttmann


Und heute Abend?

Das neue Album von Taylor Swift ist noch nicht erschienen, da hat es auch schon den ersten Preis: eingeheimst. Für das Video zum Song »All Too Well« gab es am Wochenende einen MTV Music Award. Mit einer Länge von fast 15 Minuten handelt es sich eher um einen Kurzfilm als um einen Videoclip. Es geht los mit einem Zitat von Pablo Neruda (»Liebe ist so kurz, Vergessen so lang«), dann sieht man ein bezauberndes junges Paar, große Liebe, der erste Streit, Versöhnung, wieder Streit, Trennung, Trauer, Verzweiflung. Und 13 Jahre später ein melancholischer Blick zurück, denn aus der jungen Frau vom Anfang ist inzwischen Taylor Swift geworden, allerdings nicht als Musikerin, sondern als Romanautorin. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Aber in Verbindung mit dem Song hat der Film durchaus seine Wirkung; hier können Sie ihn sehen .

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Ihr Alexander Neubacher

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