Mit den ungebremst steigenden Energiepreisen und den dadurch wachsenden Belastungen für Verbraucher und die Industrie werden Forderungen nach einer raschen Reform des Strommarktes lauter. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sprach sich in diesem Zusammenhang für »ein schnelles und konsequentes Einschreiten des Staates« aus.
Bei einem Auftritt in Hannover sagte Weil, der am 9. Oktober bei der Landtagswahl in Niedersachsen sein Amt als Ministerpräsident verteidigen will, dass bei Strom – anders als beim Gas – die verfügbare Energie mit Ausnahme außergewöhnlich hoher Exporte nach Frankreich nicht geringer sei als in den Vorjahren. »Allem Anschein nach handelt es sich deswegen vor allem auch um riesige Spekulationsgewinne, die derzeit eingefahren werden«, so der SPD-Politiker.
Weil zufolge passen die Regeln der Strombörse nicht zur aktuellen Lage. Nicht die günstigsten Anbieter bestimmten den Preis, sondern die höchsten akzeptierten Angebote (»Merit-Order«). Wenn eine kurzfristige Änderung wegen der europaweiten Diskussion nicht möglich sei, kommen aus Sicht von Weil auch ein Aussetzen des Stromhandels und eine vorübergehende staatliche Preisregulierung in Betracht.
In einem am Samstag erschienenen Interview in der »Frankfurter Rundschau« sagte Weil mit Blick auf eine finanzielle Entlastung der Bürger: »Primär geht es darum, soziale Notlagen abzuwenden, aber es geht auch darum, das Vertrauen in unser Gemeinwesen nicht zu schwächen, sondern zu stärken.«
Niedersachsens Ministerpräsident zufolge habe Deutschland gute Erfahrungen gemacht mit einem aktiven Staat, der in der Krise interveniert. »Wir haben in der Bankenkrise die Banken gerettet, wir haben in der Pandemie Wirtschaftsunternehmen gerettet – das war in beiden Fällen komplett richtig«, so Weil. »Deswegen mag ich mir nicht vorstellen, dass der Staat dann, wenn sich in Deutschland Millionen Menschen existenzielle Sorgen machen, nicht alles tut, was möglich ist, um diesen Menschen zu helfen.«
Weil schlägt vor, für zwei Jahre strukturell dafür zu sorgen, »dass alle diejenigen, die kaum auskommen mit ihrem Geld, nachts ruhig schlafen können.« Dazu gehört laut Weil eine umfassende Wohngeldreform.
Einen Weiterbetrieb des Kernkraftwerks Emsland im niedersächsischen Lingen, das regulär nur noch bis zum 31. Dezember läuft, sieht Weil indes skeptisch. Der »Frankfurter Rundschau« sagte er: »Wir werden den Stresstest der Bundesregierung abwarten müssen, es gibt aber eine Menge objektiver Gründe, den Betrieb dann einzustellen.« So seien etwa die Brennstäbe im AKW in Lingen »so gut wie ausgebrannt«. Da sei einfach nichts mehr »rauszuquetschen«, so Weil.
Niedersachsen gehe jedoch bundesweit voran, um LNG-Strukturen zu etablieren, die eine Energieunabhängigkeit von Russland ermöglichen, so Weil. »Wir tun das übrigens so, dass unsere Häfen in Wilhelmshaven und Stade gleichzeitig Wasserstoffimporte aufnehmen können. Da sind wir deutschlandweit führend.«