Zwei Supernasen tragen Maske
Wenn Sie diese Morgenlage lesen, wird der Bundeskanzler wohl schon wieder auf deutschem Boden sein. Gegen 6.30 Uhr werden Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck am militärischen Teil des Berliner Flughafens landen, dann (mit oder ohne Maske) in ihre Dienstwagen steigen und vermutlich direkt ins Büro fahren. Um 9 Uhr treffen sich wie jeden Mittwoch die Ampel-Regierungsmitglieder zum Gedankenaustausch. Aus dieser verschwiegenen Runde dringt selten etwas heraus. Man ahnt aber, dass die Maskenpflicht diese Woche Thema sein könnte. Danach, um 11 Uhr, beginnt die eigentliche Kabinettssitzung, und da wird wahrscheinlich der Entwurf für ein neues Infektionsschutzgesetz verabschiedet, der eine Maskenpflicht für private Flugreisen vorsieht.
Scholz und Habeck in Toronto
Foto: Kay Nietfeld / dpa
Das Timing ist denkbar blöd für die Ampelregierung. Erst fliegen Kanzler und Wirtschaftsminister ohne Maske, dann beschließen sie gleich nach Landung die FFP2-Maskenpflicht im Flieger? Aber diesen Gesetzentwurf jetzt nicht durchzuwinken, käme einem Eklat gleich. Deshalb werden Änderungen wohl erst im parlamentarischen Verfahren vorgenommen, und FDP-Fraktionschef Christian Dürr hat schon gestern Abend auf SPIEGEL.de Redebedarf zum Thema angemeldet. Die heutige Pressekonferenz von Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Justizminister Marco Buschmann dürfte unterhaltsam werden. Ausgerechnet das Thema, bei dem sie sich in ihren Verhandlungen schnell einigen konnten, wird nun wieder aufgedröselt.
Ebenfalls heute stellt Christian Lindner seine Pläne im Kampf gegen Geldwäsche vor, über die SPIEGEL-Leserinnen und -Leser schon seit gestern bestens informiert sind . Geplant ist die Gründung einer neuen Aufsicht gegen Geldwäsche. Einige Lage-Leser sind erfreulicherweise dem gestrigen Appell gefolgt und haben Vorschläge eingereicht, wie die neue Behörde heißen könnte:
»BEST – Bundesministerium für die Erforschung und Spurensuche von Tarngeldern«, schlägt ein Leser vor, der anonym bleiben möchte.
»BSF – Bundesschmutzfangtuch« lautet die Idee von Norbert Clemens Wortmann.
Und Stefan Petereit ersann den Namen »Moneyhunters of the BMF«, mit der Erklärung: »Da erkennt man direkt, dass diese Aufgabe über nationale Grenzen hinausreicht. Und wenn schon, denn schon, ein Label, das vermarktungstechnisch greift, ist im Falle Lindner bestimmt keine schlechte Idee.« Der Mann scheint den Minister gut zu kennen.
Wie soll man im Krieg feiern?
Soldatinnen bereiten sich in Kiew auf die Teilnahme an einer Militärparade anlässlich des Unabhängigkeitstages vor
Foto: Felipe Dana/ dpa
Heute feiert die Ukraine ihren Nationalfeiertag, während ausgerechnet am selben Tag auch der russische Angriffskrieg gegen das Land sein sechsmonatiges Jubiläum vollendet. Und in New York wird heute der Uno-Sicherheitsrat zum Thema tagen. Es ist ein trauriger, trotziger Feiertag für die Ukraine – der Krieg bedroht noch immer die Existenz des Landes. Aber der Kampf ist noch nicht vorbei. Unsere Auslandsredaktion hat ein ganzes Paket interessanter und spannender Stücke für Sie vorbereitet.
Ich möchte Ihnen besonders einen Bericht unseres SPIEGEL-Reporters Thore Schröder ans Herz legen, der seit Kriegsbeginn immer wieder in der Ukraine arbeitet. Für heute hat er ein sehr persönliches Stück über seine Erfahrungen in dem Krieg geschrieben , den er seit einem halben Jahr beobachtet. In Borodjanka traf er einen Mann, dessen Kiosk von einem russischen Panzer zermalmt und dessen bester Freund von einer russischen Bombe getötet wurde. In Tschernihiw führte ihn ein Rentner in seine zerstörte Wohnung, in der er in einen Teppich gehüllt zwischen Scherben schlafen musste. In Winnyzja berichtete eine ältere Frau Schröder von den Schreien schwer verletzter Menschen, nachdem eine russische Rakete auf dem Platz vor ihrem Fenster eingeschlagen war.
»Mein Eindruck ist, dass es den Ukrainerinnen und Ukrainern zunächst Siegesgewissheit gegeben hat, dass sie den Angriff auf ihre Hauptstadt abwehren konnten«, schreibt Schröder. »Doch seitdem haben sie nicht mehr viel Grund, zuversichtlich zu sein.« Da hilft es wenig, dass Deutschland so viele Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen hat, dass Geld und Waffen geliefert wurden. Es ist bei Weitem nicht genug, finden viele Menschen, denen Thore in der Ukraine begegnete. Sie sind Deutschland nicht dankbar, sondern wütend.
Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
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Das geschah in der Nacht: Die Ukraine feiert ihre Unabhängigkeit, zugleich ist der Kriegsausbruch sechs Monate her. Präsident Selenskyj schickt eine klare Botschaft an Moskau. Washington droht dem Kreml: »Die Welt schaut zu.« Der Überblick.
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»Ich gehe mit Todesangst schlafen«: Soldaten auf Heimaturlaub, heulende Sirenen und Frauen, die Tarnnetze knüpfen: Die Autorin Yevgenia Belorusets beschreibt, wie die ukrainische Hauptstadt Kiew zwischen Normalität und Schrecken schwankt.
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Korrosionskrieg auf der Krim: Mit täglichen Nadelstichen versucht Kiew, die russischen Besatzer in der Ukraine zu zermürben – militärisch und psychologisch. Doch Putins Truppen könnten nun zur Vergeltung ausholen.
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Die wenig glaubhafte Version des russischen Geheimdienstes: Bei einer Trauerfeier verabschieden Hunderte Darja Dugina – Moskau macht die Ukraine für den Anschlag auf die Tochter eines radikalen Ideologen verantwortlich. Doch an der Darstellung des FSB gibt es erhebliche Zweifel.
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63 Bieter wollen festgesetzte Oligarchen-Jacht »Axioma« kaufen: 72 Meter lang, sechs Decks, zwei Pools ein Kino: In Gibraltar konnte die Jacht des russischen Oligarchen Dimitri Pumpianski ersteigert werden – und das Interesse war groß.
Wie plane ich einen Parteitag?
Heute tagt das Präsidium der CDU, und da kommt die Frage auf, was die Partei eigentlich so macht. Es ist verdächtig ruhig. Sind alle noch im Urlaub? Bereiten sie den Parteitag am 9. und 10. September in Hannover vor? Kurioserweise liegt dieser Termin in einer Sitzungswoche des Bundestags, noch dazu einer Haushaltswoche, wo es politisch wirklich ans Eingemachte geht.
Der Parteitag beginnt am Freitag, 13 Uhr – bedeutet das also, dass spätestens ab Vormittag im Berliner Plenum keine CDU-Leute mehr sitzen? Muss CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dann doppelt so lang reden? Und was, wenn die AfD ihren Lieblingstrick zieht und die Beschlussfähigkeit des Bundestags anzweifelt?
Und wann werden in diesem ambitionierten Zeitplan von Generalsekretär Mario Czaja wohl die Vorbesprechungen der CDU-Landesverbände stattfinden? Die trafen sich sonst immer am Vorabend des Parteitags, um auszukungeln, wie sie zu welchen Themen abstimmen und welche Personen sie bei Wahlen unterstützen. Doch der Vorabend wäre dieses Jahr der Donnerstag, an dem Bundestagssitzungen leicht bis 3 Uhr morgens dauern können. Da kann kein Abgeordneter aus Berlin abreisen.
CDU-Logo am Konrad-Adenauer-Haus
Foto: Kay Nietfeld / dpa
Auch die Themen des Parteitags wirken dieses Jahr angesichts von Krieg, Gaskrise und Existenzsorgen vieler Deutscher seltsam… tangential. Man will über die Frauenquote und das soziale Pflichtjahr diskutieren. Kann man machen. Aber muss man? Gut, die Quote ist bekanntlich (neuerdings) ein Herzensanliegen von Friedrich Merz. Aber beim Pflichtjahr gestand der Parteichef kürzlich selbst im Interview, er habe da »noch keine persönlich abgeschlossene Meinung«. Spannend! Gastgeber Bernd Althusmann freut sich sicher über so viel Rückenwind für seinen Landtagswahlkampf.
Am interessantesten an dem Parteitag ist aber wie so oft das Sponsoring. Die Autorin dieser Zeilen hatte gestern Vormittag die Muße, die Website des Parteitags zu besuchen, und stieß auf das Logo des Mobilfunkriesen Huawei. Ein chinesischer Staatskonzern, vor dessen Spionagetätigkeit deutsche Geheimdienste regelmäßig warnen, als Geldgeber für das Hochamt der Parteiendemokratie – ernsthaft?
Aber keine Sorge, beim zweiten Check später am Tag war das Logo verschwunden. Gut informierte CDU-Kreise berichten, Merz persönlich hätte Huawei von der Sponsorenliste genommen. Das war wohl eine gute Idee, auf die Generalsekretär Czaja vielleicht selbst hätte kommen können.
Raus aus der Wärmestube
Im jüngsten Urlaub, fern der deutschen Heimat, entdeckte ich ein Buch neu, das mich als Kind begeistert hat: »Nesthäkchen«. Die Serie von Else Ury über das Arzt-Töchterlein Annemarie aus Berlin-Charlottenburg entstand zwischen 1913 und 1925 und machte Ury reich und berühmt. Es sollte die Jüdin leider nicht davor retten, von den Nazis im KZ ermordet zu werden. Dabei gibt es wohl kaum eine Buchserie, die so arisch-deutschtümelnd daherkommt wie »Nesthäkchen«: das goldgelockte deutsche Mädel mit seiner Puppenstube, die frechen Brüder, der weise Vater, die dicke, gutmütige Köchin, die Sommerfrische an der Ostsee. Später studiert Nesthäkchen ein bisschen herum, ehe sie heiratet und sich ganz um ihre »Küken« kümmert, bis sie »Im weißen Haar«, so der Titel des letzten Bandes, gemütlich im Lehnstuhl sitzt. Die größten Probleme scheinen hier Unartigkeit, ein Fleck auf der Schürze oder ein Korb beim Tanztee zu sein.
Die Bücher heute zu lesen, war für mich einerseits wie eine literarische Wärmestube, eine Heimreise in die Stadtbücherei Siegburg. Die Lektüre war aber auch abstoßend, nämlich immer, wenn Urys Figuren ihre plump nationalistische, rassistische, sexistische Weltsicht heraus schwadronierten. So betet Nesthäkchen innbrünstig für einen Sieg an der Front des Ersten Weltkriegs: »Lieber Gott, (…) schick uns doch wieder solch einen Sieg wie heute, ja? Bitte hilf uns Deutschen doch, lieber Gott.«
Ist das Biedermeier-Kuschelgefühl dieser Bücher es wert, dass Kinder dafür mit Klischees und Kriegspropaganda überschüttet werden? Die Bücher wurden mehrmals überarbeitet, vor allem »Nesthäkchen und der Weltkrieg«, das laut Wikipedia zuletzt 2014 neu aufgelegt wurde. Soweit ich sehe, gab es damals kein Geschrei, dass Annemarie vom woke mob zensiert werde.
Mika Ullritz als Winnetou in einer Szene des Films »Der junge Häuptling Winnetou«
Foto: Marc Reimann / dpa
Die kluge Lage-Leserschaft ahnt, wohin die Reise geht: zu »Der junge Häuptling Winnetou«. Ein Buch, das ausweislich des Trailers zu seiner Verfilmung eine heile Apachen-Welt vorgaukelt, in der edle Wilde mit Federn im Haar in ihren Zelten chillen und in lustige Verfolgungsjagden mit tolpatschigen Trappern geraten. Tut mir leid, aber da war Nesthäkchen näher an der Wahrheit. Der Ravensburger Verlag hat nun beschlossen, die Winnetou-Reihe vom Markt zu nehmen, weil sie »ein romantisierendes Bild mit vielen Klischees« zeichne. Und es erhebt sich ein Protestgeheul in einer Frequenz, wie sie nicht mal Karl May den Apachen zugetraut hätte.
Wieso klammern sich so viele Leute so hartnäckig an dieses Zerrbild ihrer Kindertage? Kennen sie keine Kinderbücher, die zum Träumen, Nachdenken, Nachspielen einladen, ohne dass sie einen veritablen Massenmord an indigenen Völkern unter einen Teppich aus Kitsch kehren?
Bitte nicht falsch verstehen: Aus meiner Sicht spricht nichts gegen Indianerkostüme zu Karneval, oder gegen Weiße mit Rastalocken, die Reggae spielen. Über viele Auswüchse der Woke-Debatte muss man den Kopf schütteln. Aber hier sprechen wir über Bücher! Bücher prägen Köpfe, man muss ihre Wirkung ernst nehmen. Wenn sie historische Ereignisse auf groteske Art beschönigen und verzerren, was sind sie dann wert? Insofern handelt der Ravensburger Verlag im besten sarrazinschen Sinne vernünftig.
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Die Startfrage heute: Wer hat im zweiten Halbjahr 2022 den Vorsitz im EU-Rat?
Lösen Sie mit uns ein medizinisches Rätsel: Unsere erfolgreiche Serie »Ein rätselhafter Patient« gibt es jetzt auch als Podcast, exklusiv bei Podimo und SPIEGEL+. In der ersten Folge : Ein Mann hat Atemnot und Brustschmerzen – bei der Untersuchung stoßen die Ärzte auf Spuren aus der Vergangenheit.
Gewinner des Tages…
Foto:
Michael Probst/ AP
… ist Volker Bouffier. Heute richtet die CDU-Spitze für den früheren Ministerpräsidenten von Hessen ein Abschiedsdinner in einem Berliner Edel-Restaurant (Name ist der Autorin bekannt) aus. Das ganze CDU-Präsidium ist eingeladen, um den 70-Jährigen zu ehren, der fast zwölf Jahre Hessen regierte und seit 1978 in seiner Partei aktiv ist. Bouffier hat eine interessante Wandlung durchlaufen, vom konservativen Hardliner mit dem Spitznamen »Schwarzer Sheriff« wurde er zum schwarz-grünen Koalitionär und Unterstützer Angela Merkels in der Flüchtlingspolitik.
Apropos: Die Altbundeskanzlerin wird wohl nicht zum Dinner kommen, sie ist ja kein Präsidiumsmitglied mehr, auf eigenen Wunsch auch keine CDU-Ehrenvorsitzende. Auch beim Bundesparteitag dürfte sie dieses Jahr fehlen, obwohl sie formal noch Delegierte ist. Was viele in der CDU ihr übelgenommen haben: Merkel war noch nicht einmal beim Zapfenstreich zu Ehren ihres loyalen Weggefährten Bouffier im Mai dieses Jahres, dafür aber beim Abschied von Gewerkschaftschef Reiner Hoffmann – in der Partei werden solche Gesten sehr genau beobachtet.
Vielleicht hatte Merkel bei Bouffiers Feier einen wichtigen anderen Termin. Vielleicht war ihr Bouffier aber auch nicht wichtig genug. Es ist auffällig, wie wurschtig sie mit Weggefährten umgehen kann: Beim Abschied von Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Parteitag von 2021 rang Merkel sich kein Wort des Dankes für ihre Nachfolgerin ab. Und heute scheint die langjährige CDU-Chefin generell nicht mehr viel mit der CDU zu tun haben zu wollen.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Melanie Amann