Über den Wolken…
Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck sind heute noch immer auf Dienstreise in Kanada. Einen interessanten und unterhaltsamen Bericht unseres mitreisenden Kollegen Christoph Hickmann konnten Sie auf SPIEGEL.de schon gestern Abend lesen.
Aber nun überschattet ein kleiner Skandal die Reise. Plötzlich fragen wir uns nicht mehr, ob es den deutschen Regierungsvertretern gelingen wird, Lieferverträge über Flüssiggas abzuschließen, über grünen Wasserstoff oder wenigstens über kanadischen Ahornsirup. Nein, spannend ist nur noch die Tatsache, dass im Regierungsflieger niemand Maske trug.
Ein Kamerateam schwenkte im Flugzeug über die dicht an dicht sitzenden Medienleute, und über Robert Habeck, der eindringlich in der Hocke auf eine Journalistin einredete – und keine Maske weit und breit. Ups!
Habeck auf dem Flug von Berlin nach Montreal
Foto: Kay Nietfeld / dpa
Gesundheitsminister Professor Karl Lauterbach wird sich über diese Episode sicher freuen: Gerade hat er sich mühsam mit Justizminister Marco Buschmann auf einen Entwurf zur Reform des Infektionsschutzgesetzes geeinigt, und der sieht weiterhin eine Maskenpflicht für öffentliche Verkehrsmittel vor. Wobei man wirklich streiten kann, ob sie dort notwendig ist. Flugzeugbauer wie Airbus haben darauf hingewiesen, dass in Passagiermaschinen die Luft alle paar Minuten erneuert wird. Noch nie hat man von einem Urlaubsflug als Superspreader-Event gehört.
Für Flüge der Luftwaffe, die den Kanzler transportiert, gelte keine Maskenpflicht, erklärt ein Regierungssprecher. Warum sollte das nicht auch für Otto-Normal-Flüge nach Mallorca gelten? Zwar argumentiert die Regierung, dass alle Delegationsmitglieder vor Reisebeginn einen aktuellen negativen PCR-Test vorlegen mussten. »Damit ist ein hohes Schutzniveau gewährleistet.« Allerdings trug offenbar auch auf dem Weiterflug der Delegation nach Toronto gestern, als die PCR-Tests schon mehr als 48 Stunden alt waren, niemand Maske. Und die Lufthansa stellte auf Twitter prompt klar , dass für ihre Linienflüge ein Test allein nicht genüge.
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Es ist ärgerlich, dass hier der Eindruck einer Zwei-Klassen-Gesellschaft entsteht: Die da oben lassen sich fröhlich die Kabinenluft um die nackte Nase wehen, der kleine Mann wird kujoniert. Auf Twitter trendete gestern Abend das Stichwort #Doppelmoral, und da ist schon was dran.
Wer weiß – wird dieser Kanzler-Flug am Ende die Maskenpflicht zu Fall bringen? Kann Karl Lauterbach seinen Entwurf jetzt noch unverändert durchbringen? Wäre ich FDP-Politikerin und Maskengegnerin, würde ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Das Thema »oben ohne« hat übrigens die Lage-Leserschaft schon gestern sehr beschäftigt: Auf meine Schilderung der barbusigen Femen-Aktivistinnen, die sich vor Olaf Scholz entblätterten, gingen mehrere mahnende E-Mails ein, dass ich den sprachlichen Unterschied zwischen »Busen« und »Brüsten« nicht beherrschen würde. Interessanterweise meldeten sich nur Männer. Ich danke für das Engagement und übernehme hiermit die volle Verantwortung für diese Körperteile und ihre korrekte Bezeichnung.
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Wenn die Umlage zum Bonus wird
Während Scholz und Habeck maskenfrei Kanada bereisen, gibt es daheim in Deutschland einigen Ärger über die Energie- und Handelspolitik der Ampelregierung. Da war der gestrige Gastbeitrag des grünen Bundestagsabgeordneten Karl Bär auf SPIEGEL.de über Ceta, das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union, das die Ampelkoalition nach Jahren des Streits nun im Herbst ratifizieren will. Bär lieferte eine Streitschrift ab: »Weshalb Ceta scheitern muss« – sein Parteifreund Habeck wird sie nicht gerne gelesen haben.
Noch dazu blamierte sich am selben Tag eine Sprecherin von Habecks Ministeriums in der Bundespressekonferenz beim Thema Gasumlage. Etwas holprig musste die Frau auf die Frage des freien Journalisten Tilo Jung bestätigen, was sich lange abzeichnete: Diese Umlage, die alle Gaskunden ab Oktober tragen müssen, wird nicht nur Gaskonzernen am Rande der Insolvenz zufließen, wie die Bundesregierung bislang suggeriert hat. Sondern es profitieren auch Unternehmen, die in der Krise üppige Gewinne machen. Das kann man unschön finden. Beim RBB hätte man vielleicht von einem Bonus gesprochen. »Ein Unternehmen braucht eine gewisse Gewinnspanne«, sagte die Habeck-Sprecherin verlegen.
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Ihr Minister im fernen Kanada wird sich gefragt haben: »Alter, muss ich denn alles selber machen?!« Wird uns bald ein neues Instagramvideo von Habeck erreichen, in dem er die Logik dieser Umverteilung von unten nach oben erklärt?
Immerhin einer steht dieses Mal nicht im Zentrum des Zorns: Finanzminister Christian Lindner. Wie mein Kollege Christian Reiermann recherchiert hat, will Lindner den Kampf gegen Geldwäscher angehen, die den Staat jedes Jahr um Milliardensummen prellen. Wie schlecht Deutschland hier aufgestellt ist, wird in einem neuen Bericht der FATF, der internationalen Anti-Geldwäsche-Institution der G7-Staaten beschrieben. Die FATF wirft Deutschland vor, den Geldwäschern wegen der zersplitterten Aufsichtsstrukturen nicht genug auf die Schliche zu kommen.
Finanzminister Lindner
Foto: Adam Berry / Getty Images
Lindner will deshalb die Aufsichtsstrukturen unter dem Dach einer neuen Bundesoberbehörde bündeln. Das Herzstück in dieser neuen Struktur soll ein Bundesfinanzkriminalamt werden, mit Beamten, die echte Ermittlungsbefugnisse haben. »Wenn sich für ihre Staatsferne bekannte Liberale nicht mehr anders zu helfen wissen, als eine neue Behörde zu gründen, dann muss die Lage wirklich ernst sein«, schreibt Kollege Reiermann.
Noch steht nicht fest, wie die neue Oberbehörde heißen soll. Vielleicht möchte die Lage-Leserschaft Lindner einen Vorschlag machen? Wir würden die Ideen an das BMF weiterleiten.
Sommerreise, Urlaubsreise, Abschiebung
Es ist die Zeit der Sommertouren: Bundesfamilienministerin Lisa Paus zum Beispiel ist diese Woche in Sachsen und Sachsen-Anhalt unterwegs, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht will morgen die Marinetechnikschule in Parow bei Stralsund besuchen, und der Grünenchef Omid Nouripour ist heute in Rostock. Anlässlich des Jahrestages der Pogrome in Rostock-Lichtenhagen von 1992 will Nouripour Projekte gegen Rechtsextremismus besuchen. Man könnte jetzt denken, der Mann sei einen Tag zu spät dran, der Jahrestag war schließlich gestern. Aber die Ausschreitungen dauerten vier Tage.
Aktuelles Foto des Sonnenblumenhauses im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen: 1992 steckten Rassisten es in Brand
Foto: Jens Büttner / dpa
Es ist schmerzhaft, sich mit den Ereignissen, Bildern und politischen Reaktionen von damals zu befassen. Wie viel Mitgefühl es in manchen Parteien und Medien für die »besorgten Bürger« gab, die Wohnungen vietnamesischer Arbeiter in Brand setzten oder die Brandanschläge bejubelten. Und gerade wenn man darüber nachdenkt, ob dieser Grad von Rohheit heute noch vorstellbar wäre, liest man den Namen Pham Phi Son. Der Vietnamese, heute 65, war ein DDR-Vertragsarbeiter, wie die Menschen in Rostock, nur lebte er damals in Chemnitz.
Pham Phi Son, seine Frau und ihre kleine Tochter sollen nun abgeschoben werden, in seinem Fall nach 35 legalen Jahren in Deutschland. Der Grund: Er war 2016 bei einem Urlaub in seinem Heimatland aus gesundheitlichen Gründen zu lange Deutschland ferngeblieben, sein Aufenthaltsrecht ist erloschen. Tja, weggegangen, Platz vergangen! Dieses eherne deutsche Prinzip lernte der Vietnamese seither auf seiner Reise durch die deutsche Bürokratie so richtig gut kennen.
Sogar die sächsische Härtefallkommission zeigte sich in einem offenkundigen Missverständnis bezüglich ihres Namens knallhart, und lehnte das Gesuch der Familie ab. Als man der Kommission den Fall ein zweites Mal vorlegte, teilte Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth nur mit, dass sich »die Sach- oder Rechtslage nicht wesentlich zugunsten des Betroffenen geändert« habe. Fall erledigt?
Man fragt sich, was in den Köpfen von Leuten vorgeht, die solche Entscheidungen treffen. Und es ist die Kombination aus dem historischen Datum und dem aktuellen Fall, die besonders deprimierend ist. Der sächsische Flüchtlingsrat hat eine Petition für die Familie gestartet, Stand gestern Abend hatte sie mehr als 63.000 Unterstützer. Davon immerhin fast 14.000 aus Sachsen.
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Die Startfrage heute: Wie heißt der ukrainische Amtskollege von Annalena Baerbock?
Verlierer des Tages…
Foto: Yuki Iwamura / AP
… ist Eric Adams, Bürgermeister von New York, dessen Nachtleben gerade in einem ausführlichen Investigativreport der »New York Times« beschrieben wurde. Interessanterweise wird Adams aber nicht vorgeworfen, durch zu viele Klubs zu ziehen, sondern durch zu wenige: Der Bürgermeister verbringe die meisten seiner Abende und Nächte an denselben zwei Stationen, heißt es da. Erst ein Abendessen in einem Restaurant, das von zwei verurteilten Betrügern geführt wird, die eigentlich gar keine Schanklizenz mehr innehaben dürfen und deshalb offenbar auf eine Strohfrau ausgewichen sind. In diesem Lokal sah die »New York Times« den Bürgermeister in einem Monat genauer Beobachtung kein einziges Mal eine Rechnung bezahlen.
Später am Abend zieht Adams dann meistens weiter in einen Edel-Klub, dessen Mitglieder eine Aufnahmegebühr von 5000 Dollar und weitere 4000 Dollar Jahresbeitrag berappen müssen. Essen und Getränke kosten natürlich extra. Eric Adams ist dort Stammgast, ohne jedoch zahlendes Mitglied zu sein. Auf wessen Rechnung er dort Eintritt bekommt und feiert, wollte der Sprecher des Bürgermeisters der »New York Times« nicht beantworten. Bekannt ist aber, dass Adams den Eigentümer des Klubs zu Jahresbeginn in den Aufsichtsrat des Metropolitan Museum beförderte, eine in der New Yorker Gesellschaft extrem begehrte Position.
Die starke Recherche wirft Fragen auf, die auch für die Ethikkommission der Stadt New York interessant sein könnten.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Melanie Amann