Der Cum-ex-Skandal um die Hamburger Warburg-Bank fällt in die Zeit, als der heutige Bundeskanzler noch Erster Bürgermeister der Hansestadt war. An diesem Freitag soll Olaf Scholz zum zweiten Mal von dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) der Hamburger Bürgerschaft vernommen werden.
Es geht um den unheimlichen Verdacht, dass der Staat, in diesem Fall die Stadt Hamburg, einer alteingesessenen Bank Steuern erlassen wollte. Und es steht die Frage im Raum, ob politisch auf diese Entscheidung Einfluss genommen wurde.
Diese Chronologie zeichnet das bisherige Geschehen nach:
Januar 2016: Die Staatsanwaltschaft Köln nimmt wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung Ermittlungen gegen fünf Verantwortliche der Warburg-Bank auf. Davon betroffen ist auch Warburg-Mitinhaber Christian Olearius. Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen durchsuchen Büroräume der Privatbank in Hamburg.
Es geht um sogenannte Cum-ex-Geschäfte: Dabei wurde der Staat ausgetrickst, sodass eine nur einfach gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach zurückerstattet wurde. Zu diesem Zweck wurden Aktienpakete mit (»cum«) und ohne (»ex«) Ausschüttungsanspruch um den Dividendenstichtag zwischen mehreren Geschäftspartnern hin und her geschoben. Dadurch war unklar, wer Anspruch auf die Steuerrückerstattung der automatisch abgeführten Kapitalertragsteuer hatte – und die Abgabe wurde mehrfach erstattet.
Hamburg: Eingang des Bankhauses Warburg
Foto: Axel Heimken / dpa
Ab Februar 2016: Das Hamburger Finanzamt für Großunternehmen beschäftigt sich mit einer möglichen Steuerrückforderung in Millionenhöhe an Warburg. Die zuständige Finanzbeamtin Daniela P. schickt eine E-Mail an ihre Vorgesetzten, in der sie über die Vorgänge gegen die Bank informiert. Auch eine mögliche Verjährung der Ansprüche wird thematisiert.
März 2016: Christian Olearius trifft sich erstmals wegen der Causa Cum-ex mit dem damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs und dem früheren Hamburger Innensenator Alfons Pawelczyk, ebenfalls SPD. Die beiden sollen ihm mit ihren politischen Kontakten helfen, eine Rückzahlung zu verhindern.
Eine ausführlichere Zeitleiste zu den Vorgängen in diesen Jahren lesen Sie hier beim manager magazin .
7. September 2016: Die Bankeigentümer Max Warburg und Christian Olearius treffen im Hamburger Rathaus Olaf Scholz. Der SPD-Politiker ist zu diesem Zeitpunkt Erster Bürgermeister der Hansestadt. In seinem Tagebuch notiert Olearius, Scholz habe nichts versprochen, aber darum gebeten, in der Sache auf dem Laufenden gehalten zu werden.
5. Oktober 2016: Das Finanzamt schickt einen Vermerk der Beamtin Daniela P. an die Hamburger Finanzbehörde. Darin wird die rechtliche Situation dargelegt – und um Zustimmung gebeten, die Steuererstattung von Warburg zurückzufordern.
26. Oktober 2016: Olaf Scholz empfängt Christian Olearius und Max Warburg erneut im Rathaus – zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen. Die Banker übergeben eine siebenseitige Verteidigungsschrift gegen die absehbare Millionenrückforderung des Fiskus. Das Papier mit den Argumenten der Warburg-Bank geht auch ans Finanzamt.
Hamburger Rathaus
Foto:
Hanno Bode / IMAGO
9. November 2016: Olaf Scholz ruft bei Christian Olearius an – und rät dem Banker: Er solle sein Dokument an den Finanzsenator schicken. Das ist zu diesem Zeitpunkt Peter Tschentscher (SPD), der heutige Erste Bürgermeister von Hamburg.
17. November 2016: Eine achtköpfige Beamtenrunde in der Finanzverwaltung entscheidet, keine Steuern von Warburg zurückzufordern – und so Steuerforderungen aus den Cum-ex-Geschäften teilweise verjähren zu lassen. Damit verzichtet die Stadt Hamburg auf 47 Millionen Euro, Steuergutschriften für 2009.
11. September 2017: Eine mit Olearius verbundene Gesellschaft (Vigor) spendet 13.000 Euro an den SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte. Chef dieses SPD-Kreisverbands ist damals: Johannes Kahrs. Ihm war zuvor ein Spender abgesprungen. Die 13.000 Euro sind die vierte bekannte Spende von Tochterfirmen oder mit der Privatbank verbundenen Unternehmen an die Hamburger SPD im Jahr 2017.
8. November 2017: Das Bundesfinanzministerium schickt ein Schreiben an die Hamburger Finanzbehörde. Darin wird die Weisung erteilt, nicht erneut auf eine Rückforderung zu verzichten, also die Steuererstattung für Warburg nicht wieder verjähren zu lassen. Diesmal geht es um 43 Millionen Euro, Steuergutschriften für 2010.
10. November 2017: Es kommt wegen des Themas zum wiederholten Male zu einem Treffen zwischen Christian Olearius und Olaf Scholz im Rathaus .
29. November 2017: Die Finanzbehörde schickt ein Schreiben ins Bundesfinanzministerium nach Berlin. Ziel ist es, zu verhindern, von Warburg eine Rückzahlung fordern zu müssen.
1. Dezember 2017: Das Bundesfinanzministerium bekräftigt seine Haltung und die damit verbundene Weisung: Hamburg muss die 43 Millionen Euro kurz vor Eintritt der Verjährung zurückfordern.
28. Oktober 2020: In der Hamburger Bürgerschaft wird wegen der Cum-ex-Affäre ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) eingesetzt. Die Opposition aus CDU, der Linken und FDP setzt das Gremium durch. Es soll klären, ob der Hamburger Senat und die Hamburger Steuerverwaltung Einfluss auf den Steuerfall genommen haben. Im Fokus stehen Scholz und Tschentscher. Auch Kahrs und Pawelczyk werden in dem Antrag erwähnt.
Ende 2020: Die Warburg-Bank hat die geforderten Millionen aus Cum-ex-Geschäften plus Zinsen an das Finanzamt zurückgezahlt. Das steht im Zusammenhang mit einem Urteil des Landgerichts Bonn aus dem März 2020.
30. April 2021: Olaf Scholz wird zum ersten Mal als Zeuge im PUA vernommen. Er bestätigt anhand seines Terminkalenders insgesamt drei Treffen im Rathaus, die er den Warburg-Bankern gewährte. Zum Inhalt der Gespräche sagt Scholz nichts, da er sich nicht daran erinnern könne. Gleiches gilt demnach für das Telefonat mit Olearius. Eine Einflussnahme schloss Scholz aber aus: »Es gab keine Vorzugsbehandlung für Herrn Olearius oder Herrn Warburg.«
28. September 2021: Die Staatsanwaltschaft Köln lässt mehrere Wohnungen von Johannes Kahrs sowie Büros im Hamburger Finanzamt für Großunternehmen und in der Finanzbehörde durchsuchen. Gegen Kahrs sowie zwei weitere Personen, darunter die Finanzbeamtin Daniela P., wird wegen des Verdachts der Begünstigung ermittelt. Laut Staatsanwaltschaft gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beschuldigten im Zusammenhang mit Cum-ex-Geschäften eines Hamburger Kreditinstitutes »strafrechtlich relevant« verhalten haben.
6. Mai 2022: Peter Tschentscher sagt im PUA aus, seine Beamten hätten ihn als Finanzsenator damals auf dem Laufenden gehalten über den Fall Warburg. In dieser Situation habe man »Amtshaftungsansprüche« gefürchtet, falls Warburg durch möglicherweise unberechtigte Zahlungen in Schieflage gerate. Er spricht von einem »Dilemma«, das seine Untergebenen gesehen hätten: steuerrechtliche Verjährung oder Prozessrisiko.
Mehrfach betont Tschentscher: »Ich habe keinen politischen Einfluss ausgeübt.« Und er könne auch sagen, »Herr Scholz hat über mich keinen Einfluss genommen auf die Entscheidungen der Steuerverwaltung im Fall Warburg«. Über den Steuerfall Warburg habe er mit Scholz nie gesprochen.