1. Trump hat wohl wirklich hoch brisante Akten in seinem Anwesen gelagert – aber unklar bleibt, ob ihm die FBI-Durchsuchung nutzt oder schadet
»Noch kein Schriftsteller hat die Wirklichkeit so beschrieben, wie sie wirklich ist«, hat der für seine Übertreibungskunst berühmte Schriftsteller Thomas Bernhard behauptet, »die Wirklichkeit ist so schlimm, dass sie nicht beschrieben werden kann.« Manchmal ist die Realität aber auch bloß auf lachhaft-gruselige Weise erschreckend. So wirkt auf mich das, was mein Kollege Marc Pitzke heute in seinem Text über die Durchsuchung von Donald Trumps Anwesen Mar-a-Lago in Florida durch das FBI berichtet. Seit Tagen ranken sich wilde Gerüchte um diese Aktion, die möglicherweise illegal gelagerten Staatsgeheimnissen galt.
US-Justizminister Merrick Garland hat gestern mit Hinweis auf »das beträchtliche öffentliche Interesse« die Durchsuchung endlich offiziell bestätigt. Er habe sie sogar »persönlich genehmigt«, und bittet nun das zuständige Gericht, den Wortlaut des Durchsuchungsbefehls freizugeben – aber nur, wenn auch Trump das absegne. Der hat mittlerweile eingewilligt.
Die »Washington Post« meldet, bei den von Trump angeblich entwendeten Akten gehe es unter anderem um »nukleare Waffen«; es bestehe Gefahr, »dass sie in die falschen Hände fallen« könnten. »Man hofft, dass das nur Achtlosigkeit war und keine üblere Absicht«, sagt der frühere US-Geheimdienstchef James Clapper zu den Neuigkeiten.
»Damit beginnt die wirklich heiße Phase dieser Affäre, die die USA so aufgewühlt hat wie lange nichts mehr«, schreibt mein Kollege Marc . Auch Trump habe noch Asse im Ärmel, um den Aktenskandal für sich politisch auszuschlachten. Eine Spekulation lautet, Trump habe die Durchsuchung absichtlich provoziert, da sie ihn bei seinen Unterstützern zum Märtyrer mache – und seine Rivalen für eine erneute Präsidentschaftskandidatur ausbremse.
Mehrere US-Medien hatten schon früher berichtet, dass Trump mehr als ein Dutzend Kartons mit teils geheimen Regierungsunterlagen nach Florida mitgenommen habe, als er im Januar 2021 widerwillig aus dem Weißen Haus auszog. Solche Akten müssen nach dem Gesetz eigentlich dem US-Nationalarchiv übergeben werden, das sie geschützt lagert. Neue Berichte amerikanischer Medien legen nahe, dass ein Teil der von Trump gehorteten Akten tatsächlich die nationale Sicherheit gefährden und zu Spionagezwecken missbraucht werden könnten.
Hinter den Kulissen, so berichtet Marc , »tobt in Trumps engstem Zirkel angeblich eine hitzige Debatte, wer aus den eigenen Reihen dem FBI zugearbeitet habe.« Nur eine Handvoll von Leuten habe von dem bei der Durchsuchung geöffneten Safe gewusst.
Trump verdächtige inzwischen selbst Besucher seines Klubs, »Ratten« oder »verwanzt zu sein«, berichtet das Magazin »Rolling Stone« unter Berufung auf mehrere Insider.
Ist Trump wirklich zuzutrauen, dass er die FBI-Aktion provoziert hat? »Ich glaube, dass er die Eskalation dieser Affäre mit forciert hat, um sie politisch auszuschlachten«, sagt mein Kollege Marc. Trump wisse seit Monaten, welche Akten er herausgeben sollte, und auch der Durchsuchungsbefehl lag ihm wohl von Anfang an vor, »er hätte ihn also selbst längst veröffentlichen können«. Statt dessen inszeniere er sich als Opfer des »Deep State«, »ein Narrativ, von dem er auch schon bei allen früheren Skandalen seiner Amtszeit profitiert hat«.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Versteckte Trump Akten über Atomwaffen im Keller?
2. Der Skandal um die Warburg-Bank holt den Kanzler ein
Funde der Kölner Staatsanwälte im Zusammenhang mit dem Skandal um die Hamburger Warburg Bank, über die bisher wenig bekannt war, könnten für Olaf Scholz neuen Ärger bedeuten. Es geht um die Inhalte der Mail-Postfächer und digitalen Kalender der Hamburgischen Finanzverwaltung im Jahr 2016, zu einer Zeit, als der heutige Bundeskanzler Scholz Hamburger Bürgermeister war – beziehungsweise um auffällige Lücken in diesen Datensätzen.
Für die aktuelle SPIEGEL-Ausgabe haben meine Kollegin Melanie Amann und meine Kollegen Jürgen Dahlkamp, Gunther Latsch und Ansgar Siemens neue Details zu einer möglichen Verwicklung des Kanzlers in den Skandal um die Warburg-Bank zusammengetragen. Im Zentrum der Affäre stehe ein »ungeheuerlicher Verdacht«, so schreiben sie. »Hat die Hansestadt Hamburg die Privatbank im Jahr 2016 trotz deren krimineller Aktiengeschäfte geschont, weil die Politik es so wollte? Verzichtete der Hamburger Fiskus zeitweise auf 47 Millionen Euro mit Billigung oder gar auf Initiative von Olaf Scholz?«
Harte Beweise gebe es keine gegen Scholz, aber »Indizien, Puzzlesteine gibt es zur Genüge«. Seit bekannt wurde, dass die Polizei bei Ermittlungen gegen den Hamburger Ex-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs auf den Schlüssel für ein Schließfach mit mehr als 200.000 Euro Bargeld gestoßen ist, ist das Interesse an der Warburg-Affäre neu erwacht. Gegen Kahrs wird staatsanwaltlich ermittelt wegen seiner möglichen Verwicklung in den Warburg-Fall, die Herkunft des Gelds ist unklar.
Was bislang abstrakt blieb, was sich in Gutschriften, Erstattungen, Steuerbescheiden abspielte und in lateinischem Kauderwelsch betitelt wurde (»Cum-Ex«), »wirkt durch das Geld in Kahrs’ Schließfach plötzlich gefährlich einfach und real«, so das SPIEGEL-Team . »Wenige Leute verstehen die komplizierte Mechanik der Cum-ex-Steuertricks, aber jedes Kind versteht die Brisanz eines versteckten Geldstapels.«
Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass der Schließfachschatz von Kahrs überhaupt mit dem Warburg-Skandal in Bezug steht, geschweige denn mit der Person Olaf Scholz.
Die Ergebnisse der Kölner Ermittler, die dem Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft mit Datum vom 22. Juni übermittelt wurden und die der SPIEGEL einsehen konnte, beruhen auf dem Vergleich der E-Mail-Kommunikation der beteiligten Beamten und Politiker mit Kalendereinträgen in den dienstlichen Postfächern. Die Ermittler sehen Hinweise »auf eine gezielte Löschung zu den Themen Cum/Ex und M.M. Warburg«. Wer hat möglicherweise heikle Daten zur Warburg-Affäre verschwinden lassen? Von Scholz’ Sprecher heißt es dazu, man kenne »die zitierten Mutmaßungen der Staatsanwaltschaft Köln« nicht und könne sich daher nicht äußern.
Die Kollegin und die Kollegen berichten von diversen Treffen mit Warburg-Bankern , an die sich der sonst so penible Scholz lange nicht erinnern wollte. So durften die Bankeigentümer Max Warburg und Christian Olearius, hanseatischer Hochadel, Ende 2016 binnen weniger Wochen zweimal bei Scholz im Rathaus vorsprechen. Gegen Olearius ermittelte da schon die Staatsanwaltschaft. Für die Termine soll Kahrs hilfreich gewesen sein, eigentlich kein enger Vertrauter von Scholz.
Die Hamburger Vorgänge sind kompliziert, aber je länger die Ermittler und der Untersuchungsausschuss bohren, desto mehr Pfade tun sich auf. Und manche führen womöglich zu Olaf Scholz. »Der Fall Cum-ex ist zu einem Fall Scholz geworden«, so das SPIEGEL-Team. »Könnte nun auch der Fall Kahrs auf ihn abfärben?«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: »Dies deutet auf eine gezielte Löschung hin«
3. Auch andere ARD-Anstalten fanden nach möglichen Compliance-Problemen – und doch wird im »Fall Schlesinger« wohl oft zu schnell geurteilt
Leben wir in einer Jagdgesellschaft, die sich allzu lustvoll und oft ein bisschen vorschnell an Mutmaßungen über die Verfehlungen von Politikern und Amtsträgern weidet? Der SPIEGEL-Kolumnist Thomas Fischer legt das heute in einem Text mit der Überschrift »Gemach, gemach, verehrte Jagdgesellschaft« nahe, der mir nicht nur deshalb gefällt, weil der schon früher erwähnte Schriftsteller Thomas Bernhard ein tolles Stück namens »Jagdgesellschaft« geschrieben hat.
Fischer bezieht sich nicht auf die Akten von Donald Trump und den Kalender von Olaf Scholz, sondern auf die angeblichen Verfehlungen der ehemaligen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger. Fischer plädiert gegen eine Vorverurteilung der zurückgetretenen Senderchefin. Tatsächlich stürzt der Fall die ARD in eine tiefe Krise. Auch andere Sendeanstalten suchen nun nervös nach Anhaltspunkten für potenzielle Skandale, wie ein Team von Kolleginnen und Kollegen in der aktuellen SPIEGEL-Ausgabe berichtet .
»Überall fahndet man innerhalb der ARD derzeit nach möglichen Compliance-Problemen und potenziellen Skandalen in Berateraufträgen, Neubauten, Dienstwagen«, so heißt es in der Geschichte. Nervös wurde man schon vor längerer Zeit bei Phoenix, einem Gemeinschaftssender von ARD und ZDF. Die dortige Co-Chefin Michaela Kolster hatte ihren Dienstwagen nach SPIEGEL-Informationen wiederholt (und erlaubterweise) ihrem Ehemann geliehen, für private Fahrten – bis dieser in einen selbst verschuldeten Unfall geriet und die ZDF-Versicherung für den Schaden aufkommen sollte.
Und wie steht es im RBB selbst? Meine Kolleginnen Elisa von Hof und Isabell Hülsen und meine Kollegen Martin U. Müller, Anton Rainer und Sven Röbel schildern die große Verärgerung innerhalb des Senders über die »Salonabende«, die Patricia Schlesinger für »Multiplikatoren in ihrer Wohnung veranstaltete und mit der Anstalt abrechnete. »Selbst wenn die Justiz zum Schluss käme, dass die Treffen für eine Intendantin dienstlich waren, sind die Kosten dadurch nicht automatisch angemessen.«
Der SPIEGEL-Kolumnist Thomas Fischer findet es sinnvoll, »einmal kurz darüber zu sprechen, was die Begriffe bedeuten, die da herumschwirren und teilweise schon wieder wie feststehende Ergebnisse verwendet werden«. Die Rede sei von »Untreue«, »Spesenbetrug«, »Vetternwirtschaft«. Von »Luxusbüro«, »Massagesitzen«, »Privatfahrten«. Fischer legt uns nahe, die Ermittlungen gegen Schlesinger erstmal abzuwarten und uns an die eigene Nase zu fassen, bevor wir uns empören – und dabei sollten wir an den Titel eines Albums der Band Uriah Heep denken: »Look at Yourself!«
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Lesen Sie hier mehr: Gemach, verehrte Jagdgesellschaft
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Lesen Sie hier die SPIEGEL-Geschichte: Salonabende im Hause Schlesinger
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Grüne und Union liegen gleichauf: Wenn am kommenden Sonntag ein neuer Bundestag gewählt würde, wäre die SPD der große Verlierer. Laut ZDF-Politbarometer rangieren Grüne und Union mit derselben Prozentzahl an der Spitze.
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»Schröder hat jedes Gespür für Anstand verloren« Gerichtlich will Gerhard Schröder sein Büro im Bundestag und andere Sonderrechte als Altkanzler zurückbekommen. Die Reaktionen fallen deutlich aus.
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Großbritannien ruft für weite Landesteile Notstand aus: Wegen Trockenheit dürfen Briten in weiten Landesteilen ihre Gärten nicht mehr bewässern. Auch Autowäsche und Planschbecken sind verboten. Und: Der Waldbrand im Harz ist unter Kontrolle – vorerst jedenfalls. Die News.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Das sind die Tücken der geplanten Gasumlage: Gasverbraucher sollen ab 1. Oktober eine Umlage zahlen, um die Pleite von Importeuren wie Uniper zu verhindern. Verbraucherschützer und Energiefirmen warnen vor Chaos – aber das Ministerium hält an dem Zeitplan fest .
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Reichsbürger arbeitete als Gerichtsgutachter – und kassierte weit über 100.000 Euro: Ein führender Ideologe der Reichsbürger-Bewegung arbeitete nach SPIEGEL-Informationen jahrelang als psychiatrischer Gutachter – für Gerichte des verhassten »BRD-Systems« .
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Die Fußball-Weltmeisterschaft in Absurdistan: Die hektische Vorverlegung des Eröffnungsspiels der Katar-WM passt ins Bild dieses Turniers. Auch abgesehen von der Menschenrechtsfrage steht jetzt schon fest: Es wird eine groteske Weltmeisterschaft .
Was heute weniger wichtig ist: Fußballheld im Spielzeugladen
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Robert Lewandowski, 33, sorgt mit seinem Club FC Barcelona für eine besondere Art von Spannung. Darf er morgen zum Meisterschaftsstart gegen Rayo Vallecano mit seinem Verein antreten? Heute ließ der spanische Ligaboss das hoch verschuldete Barça zittern, ob er die
die Spielerlaubnis erteilt. Lewandowski hat sich trotzdem begeistert über sein neues Team geäußert: »Ich fühle mich wie ein kleines Kind, das einen riesigen Spielzeugladen betritt.«
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Apropops verklärt: Auch im Nationalsozialismus spielte der Wald eine Rolle.
Cartoon des Tages: FBI bei Trump
Illustration: Chappatte
Und heute Abend?
Könnten Sie sich im Fernsehen im Ersten die Berichte und Übertragungen von den European Championships in München ansehen. 50 Jahre nach den Olympischen Spielen findet in Bayerns Hauptstadt ein Mini-Olympia-Format statt. Mein Kollege Jan Göbel hat zusammengefasst, welche Sportarten und Stars dabei sind – insgesamt treten in München bis zum 21. August 4700 Athletinnen und Athleten in 177 Medaillenentscheidungen gegeneinander an. »Der Zusammenschluss soll den einzelnen Sportarten mehr Aufmerksamkeit verschaffen«, schreibt Jan.
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Wolfgang Höbel
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