Radikalisiert
Der Konservatismus hat sich längst gespalten, in einen klassischen und einen schmutzigen Flügel. Letzterer trifft sich ab heute bei der Conservative Political Action Conference in Dallas, Redner sind unter anderem Donald Trump, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und der ehemalige Trump-Berater Steve Bannon.
Orbán, Trump (2019 im Weißen Haus)
Foto:
MARK WILSON/ AFP
Die Publizistin Natascha Strobl spricht etwas sanfter vom »Radikalisierten Konservatismus«, so heißt auch ihr Buch zu diesem Thema. Für den radikalisierten Konservatismus sei bezeichnend, schreibt sie, dass er »keine Berührungsängste vor der traditionellen extremen Rechten kennt«.
Strobl: »Statt lange zu reden, handeln seine Akteur:innen einfach. Statt um Erlaubnis zu fragen oder mühsam kleinteilige Kompromisse auszuhandeln, geben sie einfache Antworten und vollmundige Versprechen. Diese müssen gar nicht eingelöst werden, denn stets lässt sich die Schuld ominösen Kräften in die Schuhe schieben, die dem entgegenstehen. Politische Konkurent:innen werden zu Gegner:innen, der Staat wird antidemokratisch umgebaut, nach und nach verschieben sich die Grenzen der Realität.«
In meinen Augen ist das schmutzig. Und es beschreibt ziemlich genau das Politikverständnis von Trump, Orbán, Bannon. Große Teile der AfD kann man getrost dazurechnen.
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Gesichter der Genugtuung
Heute steht ein großer Termin des Recht-gehabt-habens an. Die Vorsitzenden von CDU und CSU, Friedrich Merz und Markus Söder, inspizieren das Atomkraftwerk Isar 2 in Bayern. Es ist ein Kandidat für eine längere Laufzeit, um die drohende Energielücke zu begrenzen.
Söder, Merz (im Mai 2022)
Foto:
Kai Osthoff / dpa
Die Union war die deutsche Atompartei. Dass man den enormen, auch gewaltsamen Widerständen in den Siebziger- und Achtzigerjahren getrotzt hat, gilt als ein Hauptstrang der heroischen Parteierzählung. Wer damals mit gestritten hat, wird beinahe schon als Veteran verehrt.
Umso bitterer war es für die Union, dass eine Bundeskanzlerin mit dem Parteibuch der CDU, Angela Merkel, den Atomausstieg beschleunigt hat. Er war einst von SPD und Grünen beschlossen worden.
Umso süßer ist nun die Möglichkeit, dass SPD und Grüne mit der FDP beschließen könnten, Laufzeiten zu verlängern oder gar ausrangierte Meiler wieder ans Netz zu schließen. Mit Gesichtern der Genugtuung ist heute zu rechnen.
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Das Schiff steuern
In Phnom Penh wird heute das Treffen der südostasiatischen Staatengruppe Asean fortgesetzt. Mitglieder sind Länder wie Indonesien, Kambodscha, Thailand oder Singapur. Auch die Außenminister der USA und Chinas nehmen diesmal teil, der umstrittene Besuch von Nancy Pelosi in Taiwan wird mit Sicherheit Thema sein. Sie selbst weilt heute in Südkorea.
Asean-Gipfelteilnehmer aus Vietnam, Kambodscha, Indonesien und Brunei (3.8.2022)
Foto: Heng Sinith / AP
Schon vor Pelosis Reise hat der Politologe Kishore Mahbubani, einer der klügsten politischen Denker Asiens, einen interessanten Vorschlag gemacht: Die EU und Asean sollten noch enger kooperieren, um der Rivalität von Chinesen und Amerikanern etwas entgegenzusetzen.
Er schrieb in seinem Newsletter: »Wenn die beiden Großmächte zu fixiert sind auf ihren geopolitischen Wettstreit, um die regelbasierte multilaterale Ordnung zu erhalten, sollten die EU und Asean die Chance ergreifen und zusammenarbeiten, um das Schiff zu steuern und gemeinsam die globalen Angelegenheiten zu managen.«
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China-Expertin über die Spannungen im Pazifik: »Pelosis Besuch wird Taiwans Sicherheit wohl eher schaden«
Alufolie
Wenn ich in Berliner U-Bahnstationen Alufolie aufblitzen sehe, werde ich zugegebenermaßen wütend. Leider sehe ich in letzter Zeit mehr und mehr Alufolie, zu allen Tageszeiten, gerade in den Kreuzberger Bahnhöfen, wo ich häufig ein- und aussteige.
Drogenabhängige benutzen Alufolie, um den nächsten Kick vorzubereiten. Sie tun mir leid, ich sehe, wie krank und verwahrlost sie sind. Aber ich finde nicht, dass Bahnhöfe Orte sind, an denen man harte Drogen konsumieren kann. Hier versagt der Staat, versagt die Stadt Berlin.
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Gewinnerin des Tages
Maschinen werden in der Regel politisch, wenn es Kriegsmaschinen sind. Dass eine zivile Maschine Star der Politik ist, kommt selten vor. Nun ist es geschehen, mit der Turbine, die in Mülheim an der Ruhr auf ihre Lieferung nach Russland zur Pipeline Nord Stream 1 wartet.
Scholz, Turbine
Foto:
SASCHA SCHUERMANN / AFP
Vom Bundeskanzler besucht, vom Bundeskanzler getätschelt, vom Bundeskanzler mit fachmännischer Geste auf Festigkeit überprüft. Vom Bundeskanzler gleichsam zum Einsatz freigegeben, von der Außenministerin in Kanada dankend thematisiert, weil Kanadier die Turbine gewartet und nach Deutschland geschickt haben. Von Russland unter Vorwänden verschmäht, von Sanktionsexperten als Beobachtungsfall eingestuft und so weiter – mehr Aufmerksamkeit ist kaum möglich. Sollte es die Turbine nicht nach Russland schaffen, hat sie einen Platz im Deutschen Museum in München sicher und ist daher Gewinnerin des Tages.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Dirk Kurbjuweit