In Deutschland steht der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder wegen seiner engen Verbindungen nach Russland in der Kritik. Den Kontakt zum Kreml ließ der SPD-Politiker auch nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine nicht abreißen. Jüngst reiste er erneut nach Moskau – und traf sich dort nach eigenen Angaben mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Nach den Gesprächen meint Schröder nun, in dem militärischen Konflikt gebe es doch noch Chancen auf eine diplomatische Lösung. »Die gute Nachricht heißt: Der Kreml will eine Verhandlungslösung«, sagte Schröder in einem Interview mit dem Magazin »stern « und dem Sender »RTL/ntv«.
Das jüngst erzielte Abkommen der Kriegsparteien zu den Getreideexporten aus der Ukraine sei ein »erster Erfolg«, den man vielleicht »langsam zu einem Waffenstillstand ausbauen« könne, sagte der Ex-Kanzler. Mit Blick auf die derzeit stillgelegte Ostseepipeline Nord Stream 2 sprach sich der frühere Regierungschef für eine Inbetriebnahme aus. Dies wäre »die einfachste Lösung«, so Schröder. Die Pipeline sei »fertig« und sollte auch durch die Röhre Nord Stream 1 Gas fließen, »gäbe es kein Versorgungsproblem für die deutsche Industrie und die deutschen Haushalte.«
Schröder sieht Verantwortung bei Siemens
Angesichts der derzeitigen, laut Russland auf eine fehlende Turbine zurückzuführenden Lieferausfälle machte Schröder dem Konzern Siemens Vorwürfe. Dass derzeit nur 20 Prozent der normalen Gasmenge durch Nord Stream 1 flössen, »liegt in der Verantwortung von Siemens, wenn ich das richtig sehe«, sagte er. Er widersprach damit der Darstellung Berlins, wonach Russland das fehlende Teil nur als Vorwand nutzt, um die Gaslieferungen zu drosseln.
Siemens habe die in den vergangenen Wochen viel diskutierte Turbine für Nord Stream 1 aus der Wartung in Kanada nach Mülheim an der Ruhr gebracht, sagte Schröder. »Warum sie dort ist und nicht in Russland, verstehe ich nicht.« Laut Schröder gebe es keine »keine politische Ansage des Kreml, den Gasfluss zu drosseln«, vielmehr handle es sich um ein »technisches und bürokratisches Problem«.
Der Altkanzler steht seit Langem auch parteiintern wegen seiner Nähe zu Putin und zur russischen Öl- und Gaswirtschaft in der Kritik. Schröder bezeichnete den Krieg nun erneut als »Fehler der russischen Regierung«, verteidigte aber gleichzeitig seine Kontakte nach Moskau. »Aber warum sollte ich mit Gesprächen, die rechtlich möglich sind und mich und meine Familie nicht in Schwierigkeiten bringen, aufhören?«, fragte er in dem Interview.
Schröder erwähnt Zugeständnisse der Ukraine
Es sei »ein großer Fehler, mögliche Zugeständnisse der Ukraine als russischen ›Diktatfrieden‹ vorab zu verunglimpfen«, sagte Schröder. Er meinte, die wirklich relevanten Probleme seien lösbar, darunter ein Kompromiss für die ostukrainische Region Donbass sowie die Frage einer möglichen »bewaffneten Neutralität« für die Ukraine als Alternative zu einer Nato-Mitgliedschaft.
Schröder betonte in dem Interview, die Schwarzmeerhalbinsel Krim – die Russland bereits 2014 annektiert hatte – sei aus seiner Sicht für Kiew verloren. »Die Vorstellung, dass der ukrainische Präsident Selenskyj die Krim militärisch wieder zurückerobert, ist doch abwegig«, sagte er. »Wer glaubt denn ernsthaft, dass ein russischer Präsident die Krim je wieder aufgeben könnte?«
Lob für die Türkei und Erdoğan
Ausdrücklich lobte Schröder die Vermittlungsbemühungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in dem Konflikt. »Aber ohne ein Ja aus Washington wird es nicht gehen«, schränkte Schröder mit Blick auf die Haltung der US-Regierung ein.
Schröder hat sich nach Ansicht von Kritikern auch aus seiner eigenen Partei nach der russischen Invasion in die Ukraine im Februar bisher nicht ausreichend von Russland distanziert. Am kommenden Montag will die Schiedskommission des SPD-Unterbezirks Region Hannover über einen möglichen Parteiausschluss entscheiden. Die rechtlichen Hürden für eine Parteistrafe oder gar einen Ausschluss sind allerdings sehr hoch. Die Entscheidung des Gremiums markieren vermutlich aber noch nicht das Ende des parteiinternen Verfahrens, weil die Beteiligten Berufung einlegen können.