Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hat bewusst weggesehen, als die griechische Küstenwache Flüchtlinge illegal zurück ins Meer drängte. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat nach der SPIEGEL-Veröffentlichung über einen geheimen EU-Bericht, der die Verwicklungen dokumentierte, eine konsequente Klärung der neuen Vorwürfe gegen Frontex gefordert.
Die EU müsse »noch stärker sicherstellen können, dass natürlich auch an der europäischen Außengrenze die Menschenrechte rund um die Uhr eingehalten werden«, sagte Baerbock nach einem Besuch im Frontex-Verbindungsbüro in der griechischen Hauptstadt Athen. Das Zurückdrängen von Flüchtlingen über die EU-Außengrenzen sei »mit europäischem Recht nicht vereinbar«, stellte sie klar.
Auf 129 Seiten dokumentiert ein geheimer EU-Bericht, wie die EU-Grenzschutzagentur Frontex in die illegalen Machenschaften der griechischen Küstenwache verwickelt war. (Lesen Sie hier mehr)
»Es ist mir wichtig, dass wir diese Fälle systematisch aufklären«, sagte Baerbock dazu in Athen. Zwar müsse die EU gemeinsam ihre Außengrenze schützen, sagte die Ministerin. Doch sei ihr dabei wichtig, »dass jede Grenze eben auch eine Tür haben muss und dass an den Außengrenzen unsere europäischen Werte gelten«, sagte Baerbock.
»Wenn wir da wegschauen, gehen unsere Werte im Mittelmeer unter«, warnte sie. Baerbock bekräftigte die Forderung der Ampel-Regierung, eine europäische Seenotrettung aufzubauen. Gerettete Migranten müssten »mit festen Zusagen« in anderen EU-Ländern angesiedelt werden, um Länder an der Außengrenze wie Griechenland zu entlasten.
Zuvor hatte die Außenministerin gemeinsam mit dem griechischen Migrationsminister Panagiotis Mitarachi mit Geflohenen im Flüchtlingslager Schisto bei Athen gesprochen. Mitarachi wies dabei den Vorwurf zurück, dass griechische Sicherheitskräfte ankommende Flüchtlinge in illegalen Pushbacks von ihrem Staatsgebiet zurückdrängt und ihnen so die Möglichkeit nimmt, auf EU-Gebiet einen Asylantrag zu stellen.
»Ich kann nicht ausschließen, dass es individuelles Fehlverhalten gibt, aber ganz prinzipiell halten wir uns an die Regeln«, sagte Mitarachi. Er betonte: »Wir haben das Recht, unsere Grenzen zu schützen.«
Baerbock warnt vor Spaltung der Nato
Während ihres Besuchs in Griechenland hat Baerbock zudem die Nato-Mitglieder Griechenland und Türkei aufgerufen, ihre wachsenden Spannungen im Dialog beizulegen. Bei ihrem Besuch in der griechischen Hauptstadt Athen warnte Baerbock am Donnerstag davor, dass Russland derzeit »mit allen Mitteln« versuche, die Nato zu spalten. Streit innerhalb der Nato spiele dem Kreml in die Hände: »Nie kam es mehr auf den Zusammenhalt zwischen Nato-Verbündeten und europäischen Partnern an als in diesen Zeiten.«
Griechenland und die Türkei sind Bündnispartner in der Nato, ihre Beziehungen sind aber schon seit Jahrzehnten von großen Spannungen geprägt , vor allem konkurrierende Gebietsansprüche in der Ägäis sorgen für Streit: Ankara spricht Athen die Souveränität über etliche Inseln im Osten der Ägäis ab, weil diese militärisch genutzt werden. Zuletzt hatte die türkische Regierung ihre Kontakte zur griechischen Regierungsspitze eingefroren. Bei den Vereinten Nationen beschwerte sich die Türkei, weil das griechische Verhalten gegen die Verträge von Lausanne (1923) und Paris (1947) verstoße.
Griechenland wiederum legt der türkischen Regierung zur Last, ihre Gebietsansprüche in der Ägäis immer aggressiver geltend zu machen – etwa durch regelmäßige Verletzungen des griechischen Luftraums. Die Regierung in Athen begründet damit auch die umfassendste Aufrüstung der griechischen Streitkräfte seit Jahrzehnten.
In einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der Athener Zeitung »Ta Nea« ließ Baerbock Kritik am Gebaren der türkischen Führung erkennen. »Mitglieder eines gemeinsamen Verteidigungsbündnisses bedrohen einander nicht, sondern akzeptieren und respektieren gegenseitig ihre Souveränität«, sagte sie. Sie lobte die griechische Regierung für deren »Signale der Dialogbereitschaft«.
Erst am Dienstag hatte die Türkei angekündigt, ihre umstrittenen Gasbohrungen im Mittelmeer wieder aufzunehmen. Hieran könnte sich ein neuer Streit mit Griechenland entzünden.
Bundesregierung lehnt griechische Reparationsforderungen weiter ab
In Athen erinnerte die Außenministerin auch an die Gräuel der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. »Vielen Deutschen ist Griechenland als Urlaubsort sehr vertraut, aber zu wenige wissen um das Ausmaß der Schuld, die Deutschland dort im Zweiten Weltkrieg durch die Gräueltaten der NS-Besatzung auf sich geladen hat«, erklärte sie. »Die Erinnerung daran wachzuhalten ist mir wichtig.«
Baerbock machte zugleich klar, dass sie dem griechischen Wunsch nach Gesprächen über die Zahlung von Reparationen für das Leid der Besatzung im Weltkrieg nicht nachkommen könne. Die neue Bundesregierung sei hier »nicht zu einer neuen Rechtsauffassung gekommen«, sagte sie zu »Ta Nea«. Die griechische Regierung hat die Forderung nach Reparationen offiziell nie aufgegeben. Die Bundesregierung argumentiert seit Jahren, dass es für solche Zahlungen keine Rechtsgrundlage gebe.
Am Freitagnachmittag reist die Ministerin nach Istanbul weiter, wo sie den türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu treffen soll. In Ankara will sie am Samstag mit Vertreterinnen und Vertretern der türkischen Opposition und der Zivilgesellschaft sprechen.