Im dritten Jahr der Pandemie ist Wiederholung vorprogrammiert. Kaum eine Debatte über die Coronaregeln ist nicht zu irgendeinem Zeitpunkt schon einmal geführt worden. Als der Kassenärztechef Andreas Gassen in der »Neuen Osnabrücker Zeitung« forderte, Isolations- und Quarantänepflichten wegen Covid-19 aufzuheben, um Personalengpässe zu entschärfen, fühlte sich die niedersächsische Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) deshalb an den Herbst 2021 erinnert. Da sah Gassen das Ende sämtlicher Coronamaßnahmen gekommen. »Kurze Zeit später«, so twitterte Behrens, »waren übrigens die Intensivbetten voll«. In Niedersachsen werde man nicht auf den Ärztevertreter hören. Viele ihre Länderamtskollegen sehen das ähnlich.
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Parteigenosse und Gesundheitsminister Karl Lauterbach verlor ebenfalls keine Zeit, auf Twitter zu betonen: »Infizierte müssen zu Hause bleiben. Sonst steigen nicht nur die Fallzahlen noch mehr, sondern der Arbeitsplatz selbst wird zum Sicherheitsrisiko«. Allein: Er muss sich in der Bundesregierung mit dem Koalitionspartner FDP auseinandersetzen. Derzeit steckt er in Verhandlungen um ein neues Infektionsschutzgesetz mit FDP-Justizminister Marco Buschmann. Und dort wird immer wieder betont, den Bürgerinnen und Bürgern solle mehr Eigenverantwortung zurückgegeben werden.
Tatsächlich belastet die Pandemie Kliniken in diesem Sommer stark. Es liegen etwa doppelt so viele Coronapatienten im Krankenhaus wie im Vorjahr. Gleichzeitig fällt verstärkt Personal wegen Infektionen und den daraus folgenden Isolations- und Quarantänepflichten aus. In der FDP hält man deshalb den Vorschlag Gassens für eine gute Sache. Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion im Bundestag Andrew Ullmann etwa findet, dass die Isolationsdauer nicht mehr von staatlicher Seite vorgeschrieben, sondern allein durch die Krankschreibung des Arztes oder der Ärztin festgelegt werden sollte.
»Wer Corona hat, muss zu Hause bleiben«
Die FDP steht mit ihrer Haltung ziemlich allein da. Die Gesundheitspolitikerin Saskia Weishaupt von den Grünen stellte für ihre Fraktion klar: »Wer Corona hat, muss zu Hause bleiben.« Menschen sollten an ihrem Arbeitsplatz nicht der Gefahr ausgesetzt sein, sich anzustecken. »Wir schlittern in einen Herbst, wo die Quarantäne- und Isolationsregeln besonders wichtig werden und letztlich Menschenleben retten werden.«
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag Kathrin Vogler hält Gassens Vorschlag für »Quatsch«. »Kurzfristig würde es dazu führen, dass noch mehr Beschäftigte wegen symptomatischer Infektionen auf den Stationen ausfallen«, meint Vogler. Ganz zu schweigen von der Gefahr von infizierten Pflegekräften für ihre Patientinnen und Patienten.
Zudem werde eine höhere Infektionsrate unter Beschäftigten auch eine höhere Zahl von Langzeitfolgen (Long Covid) und langfristigen Ausfällen erzeugen. »Insgesamt vermittelt es den Pflegekräften noch mehr als bisher schon den Eindruck, dass ihre eigene Gesundheit nichts bedeutet.« Vor dem Herbst »brauchen wir keine Profilierungsexzesse der einzelnen Koalitionspartner«. Sie hoffe, »dass in der Ampelkoalition niemand so verrückt ist, diese Idee aufzugreifen«.
»Gassen stellt die richtigen Fragen«
Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag Tino Sorge sagte dem SPIEGEL: »Gassen stellt nachvollziehbar die richtigen Fragen, wie wir unter Berücksichtigung der jeweiligen Variante Überlastungssituationen infolge starrer Quarantäne- und Isolationsvorschriften vermeiden können«. In Kliniken und Pflegeheimen solle aber »weiterhin besondere Vorsicht gelten«. Eine Isolation sei dort grundsätzlich sinnvoll. »Geprüft werden sollte aber, in welchen Bereichen die Dauer flexibilisiert werden könnte«, sagte er. Diese Regelungen sollten im Kontext aller Schutzmaßnahmen diskutiert werden, erklärte Sorge.
Fachliche Kritik folgte auch auf Gassens Vorstoß: Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, warnte etwa eindringlich vor einem Ende der Isolationspflichten für Coronaerkrankte. Der »Rheinischen Post« sagte er: »Die Aufhebung von Quarantäneregeln aus Arbeitsmarktgründen ist aus ärztlicher Sicht nicht zu vertreten. Unsere Aufgabe ist es, Menschen vor Krankheit, Leid und Tod zu bewahren und nicht, kranke Menschen zur Arbeit zu treiben«.