Die Infektionszahlen in der Pandemie sind seit einigen Wochen vergleichsweise hoch, die Sommerwelle wirkt sich nun auch auf die Zahl der Todesfälle aus: Den letzten Tiefstand hatten die Coronasterbezahlen Anfang Juni erreicht , mit 242 Toten in einer Woche. Anfang Juli, so die aktuellsten Zahlen des Robert Koch-Instituts, starben aber bereits 375 Menschen in einer Woche an oder mit einer Coronainfektion. Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) fordert deshalb konkrete Schritte von der Bundesregierung, um den Anstieg der Zahlen von pandemiebedingten Kranken und Toten zu bekämpfen.
Die meisten Gestorbenen waren älter als 70
Die aktuelle Zahl der Coronatoten sei bezogen auf die hohe Zahl der Infektionen und der vermutlich hohen Dunkelziffer zu erwarten gewesen, sagt Klaus Reinhardt, der Präsident der Bundesärztekammer. »Auch wenn jeder Todesfall natürlich schlimm ist.« Es sind auch in der aktuellen Welle vor allem die Älteren, die eine Infektion mit Sars-Cov-2 nicht überleben – von den Anfang Juli Gestorbenen waren etwa 85 Prozent mindestens 70 Jahre alt. Ein gutes Dutzend war jünger als 60. »Das durchschnittliche Alter der Verstorbenen ist sehr hoch. Oft spielen auch Begleiterkrankungen eine Rolle«, sagt Reinhardt.
Ärztekammerpräsident Reinhardt: Neue Impfstoffe könnten »Gamechanger« werden.
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Zwar bewegen sich die Zahlen, verglichen mit früheren Coronawellen, noch auf einem relativ niedrigen Niveau. Ende März hatte es in einer Woche fast fünfmal so viele Coronatote gegeben. Doch geht die Tendenz nun wieder deutlich nach oben – weshalb sich erste Politiker besorgt zeigen.
Holetschek: »endlich handeln«
»Jeder Coronatote ist ein Toter zu viel«, sagt Bayerns Gesundheitsminister Holetschek. Mit Blick auf den Herbst fordert er vom Bund, »endlich zu handeln und den Entwurf für ein aktuelles Infektionsschutzgesetz vorzulegen«. Dies müsse jetzt und nicht erst kurz vor dem Auslaufen der aktuellen Maßnahmen zum 23. September geschehen. Er könne es nicht verstehen, warum die Bundesregierung »nicht endlich liefert«. »Eigentlich sollte endlich mal ein Lernprozess einsetzen: Wir brauchen keine erneuten Chaos-Tage wie bei der Testverordnung Ende Juni.«
Bayerischer Gesundheitsminister Holetschek: »Jeder Coronatote ist ein Toter zu viel.«
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Zuvor hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Donnerstag gesagt, dass im Herbst eine »katastrophale« Coronaentwicklung drohe – sofern keine Maßnahmen ergriffen würden. »Wir brauchen Maßnahmen, das ist klar«, sagte er der dpa bei einem Besuch in Washington. »Aber das ist auch nicht strittig, wir werden vorbereitet sein.« Zurzeit gebe es vertrauliche Verhandlungen mit dem FDP-geführten Justizministerium. Bis zum Auslaufen der aktuellen Maßnahmen im September werde man neue beschlossen haben, sagte Lauterbach.
CSU-Politiker Holetschek sagt, es sei wichtig, dass die Länder Werkzeuge erhielten, um im Herbst und Winter auf mögliche Infektionswellen reagieren zu können. Dazu gehöre unter anderem die Möglichkeit, eine Maskenpflicht in Innenräumen anzuordnen oder Personenobergrenzen einzuführen.
Sollte zu den Werkzeugen auch eine vierte Coronaimpfung gehören? Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt diese ab 70 Jahren, die EU für über 60-Jährige. Lauterbach hatte dagegen kürzlich im SPIEGEL auch Menschen unter 60 eine vierte Impfung empfohlen.
Andere Fachleute lehnen diese Forderung ab, etwa der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. »Dafür gibt es bisher keine Evidenz und deshalb auch keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission«, sagte er dem SPIEGEL. »Statt der Empfehlung zur vierten Impfung würde ich vom Gesundheitsminister lieber einen aktuellen Stand zur Impfstoffentwicklung gegen die Omikron-Variante hören.« Diese Impfstoffe könnten »der Gamechanger« werden. Mutiert das Virus nicht, seien sie »ein großer Schritt nach vorne«.