Dass das marokkanische Königshaus Kritik nicht sonderlich schätzt, ist allgemein bekannt. Insofern waren die Enthüllungen des »Pegasus«-Projekts König Mohammed VI. wohl mehr als nur ein Dorn im Auge.
Vor einem Jahr veröffentlichten Medien wie die »Zeit«, die »Süddeutsche Zeitung«, »Le Monde« oder der »Guardian« in einer gemeinsamen Recherche , dass Marokko offenbar die Überwachungssoftware »Pegasus« nutzte, um damit nicht nur Kritiker im eigenen Land, sondern auch hochkarätige Politiker in Frankreich ins Visier zu nehmen – bis hin zum Präsidenten Emmanuel Macron.
Bis heute dementiert Marokko die Berichte und ging sowohl gegen die französischen wie auch gegen die deutschen Medien gerichtlich vor – die lästigen Veröffentlichungen sollten wieder verschwinden. In Deutschland steht dem autokratischen Regime dabei die Hamburger Kanzlei Nesselhauf zur Seite. Und das, obwohl es aus dem Land immer wieder Berichte über Folter und Misshandlungen gibt.
Angriffe auf Politiker, Journalisten, Aktivisten
Der Einsatz der deutschen Presserechtler für Marokko ist bislang vermutlich lukrativ, aber erfolglos: Das Hamburger Landgericht wies gegen die »Zeit« und die »Süddeutsche Zeitung« gerichtete Klagen kürzlich als unbegründet zurück. In den Urteilsbegründungen heißt es, das Königreich komme nicht als »Tatobjekt einer Beleidigung in Betracht«.
Das Urteil ist die jüngste in einer Reihe von Niederlagen für die Firma NSO, den israelischen Hersteller der »Pegasus«-Spähsoftware, und seine Kunden. Auch Verleumdungsklagen gegen »Le Monde«, Radio France, »Mediapart«, Forbidden Stories und Amnesty International wurden in erster Instanz abgewiesen.
Die Recherchen hatten nicht nur das marokkanische Regime in den Fokus gerückt, sondern auch ein Schlaglicht auf das weitgehend unregulierte Milliardengeschäft mit Überwachungssoftware geworfen. Koordiniert wurde das internationale Projekt von der Pariser Non-Profit-Organisation Forbidden Stories . Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International unterstützte die Journalistinnen und Journalisten. Sie fanden heraus, dass eine Reihe von Staaten die Ausspähsoftware dafür nutzten, Staats- und Regierungschefs anderer Länder auszuforschen. Betroffen von den Angriffen waren aber auch Journalistinnen, Menschenrechtsaktivisten und Oppositionelle.
Die Ergebnisse standen in krassem Widerspruch zur Selbstdarstellung des Unternehmens NSO, das gern darauf verweist, die eigene Technik würde nur genutzt, um Pädophile und Terroristen zu jagen.
Die Berichte zeigten jedoch zum Beispiel, dass auch das Umfeld des vom saudi-arabischen Regime ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi mit »Pegasus« angegriffen wurde . Der Emir von Dubai wiederum setzte die digitale Waffe offenbar sogar im Sorgerechtsstreit gegen seine Ex-Frau ein und ließ auch britische Anwälte ausspähen.
Das Handy als Wanze
Technisch ist die Spionage einfach, sobald den Überwachern »Pegasus« erst einmal zur Verfügung steht. Einmal auf einem Smartphone installiert, erlaubt die Software, das Handy unbemerkt fernzusteuern – es wird zur Wanze, kann Unterhaltungen mitschneiden, heimlich die Kamera anschalten und alles mitlesen, was auf dem Bildschirm zu sehen ist, auch verschlüsselte Kommunikation.
All das geschieht im Verborgenen, unsichtbar für den Nutzer des Geräts. NSO behauptet seit Jahren, dass ausschließlich staatliche Behörden Kunden seien. Unabhängig überprüfen lässt sich die Behauptung nicht. Experten schätzen, dass derzeit mindestens 45 Staaten weltweit die Software einsetzen.
Dabei sind die Kunden beileibe nicht nur Diktaturen. »Fast alle europäischen Regierungen nutzen unsere Werkzeuge«, sagte NSO-Chef Shalev Hulio einmal dem Magazin »New Yorker «. Welche Regierungen dies sind, ist weitgehend unklar.
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Im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen des »Pegasus«-Projekts räumten immerhin polnische und ungarische Behörden die Nutzung ein. Im EU-Land Ungarn schreckten die Behörden laut der »Pegasus«-Rechercheure offenbar nicht davor zurück, Journalisten abzuhören. Die zuständige staatliche Stelle ließ später schlicht verlauten, es sei kein Gesetz gebrochen worden.
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Auch in Belgien und Spanien gilt die Nutzung des Tools als gesichert, in Spanien wurden Spuren der Überwachung auf den Telefonen von katalanischen Politikern – darunter mehrere EU-Parlamentarier – gefunden, was zur Entlassung der Geheimdienstchefin Spaniens führte.
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Der iPhone-Hersteller Apple warnte zuletzt einzelne Kunden vor NSO-Angriffen. Für gefährdete Nutzer stellt die US-Firma sogar eine besonders gesicherte Variante des Betriebssystems iOS zur Verfügung.
Auch BKA und BND sollen die Spähsoftware nutzen
Und in Deutschland? Auch hierzulande wurde »Pegasus« offenbar eingesetzt. Zwar weigerte sich die Bundesregierung lange, dies zuzugeben. Inzwischen gilt der Einsatz durch das Bundeskriminalamt (BKA) und den Bundesnachrichtendienst (BND) allerdings als gesichert.
Details will die Regierung Bundestagsabgeordneten aber selbst unter dem Siegel der Verschwiegenheit nicht verraten. Dem stünden »überwiegende Belange des Staatswohls entgegen«. Dieses Vorgehen sei völlig inakzeptabel, kritisiert Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, der dem für Geheimdienste zuständigen parlamentarischen Kontrollgremium vorsitzt.
Auf EU-Ebene setzten Parlamentarier einen eigenen Untersuchungsausschuss ein. Er soll bis 2023 einen Bericht vorlegen. Schon in den ersten Sitzungen zeigte sich, dass die Zahl der mit »Pegasus«-Software angegriffenen Handys weit höher ist als bislang angenommen.
So würden weltweit »jährlich schätzungsweise 12.000 bis 13.000 Ziele« mithilfe der Technologie ausgespäht, offenbarte ein NSO-Mitarbeiter den EU-Politikern. Für den Hersteller haben die Enthüllungen drastische Folgen. In Indien ordnete der Oberste Gerichtshof eine Untersuchung an, die US-Regierung verhängte gar Sanktionen gegen das israelische Unternehmen. NSO kann nun nicht einmal mehr ein einfaches iPhone in den USA bestellen.
Was das Unternehmen noch viel härter treffen dürfte: Neben Meta (ehemals Facebook) hat mittlerweile auch Apple die Firma wegen mutmaßlicher Spähangriffe verklagt. Im Falle einer Niederlage drohen NSO gewaltige Strafzahlungen. Das Unternehmen mit Sitz in Herzliya bei Tel Aviv ist daher um Schadensbegrenzung bemüht. Aus dem Umfeld der Firma wurde bekannt, man habe sich inzwischen von zahlreichen Kunden getrennt, darunter ein EU-Mitglied. Auch der Vertrag mit den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde aufgekündigt.
Indes werden fast im Wochenrhythmus neue Fälle von mutmaßlich missbräuchlichem Einsatz der NSO-Technologie bekannt. Pünktlich zum Jahrestag der Veröffentlichungen vermeldeten die Nichtregierungsorganisationen DigitalReach und iLaw sowie die Forschungseinrichtung Citizen Lab , auf den Handys mehrerer Aktivisten und Akademikern in Thailand Spuren von »Pegasus« gefunden zu haben. NSO sprach in einer ersten Stellungnahme von »nicht nachprüfbaren Behauptungen« politisch motivierter Organisationen.
Weitere gerichtliche Auseinandersetzungen werden folgen. Denn inzwischen klagen etliche der mit der Software abgehörten Journalistinnen und Journalisten, darunter das französische Online-Medium »Mediapart« und der ungarische Investigativreporter Szabolcs Panyi.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen wandte sich mit ihren Fällen sogar an die Vereinten Nationen. Der Druck auf den »Pegasus«-Entwickler NSO wird wohl weiter wachsen.