Die Bundesregierung lässt für einen Weiterbetrieb der drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland über das Jahresende hinaus noch einen Türspalt offen. Eine Regierungssprecherin sagte am Montag in Berlin, die Frage der Atomkraftwerke sei für die Bundesregierung von Anfang an keine ideologische, sondern eine rein fachliche Frage gewesen.
Sie verwies auf einen angekündigten zweiten Stresstest zur Sicherheit der Stromversorgung. »Das ist die Grundlage von Entscheidungen.« Eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, es werde auf der Basis von Fakten und Analysen entschieden. Es gebe nun die zweite Stresstest-Berechnung, die erstellt werde, um noch mal andere Szenarien abzuklopfen. Die erste Berechnung habe schon sehr verschärfte Annahmen unterstellt. »Aber dennoch, wir rechnen jetzt noch mal und entscheiden dann auf der Basis von klaren Fakten.«
Ergebnis von Stresstest »in den nächsten Wochen«
Das Wirtschaftsministerium hatte am Sonntag einen zweiten Stresstest zur Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland angekündigt. Es gehe darum, festzustellen, ob die Versorgungssicherheit im Stromsektor und der sichere Betrieb des Netzes unter verschärften Annahmen gewährleistet seien. Mit Ergebnissen sei »in den nächsten Wochen« zu rechnen.
Die drei Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 müssen nach geltendem Recht spätestens am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden. Wirtschaftsminister Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatten in einem Prüfvermerk im März von längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke abgeraten. Einem kleinen Beitrag zur Energieversorgung stünden große wirtschaftliche, rechtliche und sicherheitstechnische Risiken entgegen, hieß es damals.
Union bringt Kompromiss mit Tempolimit ins Spiel
Die Union begrüßte den erneuten Stresstest. Die umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Anja Weisgerber, sagte am Montag: »Als Union haben wir seit Monaten auf eine mögliche Stromlücke vor allem im Süden hingewiesen. Die Ampel-Regierung muss die Versorgungssicherheit gewährleisten und dazu alle notwendigen Optionen ziehen. Und hierzu gehört auch der befristete Weiterbetrieb der letzten drei Kernkraftwerke.«
Am Montag hatte Jens Spahn zudem einen möglichen Kompromiss vorgeschlagen. Sollten etwa die Grünen von ihrem Veto abrücken, die Laufzeit für Kernkraftwerke zu verlängern, könnte man auch über eine bundesweite Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen nachdenken, sagte der frühere Gesundheitsminister im ARD-»Morgenmagazin«.
»Ich kann ja bei der Kernenergie nicht sagen: Bitte keine Tabus, bitte alle Ideologien zur Seite legen, alle Optionen auf den Tisch, und dann selbst gleich schon wieder Denkverbote errichten beim Tempolimit«, sagte Spahn. Das Tempolimit mache zwar einen relativ geringen Unterschied beim Energieverbrauch aus – »aber wenn die Grünen sagen, das wäre dann ein nationaler Kompromiss, wir machen bei der Kernenergie für ein halbes Jahr länger eine Nutzung in der Mangellage, dann finde ich, sollten wir auch über ein Tempolimit reden können.«
FDP lehnt Tempolimit-Deal ab
Bei der FDP ist man von einem Deal, der sowohl Tempolimit als auch Weiterbetrieb der Atommeiler beinhalten würde, allerdings wenig angetan. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sprach von einem »Kuhhandel« zur Einführung eines Tempolimits. Dürr sagte der Nachrichtenagentur dpa am Montag: »Wir müssen alles tun, um die drohende Gaslücke zu schließen. Die Verlängerung der AKW-Laufzeiten kann dazu einen nennenswerten Beitrag leisten, das Tempolimit nicht. Wenn wir die Kernkraftwerke länger am Netz lassen, sparen wir Gas – denn wir verhindern, dass knappe Gasressourcen zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Benzin und Diesel von der Tankstelle tragen bedauerlicherweise nichts dazu bei, den angespannten Energiemarkt zu entlasten. Dieser Kuhhandel würde also nicht dazu führen, die Versorgung im Winter zu sichern.«
Dürr sagte, er habe großes Verständnis dafür, dass sich besonders die Grünen mit einer Laufzeitverlängerung schwertun. »Aber es geht uns nicht darum, ideologische Atomkraftdebatten wieder aufzumachen, sondern lediglich um eine befristete Maßnahme zur Einsparung von Gas.«
Widerstand gegen ein Tempolimit gab es in der Vergangenheit allerdings nicht nur von FDP und Union. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte der Energiesparmaßnahme zuletzt eine Absage erteilt: »Das hat diese Regierung nicht vereinbart, und deswegen kommt es auch nicht.«