Bundeskanzler Olaf Scholz fordert mit deutlichen Worten eine größere Geschlossenheit der EU-Staaten ein. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe nicht nur Zerstörung in deren Städte gebracht, sondern »auch die europäische und internationale Friedensordnung der vergangenen Jahrzehnte in Schutt und Asche gelegt«, schrieb Scholz in einem Gastbeitrag für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« .
Die EU habe bisher mit »nie dagewesener Entschlossenheit und Geschlossenheit« auf den »Neo-Imperialismus« von Russlands Präsident Wladimir Putin reagiert, so Scholz. »Doch wir dürfen dort nicht stehen bleiben.« Die EU müsse sich auch in anderen Feldern einig werden. »Für mich heißt das: Schluss mit den egoistischen Blockaden europäischer Beschlüsse durch einzelne Mitgliedstaaten. Schluss mit nationalen Alleingängen, die Europa als Ganzem schaden«, schrieb Scholz. »Nationale Vetos, etwa in der Außenpolitik, können wir uns schlicht nicht mehr leisten, wenn wir weiter gehört werden wollen in einer Welt konkurrierender Großmächte.«
Dabei sieht der Kanzler Deutschland in einer Führungsrolle: »Wir sind uns der Konsequenzen unserer Entscheidung für eine geopolitische Europäische Union sehr bewusst«, heißt es in dem Artikel. »Die Europäische Union ist die gelebte Antithese zu Imperialismus und Autokratie«, so Scholz. Die EU müsse also eine »geopolitische EU« werden – und darauf aufbauend werde Deutschland Verantwortung für Europa und in der Welt übernehmen. »Führen, das kann nur heißen: zusammenführen, und zwar im doppelten Wortsinn«, schrieb der SPD-Politiker. Dies heiße, dass man zusammen mit anderen Lösungen erarbeiten und auf Alleingänge verzichten müsse. »Und indem wir, als Land in der Mitte Europas, als Land, das auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs lag, Ost und West, Nord und Süd in Europa zusammenführen.«
Scholz kündigte Vorstöße in der Migrationspolitik, beim Aufbau einer europäischen Verteidigung, bei technologischer Souveränität und demokratischer Resilienz an: »Deutschland wird dazu in den nächsten Monaten konkrete Vorschläge machen.«
Gleichzeitig stimmte der Kanzler die Deutschen auf länger anhaltende Sanktionen gegen Russland und auf Entbehrungen ein. Putin müsse mit seinem »neo-kolonialen« Kurs auf jeden Fall gestoppt werden. »Dieser Weg ist nicht leicht, auch nicht für ein so starkes, wohlhabendes Land wie unseres. Wir werden einen langen Atem brauchen«, so Scholz. Schon jetzt litten viele Bürgerinnen und Bürger unter den Auswirkungen des Krieges, vor allem unter den hohen Preisen für Benzin und Lebensmittel. Deshalb habe die Regierung zwei Entlastungspakete in Höhe von 30 Milliarden Euro beschlossen.
»Doch zur Wahrheit gehört: Die Weltwirtschaft steht vor einer seit Jahrzehnten ungekannten Herausforderung«, heißt es in dem Artikel. Lieferketten seien unterbrochen, Rohstoffe knapp und es gebe eine kriegsbedingte Unsicherheit an den Energiemärkten. Dies alles treibe weltweit die Preise. Kein Land der Welt könne sich allein gegen eine solche Entwicklung stemmen. »Wir müssen zusammenhalten und uns unterhaken«, forderte Scholz mit Hinweis auf die sogenannte »konzertierte Aktion« der Regierung mit Gewerkschaften, Arbeitgebern und Wissenschaftlern. Es sei der Regierung von Beginn an klar gewesen, dass die Sanktionen womöglich lange Zeit aufrechterhalten werden müssten.
Putin müsse klar sein, dass bei einem russischen Diktatfrieden keine einzige Sanktion aufgehoben werde, schrieb Scholz zu den bisher sechs Sanktionspaketen. Man zeige damit aber nicht nur Solidarität mit der »existenzbedrohten Ukraine«, sondern sorge auch für den eigenen Schutz. »Wenn wir Putins Aggression jetzt nichts entgegensetzen, dann könnte er weitermachen«, mahnte der Kanzler und verwies darauf, dass die Nato nicht mehr ausschließe, dass es einen russischen Angriff auch auf das Bündnisgebiet geben könne. »Putin damit durchkommen zu lassen hieße, dass Gewalt das Recht praktisch folgenlos brechen darf. Dann wären letztlich auch unsere eigene Freiheit und Sicherheit in Gefahr.«